Materialien 1978

Padua und Performance

Zu einem Streit um die Kunst – nicht nur in München
von Werner Marschall

1.

„Im übrigen scheint es nützlich, … an ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 3. Juni 1975 zu erin-
nern, wonach ,die Kunstfreiheit … zwar … vorbehaltlos, nicht aber schrankenlos gewährleistet’ ist.“ Mit diesem drohenden Hinweis unterstreicht der Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemälde-
sammlungen, Prof.Dr. Erich Steingräber, seine Attacke gegen „eine kleine, aber äußerst agile Cli-
que selbsternannter Meinungsmacher“, die „auch heute noch sorgfältig zwischen ,progressiver’, am Aufbau der linken Gesellschaft mitwirkender und ,reaktionärer’, weil ,unengagierter’ Kunst unter-
scheidet.“ Er nennt „insbesondere natürlich gewisse Exegeten des Götzen Duchamp, die Hand in Hand mit den politischen Anarchisten kämpfen …“ So in seinem Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung vom 11./12. November 1978. Dass moderne Kunst hierzulande gemanagt wird, ist nicht zu leugnen, aber die Stichwortreihe, „progressiv – links – Anarchisten – Bundesgerichtshof“ ist nicht kritisch gemeint, sondern ein ganz bestimmtes Programm.

Ein Sturm der Entrüstung veranlasst Steingräber zur Präzisierung (Interview im Münchner Mer-
kur vom 2./3. Dezember 1978): „Seitdem sich die Avantgarde in der Krise sieht und verunsichert ist – das datiert etwa seit der Kasseler documenta 1972, auf der Beuys noch sein ,Informationsbüro für direkte Demokratie’ eingerichtet hatte -, werden die gesellschaftsverändernden und revolutio-nären Ziele entweder nur noch hinter der vorgehaltenen Hand diskutiert, oder man hat, wie der achtzigjährige Herbert Marcuse, schließlich eingesehen, dass Kunst im Zeitalter der Massenmedien zur Systemveränderung nicht taugt. Das beherrschende neodadaistische Thema der euphorischen sechziger Jahre, ,Kunst und Leben’, hat mit der allgemeinen Wandlung des kulturellen Klimas an Bedeutung verloren, genau wie etwa die Diskussion über die ,Emanzipation’ nach schweren Schicksalsschlägen seit einigen Jahren verstummt ist. Das liegt auf derselben Ebene. Dennoch spielen die politisch argumentierenden Exegeten Duchamps in der heutigen Kunstszene noch durchaus eine, wenn auch weitgehend anachronistische, Rolle …“ Steingräber warnt vor einer „von der avantgardistischen Arroganz ,progressiv’ programmierten Einbahnstraße“ und verweist darauf, dass es auch im 19. Jahrhundert nicht nur „den revolutionären Courbet, sondern auch den lange belächelten ,Fall Böcklin’ gegeben“ habe (im Leserbrief).

2.

Steingräber ist höchster Museumsbeamter in einem Land, dessen Ministerpräsident jetzt Franz Josef Strauß heißt. In diesem Bayern ist vieles möglich: Am 14. November 1978 z.B, verbietet Prä-
sident Lobkowicz eine Lesung von Franz Xaver Kroetz in der Münchner Universität. Das Kultus-
ministerium verbietet den Haupt- und Realschulen und Gymnasien den klassenweisen Besuch des Aufklärungsstückes „Was heißt hier Liebe?“, das 1977 mit dem Brüder-Grimm-Preis ausgezeichnet worden ist. Aber – entgegen den Protesten dreier Münchner Künstlervereinigungen – lässt das 3. Fernsehprogramm am 16. Dezember 1978 fast eine Stunde lang einen Lieblingskünstler Hitlers, P.M. Padua, den Maler der „Leda mit dem Schwan“ und von „Der Führer spricht“, zu Bild und Wort kommen: „Ich habe mich nie politisch betätigt, was ich getan habe, war meine Überzeugung.“ Der Auftritt ist keine Überraschung. Hat Padua doch nach 1945 seine Porträtkunst weiterhin an den Spitzen von Wirtschaft, Politik und Kultur sehr einträglich geübt; und sie waren – von Flick bis Strauß – damit nicht unzufrieden.

Man sollte sich manchmal erinnern: Als Padua im „Haus der deutschen Kunst“ Triumphe feierte, wurden nicht nur die proletarisch-revolutionären Erben Courbets, sondern mit ihnen zusammen als „Kulturbolschewismus“ die ganze Avantgarde verfolgt und verboten. Ja, die bürgerlichen Mo-
dernen mussten besonders dazu herhalten, das „gesunde Volksempfinden“ gegen alles Progressive zu mobilisieren.

3.

Wie wenig derzeit die CSU-Kulturpolitik auf die integrative Kraft einer – bislang doch recht unpoli-
tischen – „Avantgardekunst“ setzt, zeigt der Berufungsskandal an der Münchner Kunstakademie. Für den Lehrstuhl „Malerei und Graphik, insbesondere große Komposition, unter besonderer Her-
vorhebung der Belange der christlichen Kunst“ wünscht sich Kultusminister Maier nicht etwa eine Künstlerpersönlichkeit mit international bekanntem Namen. Josef Mikl und Arnulf Rainer hatte der Berufungsausschuss auf die Liste gesetzt, in Sondervoten wurden von jeweils einem Akademie-
professor auch Ernst Fuchs und Otto Herbert Hajek vorgeschlagen. Aber Maier entscheidet sich für Bernhard Weißhaar, der nach Philosophie und Theologie Kunstpädagogik studiert, als Gymnasial-
lehrer und zuletzt – inzwischen Studiendirektor – in der Schulaufsicht, also in Maiers eigenem Mi-
nisterium gearbeitet hat. Natürlich findet sich jemand, der für ihn ein Sondervotum abgibt, damit den Bestimmungen des Bayerischen Hochschulgesetzes genüge getan ist.

Der Präsident und die Selbstverwaltungsgremien der Akademie halten Weißhaar für künstlerisch nicht qualifiziert und treten unter Protest zurück; die Studenten streiken, organisieren eigene Dis-
kussionsveranstaltungen und öffentliche Aktionen. Es kommt für einige Wochen zu einem breiten gemeinsamen Kampf von Lehrkörper und Studentenschaft, wie noch selten an einer Hochschule in diesem Land. Und sie haben die Münchner Öffentlichkeit auf ihrer Seite, dazu die Unterstützung des „Deutschen Künstlerbundes“ und aus anderen Hochschulen.

Wenn der Minister seinen Willen dennoch durchboxt, so nicht nur, um ein reaktionäres Gesetz einmal voll auszukosten und die Hochschulautonomie demonstrativ mit Füßen zu treten. Über den hochschulpolitischen Kraftakt hinaus wird ein Exempel statuiert, wie der Staat in Sachen Kunst zu bestimmen hat. Da reicht das Berufsverbot, wie es vor Jahren an der gleichen Akademie gegen den marxistischen Kunstwissenschaftler Dr. Richard Hiepe verfügt wurde, nicht mehr aus. Der künstle-
rische Freiraum, den Avantgarde – welcher Art auch immer – braucht oder sich schafft, ist dem Minister schon zu groß, er könnte missbraucht werden. Deshalb anstelle der Avantgardekunst eine Staatskunst (auf christlichen Grundlagen! Maier verweist gerne auf Weißhaars Kirchenfenster), vertreten durch Kunstbeamte.

4.

Der oben zitierte Steingräber-Leserbrief war zunächst nicht mehr als eine Stellungnahme zu Sor-
gen und Forderungen, wie sie z. B. bei einer Podiumsdiskussion laut wurden, die der Münchner Kunstverein am 10. Oktober 1978 veranstaltet hatte mit dem Thema „München: Schlusslicht der Kunstszene?“ Die Klagen über die Provinzialität der Landeshauptstadt, über das Fehlen einer städtischen Kunsthalle, die den Anschluss an das internationale „Ausstellungs-Karussell“ bringen könnte, die Forderung, der Avantgarde hier endlich eine Chance zu geben, verbindet eine Reihe Münchner Künstler, Kritiker, Galeristen mit dem städtischen Kulturreferenten Jürgen Kolbe, den die CSU – seit den Kommunalwahlen im letzten Jahr stellt sie den Oberbürgermeister und die Mehrheitsfraktion – vom alten SPD-Stadtrat übernommen hat. Als Kolbe im Dezember seine Vor-
schläge in einem Bericht zur Situation der bildenden Künste zur Diskussion stellt, muss es zum Zu-
sammenstoß mit der Steingräber-Linie kommen.

Und die CSU schlägt zu. Ende Januar verweigert sie dem Referenten die Jahreszuschüsse für ver-
schiedene Initiativen und Institutionen. Man müsse doch erst genau prüfen, wofür das alles ausge-
geben werden soll. Den drei Münchner Kulturläden z.B. werden statt je 30.000 nur je 5.000 DM bewilligt – Otto Lerchenmüller (CSU): „Man kann künstlerisches Wollen auch ohne viel Geld praktizieren.“ Im Sektor Bildende Kunst sind 680.000 Mark betroffen.

Die CSU zeigt, wer Herr im Haus ist. Grotesk reagiert der Kunstverein: Weil die städtischen Zu-
schüsse fragwürdig geworden seien, sei die finanzielle Existenz in Gefahr. „Vorsorglich“ wird deshalb dem seit einem Jahr tätigen (und sehr rührigen!) geschäftsführenden Direktor und einer eben erst eingestellten Halbtagskraft gekündigt. Leere Taschen – volle Hosen?

5.

Endlich am 20. Februar soll der Kulturausschuss den Kolbe-Bericht beraten. Vorher zerfetzt ihn die CSU in der Presse: Das Papier „deklassiert die in München heimischen Künste Malerei und Plastik als Kunstformen des vergangenen Jahrhunderts und beansprucht den Oberbegriff jedweder ,Moderne’ für die – lediglich von winzigen Minderheiten praktizierten – Ausdrucksformen von Video, Performance und Happening.“ Steingräber zum Demagogischen hin wendend, sucht die CSU die „Schweigenden“ in der Kunstszene zu mobilisieren gegen „winzige“, wohl radikale, ganz unmünchnerische „Minderheiten“, die die „totale Verweigerung des formalen Gestaltungsaktes“ propagieren.

So liest es der Münchner am 20. Februar morgens in der Zeitung. Anderntags scheint sich der „Kulturstreit“ in „Harmonie“ aufgelöst zu haben. Einen Teil der CSU-Anträge hat der Ausschuss einstimmig, einiges zwar nur mehrheitlich beschlossen, aber auch von den SPD-Vorschlägen kommen mehrere zum Zuge. Über die Gelder für Kunstverein, BBK, Schutzverband bildender Künstler (in der Gewerkschaft Kunst), Galerien u.a. muss im März nochmals verhandelt werden. Aber die CSU lässt die Kolbe-Schelte einschlafen, und Kolbe findet nach der Sitzung, jetzt sei doch mehr herausgekommen als erwartet.

Der Schlagabtausch auf kommunaler Ebene (anders als die Kompromisslosigkeit im Fall Weiß-
haar!): CSU haut auf „den Tisch – SPD verstimmt bis verschüchtert – CSU gönnerhaft entgegen-
kommend – SPD „rettet, was zu retten ist“ – Einigung bis zur nächsten Runde … Aber nach jeder dieser Runden ist die kommunale Kulturpolitik ein Stückchen nach rechts verrückt, ist die staat-
liche Kontrolle über die kommunale Kulturarbeit ein wenig vollständiger, läuft die Selbstzensur etwas reibungsloser, ist der Freiraum der Kunst weiter eingeengt.

6.

Was hat die Mehrzahl der in München lebenden Künstler von all dem? In den Papieren bei der Fraktionen kommen sie nur am Rande oder als Adressat demagogischer Passagen vor. Die pro-
jektierten Maßnahmen, selbst wenn sie verwirklicht werden, ein Atelierbauprogramm, Förderpreis usw., reichen bei weitem nicht zu einer gründlichen Verbesserung der Arbeitsbedingungen, von der notwendigen Förderung eines engeren Kontaktes zwischen den Künstlern und dem Münchner Publikum, z.B. auch in den äußeren Stadtvierteln, gar nicht erst zu reden.

Im Gegenteil: Am 1. Juli 1979 soll der Berufsverband aus seinen Ausstellungs- und Geschäftsräu-
men in der Maximilianstraße ausziehen, weil hier der Staat die große Wittelsbacher-Gedächtnis-
schau, ein CSU-Prestigeprojekt nach Staufer-Art, für 1980 vorbereiten lassen will. Das Haus gehört dem Staat. König Max II. von Bayern, der Bauherr, hat die Erdgeschossräume für die Künstler be-
stimmt. Es gilt aber eine generelle vierteljährliche Kündigung. Immerhin war die Miete bisher recht gering. Ersatzräume, Zuschüsse für einen Umzug, Entschädigung bei höheren Mieten? Das Kultusministerium will „behilflich“ sein, aber nichts ist zugesichert.

In der Mitgliederversammlung des BBK München am 3. Februar ergab ein Meinungsbild die fast einstimmige entschlossene Ablehnung der Freigabe der Räume. Der Rausschmiss wird als Exi-
stenzbedrohung des Verbandes empfunden. Allein werden ihn die BBK-Mitglieder kaum verhin-
dern können.

7.

Aber vom Vormarsch der Kulturformierung und -reglementierung sind viele betroffen, Solidarität ist nötig und müsste zu erreichen sein. Der Widerstand an der Akademie war breit und heftig, aber kurzlebig, politisch unklar, ohne Orientierung. Der Kunstvereinsvorstand hat vorschnell kapitu-liert. Der bayerische BBK ist – kurzschlüssig, meine ich – aus dem Bundesverband ausgetreten, vom Vorstand begründet, als hätte ein Steingräber hineingeredet. Das trägt sicher nicht zur Stär-kung der Position der Münchner Künstler bei und sollte jetzt neu überdacht werden – wie auch die Frage der gewerkschaftlichen Orientierung. Um so mehr Verantwortung trägt in diesen Auseinan-dersetzungen der Schutzverband, der ja seit der Nachkriegszeit Mitglied in der Gewerkschaft Kunst im DGB ist.

Die Münchner Kulturschlachten treffen nicht nur die Künstler. Sie sind auch keine rein lokalen Vorgänge. Wie schon öfter, können sie eine Vorreiterfunktion haben über Bayerns Grenzen hinaus. Zumindest ist aus ihnen einiges zu lernen.


tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 124 vom März/April 1979, 6 f.

Überraschung

Jahr: 1978
Bereich: Kunst/Kultur

Referenzen