Materialien 1978

§§-Sumpf

Unsere treusten und eifrigsten Leser aus den Anwesen Ettstraße und Nymphenburgerstraße haben uns wieder einmal ein paar Leserbriefe geschrieben, die nicht unbedingt immer die Meinung der Redaktion wiedergeben.

Im 114. Blatt hatte unser frühverstorbenes Kind, das „Blatt im Blatt“ eine Karikatur veröffentlicht, die unübersehbar ein männchen-machendes Schwein darstellt. Diese Zeichnung und der danebenstehende Dialog (Ist das nicht der Richter vom Obersten Landesgericht? – Nein! Siehst Du nicht, dass das ein Schwein ist – Habs mir gleich gedacht, aber nicht getraut es laut zu sagen) waren Richter Garke 1.000,— DM wert. Strafbefehl wegen Beleidigung der Richterschaft des Bayrischen Obersten Landesgerichtes. Einspruch Euer Ehren, haben wir gesagt und bald wird sich das Schwein der Interpretation von Richtern, Anwälten und Staatsanwälten stellen müssen.

Der Staat ist keine Pestbeule, schon gar nicht eine widernatürliche, meint Herr Hübner-Werner vom Kriminalkommissariat 14 und zeigt uns wegen Staatsverunglimpfung an. Im 119. Blatt stand in einem Artikel über MVV-Kontrolleure: „… wenn immer mehr MVV-Teilnehmer einsehen würden, dass auch Kontrolleure nur Menschen sind und keine Vorgesetzten, keine höheren Wesen, die den MVV oder besser gesagt den Staat, diese allgegenwärtige, widernatürliche Pestbeule, repräsentieren, als seien sie dessen Statthalter“.

Im 98. Blatt war ein Foto des Polizisten Böttcher erschienen. Dies mussten wir mit 600,— DM als Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz büßen – sonst würde gar am Schluss jede Zeitung Fotos veröffentlichen! Wir versicherten auch Böttchers Anwalt, das wir das Foto nicht noch einmal drucken wollen. Jetzt verklagte er uns: Wir sollten es unterlassen das Foto noch einmal abzudrucken. Unser Anwalt tröstete uns, er habe gerade vor einem Jahr einen Prozess verloren, wo er gegen alle fünf Münchner Zeitungen auf „Unterlassung“ geklagt habe, weil diese das Foto seiner Mandantin veröffentlicht hatten. Damals sagte das Gericht, es gehe nicht davon aus, dass das Foto noch einmal abgedruckt werde. Fein dachten wir, dann stehen wir ja diesmal auf der richtigen Seite, denn was AZ, SZ, tz, MM und Bild recht ist, ist uns schließlich billig. Die Pressekammer mit Professor Dr. Putzo und seinen zwei Beisitzenden hatte jedoch inzwischen ihre Meinung geändert oder den alten Prozess vergessen. Ist doch sonnenklar, meinte Herr Putzo zu unserem Anwalt, dass sie in diesem Prozess keine Chance haben; denn man muss doch – trotz gegenteiliger Erklärung – damit rechnen, dass das BLATT das Foto noch mal abdruckt. Darauf lehnte unser Anwalt ihn wegen Befangenheit ab und hielt ihm sein altes Urteil vor. Nun herrscht großes Schweigen und der Antrag ist seit über einem Monat noch nicht behandelt worden. Aber den HiWi’s des Herrn Professor Putzo wird irgendwann schon mal etwas einfallen.

Neulich zeigten wir auch einmal wen an, obwohl wir von dieser Ebene bekanntlich nicht viel halten. Schließlich leben doch aber die Herren von der Polizei und Staatsanwaltschaft von den riesigen Steuerbeträgen, die unsere Unternehmergewinne so erschreckend auffressen. So bezichtigten wir Herrn Gauweiler von der CSU, der unser Produkt in einem Rathausbrief als Anarchistenzeitung und Baader-Meinhof-Blatt bezeichnet hat, der Beleidigung.

Herr Gauweiler nahm sich, was noch sein gutes Recht ist, den einschlägig bekannten Rechtsanwalt Dr. Ossmann als Verteidiger. (Ossmann vertritt so erlauchte Klienten wie FJ Strauß und den Freistaat.) Dieser vertiefte sich in die Lektüre der Blatt-Gesamtausgabe und kommentierte sie neun Seiten lang. Am Schluss seines Kommentars schreibt er: „Oben wiedergegebene Infamie erhält ihre Krönung in der Nr. 92, die auf S. 7 ein ‚Gedicht’ abgedruckt hat, das lautet: ‚auf den Tod des Generalbundesanwalt Siegfried Buback’ … zum Schluss heißt es: ‚es wäre besser gewesen, so ein Mensch hätte nie gelebt’. Verfasser solcher Schmähschriften und der Anzeigeerstatter als Herausgeber dieser Schmierblattes können sich nicht verletzt fühlen, wenn diese Zeitung, die den Namen nicht verdient, als Anarchistenzeitung oder Baader-Meinhof-Blatt bezeichnet wird. Es hätte noch stärkerer Worte bedurft, um dieses Machwerk treffend zu charakterisieren.“

Der arme Herr Graukeiler, werdet ihr jetzt denken, nun bekommt er schon wieder ein Beleidigungsverfahren und sein Anwalt dazu, denn schließlich ist das Gedicht, was er zitiert, doch von Erich Fried. Aber habt keine Angst, jetzt kommt das happy end: Der unbestechliche Staatsanwalt Stocker, der uns so oft als ungnädig erschienen war, ließ Gnade vor Recht ergehen. Er leitete kein neues Verfahren ein und stellte das alte Verfahren gegen Herrn Blauzeiler ein. Zur Begründung kramte er ein schon fast in Vergessenheit geratenes Grundrecht hervor: „Die gesamten Wertungen sind jedoch unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts der Meinungsfreiheit im Hinblick auf die von der Rechtsprechung inzwischen weitgesteckten Grenzen für kritisierte Werturteile noch als zulässige Kritik zu werten.“

Und so bleibt Herr Schmähweiler der CSU und dem Gau München zu unser aller Freude unversehrt erhalten. Vergelts Gott, Herr Stocker.

rossi


Blatt. Stadtzeitung für München 124 vom 7. Juli 1978, 4.

Überraschung

Jahr: 1978
Bereich: Bürgerrechte

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