Materialien 1978
„Ihnen ist eben alles zuzutrauen“
Schwierigkeiten einer Ex-Bankräuberin
Der Bundespräsident mahnte kürzlich die Terroristen zur Umkehr und versprach ihnen „rechtsstaatliche Behandlung". Wie aber geht es einem Menschen, der dies auch tatsächlich versucht, der nach Verbüßung seiner Strafe in der Gesellschaft und nicht im Untergrund leben will?
Margit Czenki, bekanntgeworden durch einen politisch motivierten Banküberfall (Beute 54.382,66 Mark) im Jahre 1971 in München und daraufhin zu sechseinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, versucht diesen Weg. Allen Widrigkeiten zum Trotz. Denn seit die heute 35jährige Frau vor zwei Jahren aus dem bayerischen Frauengefängnis Aichach auf Bewährung entlassen wurde, machen Polizei und Presse, Staatsanwaltschaft und Wohnungsvermieter ihr immer wieder Schwierigkeiten. Ihr Strafmaß hat die Kindergärtnerin und Heilpädagogin wohl abgesessen, doch die Strafe hängt ihr immer noch nach. Einmal Bankräuberin – immer Bankräuberin?!
Die Entwicklung Margit Czenkis zur politischen Gewalttäterin passt ins soziologische Lehrschema über Anarchisten: Kindheit in einer warmen, wenn auch armen Stuttgarter Familie („ich hab gelebt wie in einem Nest"), Staatsexamen als Kindergärtnerin, Ehe mit einem Hochschuldozenten, ein Kind; 1969 Ausbruch aus der Bürgerlichkeit, Selbstbestimmungsversuche in einer Münchner Kommune, Hochschule für politische Wissenschaften, Kampf um einen Uni-Kinderladen. Bei einer Demonstration von Studenten mit Kindern vor dem bayerischen Kultusministerium sieht sie, dass heranstürmende Polizisten keinerlei Rücksicht auf die Kleinen nehmen: „Da sind wir nichts wie weg, obwohl wir doch nur gerufen hatten: ,Wir wollen einen Kinderladen.’“
Es folgen Hausdurchsuchungen, Diskussionen über bewaffneten Widerstand, Demonstrationen, Protestmärsche, dazwischen die Scheidung. Im Hintergrund der Krieg in Vietnam, der Einmarsch amerikanischer Soldaten in Kambodscha. 1971: „Irgendwann hat’s mir gereicht und wir haben die Bank gemacht."
Am Tag vor Weihnachten 1975 wird Margit Czenki entlassen. Mit 33 Jahren denkt sie jetzt differenzierter über die Möglichkeiten gesellschaftlicher Veränderungen: „Ein Leben im Untergrund kommt für mich nicht mehr in Frage." Das für ihr Bewährungsgesuch zuständige Oberlandesgericht München stellt zwar fest, „dass ihre politische, als Tatmotiv dienende Grundüberzeugung von der Ungerechtigkeit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung im wesentlichen uneingeschränkt fortdauert“. Doch kommt es schließlich zu der Auffassung, dass die Gefahr einer abermaligen Straffälligkeit als gering einzuschätzen sei. Für ihren Anwalt Jürgen Arnold war der Gerichtsentscheid ein „mutiger Entschluss, weil meines Wissens zum erstenmal eine politische Straftäterin zur Bewährung aus der Haft entlassen wurde“.
Jetzt sitzt Margit Czenki zwischen allen Stühlen, Den Typus „angepasstes Frauchen“ verkörpert
sie nicht, hat auch nicht vor, so zu werden. Ihre politische Mündigkeit will sie sich nicht nehmen lassen und ist damit den Justizbehörden „nicht ganz geheuer“. Sie arbeitet heute in einem Schüler-
laden und bei einer alternativen Städtezeitung. Ihren ersten Job als Sekretärin in einem Reisebüro hatte sie über Nacht verloren, nachdem dort zwei „zivile Herren“ aufgetaucht waren und Fragen gestellt hatten.
Wieder folgen Hausdurchsuchungen, nicht nur bei ihr. Auch bei ihrer Mutter, die mit Margits 90jähriger Oma in Stuttgart lebt, stehen eines Morgens schwerbewaffnete Beamte in der Woh-
nung. Nicht viel besser ergeht es Freunden und Bekannten der Ex-Anarchistin. In der Schweiz
wird Margit Czenki einmal fünf Tage lang festgehalten und dann als unerwünschte Ausländerin abgeschoben. Auch ein Urlaub in Griechenland wird ihr auf diese Weise verwehrt. Die Gründe dafür erfährt sie nicht.
Mehrmals und ohne erkennbaren äußeren Anlass wird auch der Schülerladen, in dem Margit Czenki arbeitet, von bewaffneten Polizeitrupps durchsucht. Bei einer Wohnungsdurchsuchung werden Wecker und Sektkorken beschlagnahmt. „Ihnen ist eben alles zuzutrauen“, heißt es lakonisch. Und die Staatsanwaltschaft bestätigt ihr schriftlich: „Frau Czenki ist wegen eines politisch motivierten Verbrechens im Bereich der Schwerkriminalität vorbestraft. Sie muss es daher hinnehmen, dass die Polizei sie bei Vorliegen auch keineswegs dringender Verdachtsmo-
mente zunächst einmal in den Kreis der Tatverdächtigen aufnimmt.“ So wird zunächst einmal ihr zugetraut, einen Molotowcocktail in ein Kino, wo Joachim Fests Hitlerfilm lief, geworfen zu haben; bei jedem Bankraub durch eine Frau taucht wieder ihr Name auf. Und sie muss es hinnehmen, dass ihr Vermieter ihr im „Hinblick auf die letzten Gewaltverbrechen in der BRD“ kündigt.
Schlimmer kam es im Mai vergangenen Jahres. Als zur Urteilsverkündung in Stammheim ihre Wohnung ebenso wie die anderer Wohngemeinschaften in München rund um die Uhr observiert wird, protestieren die Betroffenen spontan vor dem Amtsgericht. Margit Czenki wird herausgegrif-
fen und vorübergehend festgenommen. Jetzt erwartet sie ein Verfahren wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. Gleichzeitig wurde die Aufhebung ihrer Bewährung beantragt. Trotz einer Flut von Bittgesuchen für sie beim zuständigen Richter drohen ihr nun weitere Jahre hinter Gittern. Ihr Anwalt befürchtet Schlimmeres: „In der Zwischenzeit gibt es wahrscheinlich die Sicherheitsver-
wahrung und Frau Czenki kommt gar nicht mehr heraus.“
Adelheid Ohlig
Die Zeit 7 vom 10. Februar 1978.