Materialien 1978

Wie die Münchner Bahnpolizei BEFA 7 praktiziert

Seit einigen Wochen sind in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften (Frankfurter Rundschau, Stern, Zeit, Spiegel) heftige Angriffe gegen die Fahndungsmaßnahmen der Staatsschutzorgane erhoben worden. Spät, vielleicht zu spät, haben auch liberale Kritiker begriffen, dass durch geänderte und immer neue Gesetze, durch umfassende Fahndungssysteme und neue Technologien in der Polizeiarbeit ein totaler Überwachungsstaat droht. Aufgeschreckt durch diese Kritik versuchte BKA-Präsident Herold abzuwiegeln und gab der Frankfurter Rundschau ein Interview, in dem er auch auf das BEFA-System einging.

Von der BEFA (Beobachtende Fahndung) sind in der BRD z.Z. ca. 6.000 Personen betroffen, die verdächtigt sind, überregionale Rauschgift- oder Waffenschmuggler, Falschgeldhersteller, Scheckbetrüger oder Mitglieder von Gruppen zu sein, die organisiert Eigentumsdelikte begehen, ausländische Arbeitnehmer illegal einschleusen, sich an Demonstrationen gegen Atomkraftwerke beteiligen oder militanten Widerstand zu begehen. Jede dieser Deliktform erhielt eine Ziffer.

In der BEFA 7 sind z.Z. etwa 1.100 Personen registriert, darunter 600 Personen, gegen die bereits staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wegen Unterstützung einer „kriminellen Vereinigung“ laufen, Leute also, die angeblich Ausweise, Wohnungen oder Autos sogenannten „Terroristen“ zur Verfügung stellten oder sie auf andere Weise unterstützten. Von den restlichen 500 nimmt das BKA an – ohne einen konkreten strafrechtlichen Verdacht zu haben – , dass sie Gewalttaten begehen werden.

Alles in allem eine fragwürdige Sache, denn, wie gesagt, von den 6.000 Personen, die der BEFA unterliegen, geht es nicht um konkrete strafrechtliche Verfehlungen, alles beruht auf Vermutungen, Verdächtigungen, Denunziationen. Die Praxis beweist, dass der BEFA 7 auch Leute unterliegen, die kritische Artikel schreiben oder geschrieben haben, die sich ernsthaft mit den Ursachen der Gewalt befasst haben und sich nicht mit der staatlichen Schwarz-Weiß-Malerei begnügen. Herold versucht deshalb auch in seinem Interview abzuschwächen und hat für seine Polizisten laut Frankfurter Rundschau vom 4. August 1978 folgenden Rat zur Hand: „Du, Polizist, darfst gegen diese Personen nichts unternehmen, sie weder festnehmen noch durchsuchen. Da aber von diesen Personen eine Gefahr ausgeht, musst du der ausschreibenden Dienststelle rückmelden, dass du diese Person heute hier … angetroffen hast.“

Die Praxis sieht allerdings etwas anders aus, wie ich persönlich am 9. August diesen Jahres   morgens um 0.30 h im Münchner Hauptbahnhof erfahren konnte. Ich hatte um diese Zeit den Bahnhof betreten um mir bei den am Südausgang stehenden Verkäufern noch rasch die morgigen Tageszeitungen zu   holen. Plötzlich standen zwei Polizisten neben mir und verlangten meinen Ausweis. Es handelte sich um eine der üblichen Personenkontrollen, die in letzter Zeit immer häufiger erfolgen, Zeichen des überhand-nehmenden Polizeistaates. Einer der beiden Polizisten begleitete mich zur Wache an der Südseite des Bahnhofes. Man rief irgendeine höhere Stelle an und gab meine Personalien durch. Aus der Antwort vernahm ich, dass gegen mich nichts vorliegen würde, aber BEFA 7, also Notierung der Uhrzeit und des Ortes, wo ich angetroffen wurde, ob ich allein wäre und wie ich diesen Ort erreicht hatte (mit Auto, Bahn, zu   Fuß usw.).

Der Bulle, der mich zur Wache gebracht hatte, knurrte: „Aha, Terrorist ist er also, solche linken Vögel haben wir gerne“ und beschloss von sich aus, ohne jegliche Motivation (ich hatte sowohl einen gültigen Fahrausweis wie auch Ausweispapiere und Geld bei mir und war auch polizeilich gemeldet), mir ein Bahnhofsverbot zu   erteilen. Meinen Protest gegen diese Maßnahme beantwortete er mit einem kräftigen Tritt gegen das Schienbein. Als ich mir diese Tätlichkeiten verbat, flippte er völlig aus und brüllte: „Was!? Du wirst noch frech und leistest Widerstand? Jetzt werd ich dich mal zur S-Bahn bringen!“

Was das bedeutete, machte er mir auf dem Weg durch den Bahnhof klar, durch den sie mich zu zweit schleppten, wobei mich mein Freund und Helfer heftig und wortlos permanent in den linken Oberarm kniff: „Da haben wir eine Zelle, da nehme ich mir dich mal persönlich vor.“ Gesagt, getan, im Zwischengeschoss der S-Bahn Station am Hauptbahnhof schloß er einen Raum auf, der den Eindruck einer Zelle machte und drückte mich auf eine Bank, während sein Kollege draußen wartete. „So, jetzt zeig ich dir mal, wie wir mit Terroristen fertig werden“, brüllte er, zog seinen Gummiknüppel heraus und schlug auf mich ein. Den ersten Schlag in Richtung auf meinen Kopf wollte ich mit der linken Hand abwehren, er traf meine Uhr, deren Glas zersplitterte und die stehen blieb. Ich sah, es war 0.53 h. Als ich ihn darauf hinwies, dass er soeben meine Uhr kaputt gemacht hätte, schrie er: „Was, du beschuldigst mich, deine Uhr kaputt gemacht zu haben, meine Kollegen sind alle Zeugen, dass du mit einer kaputten Uhr gekommen bist!“ Nun ja, man weiß ja, was man von einem deutschen Polizisten zu halten hat. (Vor kurzem war ich als Zuschauer in einem Prozess gegen zwei Polizisten, die einen 18jährigen zusammengeschlagen hatten. Obwohl der Junge fünf Zeugen hatte, die das gesehen hatten, wurden die beiden Polizisten freigesprochen. Mich hatte nicht so sehr der Freispruch aufgeregt, das ist ja hierzulande normal, sondern vielmehr ihre freche Arroganz, mit der sie das Ganze hinnahmen, ihr Grinsen und ihre Überheblichkeit und die Art wie sie sich gegenseitig ihre Unschuld bestätigten.)

Auch mein kleiner Schläger war ein echter deutscher Polizist vom Scheitel bis zur Sohle. Mit Gummiknüppel, Fußtritten und Schlägen hieb er auf mich ein, traf Kopf und Arme, Beine und Körper. Inzwischen war noch sein Kollege eingetreten und sah von der Tür aus vergnügt zu. Dass ich nicht schrie oder bat aufzuhören, brachte ihn immer mehr in Erregung, auch meine Aufforderung, ruhig fester zuzuschlagen, damit mein Arzt später die Schläge auch genau diagnostizieren könne, trieb ihn immer mehr an.

Damit das Ganze auch noch einen legalen Anstrich erhalten würde – er kannte offenbar unsere Justiz – beschloss er schließlich, mich wegen Widerstand und falscher Beschuldigung (weil ich ihm die Zerstörung meiner Uhr vorgehalten hatte) anzuzeigen. Auf meine Einwände, dass ich die letzte S-Bahn noch erreichen müsste, weil ich am anderen Ende der Stadt wohne, meinte er grinsend: „Ich halte dich solange fest, bis die letzte Bahn weg ist, dann kannst du zu Fuß nach Hause gehen.“

Sie schleppten mich wieder quer durch den ganzen Bahnhof zurück zur Wache, wo er seine Anzeige tippte. Um 1.40 h konnte ich die Wache endlich verlassen, ich hatte wieder einmal die „Terroristenfahndung“ erlebt, Folge der gezielten Pogromhetze, wie sie in einem Polizeistaat üblich ist. Doch von diesen Folgen, dem Alltag der Betroffenen, liest man in unserer bürgerlichen Presse und ganz besonders in der Münchner nichts. Im Gegenteil. Der Münchner Merkur forderte in einem Leitartikel am 8. August das BKA auf, sich mal mehr um die Medien zu kümmern, damit sie nicht so oft „Terroristen“ zu Wort kommen lassen würden.

P.S.
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RA Jürgen Arnold
14.8.78

Strafanzeige
des Peter Schult …
gegen
einen – namentlich unbekannten – Beamten der Bahnhofspolizei wegen Körperverletzung im Amt u.a.

Namens und im Auftrag des Anzeigenerstatters erstatte ich Strafanzeige und stelle Strafantrag wegen Körperverletzung und Beleidigung. Ich beantrage die notwendigen Ermittlungen unter allen rechtlichen Gesichtspunkten durchzuführen und mir nach Abschluss derselben Akteneinsicht zu gewähren.

Der Beamte, der den Anzeigeerstatter nach dessen Darstellung grundlos geschlagen hat, wird von ihm wie folgt beschrieben: ca. 40 Jahre alt, kräftige Statur, ca. 175 groß, dunkelbraune Haare, sonnengebräuntes, ovales Gesicht. Die Identität des Beschuldigten lässt sich sowohl über die Dienstverteilung als auch über die BeFa 7 – Registratur ermitteln.

Die Vorfälle, die der Anzeigeerstatter schildert, sind so ungeheuerlich, dass nicht nur größtmögliche Schnelligkeit der Ermittlungen erwartet werden darf, sondern auch auf die Dienstvorgesetzten des Beschuldigten hinzuwirken ist, dass dieser bis zur völligen Aufklärung des Sachverhalts nicht mehr Dienst verrichtet.


Blatt. Stadtzeitung für München 127 vom 18. August 1978, 4 f.

Überraschung

Jahr: 1978
Bereich: Bürgerrechte

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