Materialien 1978
Razzienwecker
Am 4. April um 7.00 Uhr morgens wars mal wieder soweit. Bei sieben Wohngemeinschaften in München krachte und polterte es an der Tür. Es ist schon ein ganz schön mulmiges Gefühl, total verpennt in der Unterhose oder auch nicht, einem mit Maschinenpistolen bewaffnetem 10-köpfigen Einsatzkommando unserer grünen Freunde gegenüberzustehen. Am liebsten würdest du gleich wieder die Tür zumachen, aber die Herren und Damen in ihren aufreizenden Uniformen haben dich schon längst wieder in dein Zimmer zurückgedrängt.
Hausdurchsuchung! Na ja, denkst du dir, muss wohl so sein, es wird ja schließlich Frühling, und die Spielplätze und Grünanlagen in München werden auch immer weniger; sollen sie sich austoben.
Sie schauen alle so ernst, schnauzen dich in regelmäßigen Zeitabständen wieder mal an; nicht mal deinen guten Freund, den Anwalt darfst du anrufen. Ihren ‚unparteiischen Zeugen’ haben sie gleich selber mitgebracht.
Auf die leise Anfrage, was sie denn dann bei dir wollten, was denn überhaupt los sei, wo der Tag doch so lustig begonnen hatte, zeigen sie dir einen Zettel von irgendeinem Richter; sie nennen das ‚Durchsuchungsbeschluss’. Dort wo sie so einen Zettel nicht haben, sagen sie ganz einfach ‚Gefahr im Verzug’.
Du gehörst also zu den ‚Tatverdächtigen’ und du sollst im Herbst 1977 die NPD-Zentrale angezündelt haben, ja die NPD sogar noch beklaut haben.
Die Grünlinge dürfen suchen, aber nicht dich, wie beim Versteck spielen, sondern ‚Beweismittel’, wie sie das nennen. Ohne dich zu fragen stellen sie dir in stundenlanger Quälerei die Bude auf den Kopf, nehmen alles mit, was ihnen gefällt, und dann wollen sie dich auch noch mitnehmen.
Deinen Mitbewohnern gehts nicht anders; obwohl die nach den Spielregeln nicht zu den Tatverdächtigen gehören, werden sie genauso behandelt. Wenn einer nicht aufs Landeskriminalamt (LKA) mitgehen will, sagen sie was wie ‚Blinde Kuh’ – ach nein, ‚vorläufig festgenommen’. Dann musst du mitgehen, wirst nochmal am ganzen Körper betatscht und durch die Stadt gefahren.
Würdest du in der Andreestraße 4 wohnen, dann hättest du am 4. April geglaubt, die Razziengesetze, Teil der Anti-Bürger-Gesetze, seien schon längst rechtskräftig geworden. Da wirst du in einem Haus mit zehn Wohngemeinschaften, d.h. mit ca. 45 Mietern, deiner Freiheit beraubt, in jeder Etage, vor und hinter dem Haus ein Grünling mit der Maschinenpistole im Anschlag, keiner darf das Haus verlassen, das Telefon geht plötzlich nicht mehr, und mit deinen Nachbarn darfst du auch nicht mehr reden. Zwei Spielleiter, ein Oberstaatsanwalt und ein normaler SA sind anwesend und haben offenbar total vergessen, dass die Razziengesetze erst am 13. April im Bundestag verabschiedet werden. Erst mittags ist der Spuk vorbei, zwei Leute werden mitgenommen.
Am LKA triffst du dann die Leute aus den anderen Wohngemeinschaften, so ca. zehn. Jetzt beginnt ein neues Spiel, sie nennen es ‚Erkennungsdienstliche Behandlung’. Je zwei Grünlinge betreuen einen vorläufig Festgenommenen. Fotos werden gemacht und Fingerabdrücke genommen. Aber nicht genug. Sie wollen zum Andenken auch noch ein paar Haare, mindestens zwanzig. Und Spucke wollen sie auch noch. Anspucken, denkst du dir, aber nein, die machen das mit einer Pipette. Wenn du nun nicht weißt, dass nach §81 a StPO eine Haar- bzw. Speichelprobe nur nach richterlicher Anordnung genommen werden kann, wirst du gerupft und ausgezuzelt.
Vernehmungen, Gegenüberstellungen und was sie sonst noch für lustige Einfälle haben. Sie zwingen dich mitzuspielen. Für manche dauert das Frühlingserwachen bis zum nächsten Morgen, wo sie aus der Ettstraße entlassen werden. Für einen von uns ist es noch nicht zu Ende; er sitzt in Stadelheim in Untersuchungshaft.
Dr. Peter Metzger, Leiter der Justizpressestelle (aus „Zündfunk“ 14. April): „Mit dem politischen Engagement der Wohngemeinschaften hat dies sicher nichts zu tun. Es ist nicht anders wie bisher, und wenn nun der eine oder andere überprüft wird, nach seinem Namen und nach seiner Adresse, so ist das doch nichts anderes, wie etwa bei einer Überprüfung auf der Straße, wenn Führerscheine und Personalien verlangt werden. Das ist nun mal das Recht der Polizei, und davon wird doch im eigentlichen Sinn niemand betroffen. Was soll denn zum Nachteil gereichen, wenn allenfalls von irgendeinem Polizeibeamten in den Akten festgestellt wird, in der Wohnung – wenn es nun eine verdächtige Wohnung war – waren anwesend x und y und es stellt sich heraus, gegen x und y liegt kein Vorgang vor, damit hat sich doch die Geschichte erledigt.
Wenn natürlich irgendwann ein Verdacht gegeben ist, könnte es natürlich sein, dass man dann einmal wieder nachsieht und auch registriert ist. Hier ist in keiner Weise einem Gesetz vorgegriffen worden. Diese Art der Wohnungsdurchsuchung gibts seit eh und je. Ich kann es mir nicht vorstellen, dass z.B. bei einer Kontrolle auf der Straße, wo die Leute ihre Führerscheine zeigen müssen, wenn die Fahrzeuge kontrolliert werden, ob sie in Ordnung sind, nun der einzelne Angestellte, wenn er deshalb nun eine viertel Stunde später zur Arbeit kommt, schwere Beeinträchtigungen erleiden muss. Das ist doch hier nicht anders, hier werden die Leute angehalten. Das sind doch Dinge, die der Staatsbürger, ich meine, wenn er für eine funktionierende Justiz und für ein ordnungsgemäßes Staatswesen eingenommen ist, mit Sicherheit auch hinnimmt und schon immer – ich würde sagen – gerne hingenommen hat.“
Manfred Börner, Dachsbau 7, 2160 Stade, Hauseigentümer des Altbaus Maßmannstraße 2 – 6, Sanierungshai (aus Kündigungsschreiben vom 6. April, 2 Tage nach der Hausdurchsuchung):
„Ihre Wohnung wurde von der Polizei durchsucht. Ferner wurden einige Bewohner oder Gäste von Ihnen per Polizeiwagen abgeholt. Solche Maßnahmen kann ich in einem Mehrfamilienhaus nicht dulden. Durchsuchungen von Wohnungen durch die Staatsorgane, wegen gewerblicher (politischer Presse) Tätigkeit, sind Störungen, die diese Kündigung rechtfertigen. In Kurzform gebracht erfolgt hiermit meine Kündigung wegen Störung des Hausfriedens wegen Verursachung von Hausdurchsuchungen durch Staatsorgane und damit Verunsicherung der Mitbewohner.
Mein Motiv der Kündigung ist ausdrücklich nur die Absicht, Ruhe und Frieden und Ordnung und Wohlbefinden für meine Gesamtmieterschaft zu waren und zu erhalten …“
Eva, eine Besucherin der Wohnung in der Schleißheimerstraße, zufällig bei der Hausdurchsuchung anwesend, ED-behandelt, bisher nicht tatverdächtig: „Inzwischen war die Polizei auch bei meiner Mutter, um sie zu meiner Person zu befragen.“
Gegen das rechtswidrige Verbot, einen Anwalt zu benachrichtigen, legten wir Dienstaufsichtsbeschwerde ein. Zudem erstatteten wir Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung.
einige Betroffene
Blatt. Stadtzeitung für München 119 vom 21. April 19978, 6.