Materialien 1978

Modernes Theater München: „Ella“ von Achternbusch in der Fassung von Vlado Kristl

Zusatzvorstellung am 8. Mai, 18 h

Der Monolog „Ella“ läuft oder lief mit viel öffentlicher Anerkennung in Stuttgart. In München hat sich der sattsam bekannte Vlado, der das BLATT im BLATT erst erfunden, dann gegründet und schließlich im Zorn verlassen hat (inzwischen forderte er von uns dreißig Seiten für eine Mischung aus Revanche und Gegendarstellung, weil wie er sagt, die Strafe immer größer ist als der Anlass) des Stoffes angenommen. Wie aus einem Gespräch mit Uta Emmer vom Modernen Theater unschwer zu ahnen ist, kommt einiges auf uns zu. Hier das aus Platz- und machtpolitischen Gründen tendenziös gekürzte Gespräch:

Vlado: Achternbusch ist der einzige Filmer. Achternbusch ist mein Freund. Ich habe über Achternbusch einmal für den Spiegel eine Kritik geschrieben und ihn Eulenspiegel genannt. Sie wurde nicht veröffentlicht. Weil ich sagte, wenn er vom Seil runterfällt, werden ihn die Deutschen wie die Wölfe zerreißen. Wenn ich meine Meinung öffentlich sagen will, wird sie nicht gedruckt. Darum mache ich das Stück von Achternbusch.

Uta: Ist das der einzige Grund?

V: Natürlich nicht. Genauso wichtig ist mir die Möglichkeit, meine aktuellen und akuten Probleme mit der Alternativbewegung, mit der Redaktion BLATT, mit der linken deutschen Tageszeitung zu behandeln. Die Typen von der Alternativbewegung werden von Parteibildungen – Typ kommunistischer Partei – geschluckt. Es stellt sich akut die Frage der Anarchie.

U: Was sagst du dazu, dass ein nicht eingestiegener Darsteller die Meinung verbreitet hat, wir verarschen den Achternbusch?

V: Allerdings. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Biersäufer eine Sahnetorte verträgt. Die Anweisung, Achternbusch so zu sprechen, dass kein Inhalt (wenigstens der Inhalt, den er drin vergraben hat) herauszuhören ist, hat uns die Freiheit wiedergegeben. für die er eigentlich kämpft.

U: Du hast den Schauspiel-Eleven gesagt, sie müssen für ihre jeweilige Situation einfach eine Masche finden. Und vom Lernen eines Schauspielers möchtest du nichts hören.

V: Man muss sehr arm sein, um endlich zu wissen, dass Lernen Dienen ist. Gutes Theater dient niemandem. Im Sinne eines Straßentheaters, das nicht auf den Säulen der Gesellschaft gebaut ist. Klamotte und Klamauk der Clowns, wilder Rhythmus, wenn sich der Körper löst von der Seele.

U: Es ist so, dass eine Schauspielerin Achternbuschs Text spricht, so dramatisch wie das Wasser aus der Badewanne fließt. Sehr witzig, muss ich sagen. Wozu hat der Achternbusch den Text geschrieben?

V: Von Achternbusch ist nur das Geschriebene. Es muss in jeder Lage gesprochen werden können. Sonst ist es nicht gut geschrieben. Wir stellen es hiermit auf die Probe.

U: Was ist hier das Problem?

V: Im Münchner BLATT konnte ich gegen Scheiße nichts mehr tun und für die linke deutsche Tageszeitung auch nicht. Gewisse Typen von oben haben schon alles anders verordnet und die gehorsamen Typen einer gehorsamen Partei haben ungehorsame weggedrängt.

U: Also ist dieses Stück deine Antwort?

V: Jetzt kann man vielleicht auch den Text von Achternbusch endlich mal verstehen. Da kommt der junge Adler und reißt den Bakunin herunter und die Anarchistinnen sind keine mehr und die Bomben sind keine Bomben mehr und sogleich sind die Kommunisten da und gratulieren mit schicken Mützen. Der Staatsstreich der Alternativbewegung ist gelungen und siehe der Bürgermeister mit weißer Melone auf Afro-Look mit bunter Schleife überreicht die Urkunde für Verdienste an die BLATT-Anarchistinnen, die finanzielle Mittel gewährleistet zur Anschaffung weiterer Maschinen und Vergrößerung des städtischen Unternehmens BLATT. Und das letzte Wort von Achternbuschs Text „Ella“ verhallt aus der Sprechtüte: „Wo ist das Zyankali?“ Das Licht geht aus. Ein Spot auf die verlorengegangene Anarchie, auf die gescheiterte.

Uta Emmer: Ich möchte auch was sagen. Wir haben uns spät zum Festival gemeldet und alles Geld war schon weg. Das, was wir hier kriegen, reicht nicht für die Unkosten, aber wir wollten trotzdem hier spielen. Ihr könnt uns helfen, wenn ihr unser Plakat kauft. Es ist ein schöner Siebdruck.


Blatt. Stadtzeitung für München 120 vom 5. Mai 1978, 19.

Überraschung

Jahr: 1978
Bereich: Kunst/Kultur

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