Materialien 1978
Ein Jacobiner in München
Wer erinnert sich noch an die große Zeit der Ein-Mann-Verlage und ihrer Zeitschriften, die zwi-
schen 1910 unzähligen jungen Autoren die erste Chance gaben und so zur Blütezeit der deutschen Literatur in den 30er Jahren maßgeblich beitrugen. Wer erinnert sich noch an Franz Pfemferts »AKTION«, an Herwarth Waldens »STURM«, an die »FACKEL« von Karl Kraus oder an Jacob-
sohns »WELTBÜHNE«? Nicht die großen Verlage waren es, die dem Expressionismus zum Start verhalfen, sondern diese Einzelkämpfer der Literatur, die in jeder neuen Ausgabe ihrer Zeit-
schriften einen neuen Autor zu Wort kommen ließen, hieß er nun Georg Heym, Franz Kafka, Gottfried Benn, Ernst Toller, Georg Kaiser, Kurt Tucholsky, Franz Werfel, Else Lasker-Schüler, Bertolt Brecht oder Arnold Zweig. Selbst Ernst Rowohlt, Peter Suhrkamp und Samuel Fischer hatten noch etwas von jener Ein-Mann-Atmosphäre an sich und wagten literarische Experimen-
te. Der Druck des ersten Buches eines jungen Autors konnte mitunter über Aufstieg oder Unter-
gang eines Verlages entscheiden. Den Epigonen heute dienen diese Namen nur noch als Aushän-
geschilder, hinter denen sich Kulturkonzerne und Literaturfabriken verbergen. »Bestseller« sind nicht mehr das Ergebnis literarischer Qualitäten, sondern nur noch Produkte einer finanzträchti-
gen Public-Relations-Arbeit, Experimente sind, wie bei der CDU, verpönt. Literatur wird wie Autobenzin oder Margarine gemanagt und die Konzentration der Produzenten verläuft dement-
sprechend.
Die Situation der Ein-Mann-Verlage ist hoffnungslos, aber nicht ernst, das liegt wohl an der zähen Konstitution dieser Spezies. V.O. Stomps, der kurz nach dem letzten Kriege mit seiner Eremiten-Presse die alte Tradition wieder aufleben lassen wollte, konnte davon ein Lied singen. Nachdem er von Günther Grass bis Christoph MeckeI so ziemlich der gesamten deutschen Nachkriegsliteratur den Start ermöglicht hatte, machte er Pleite und in seinem Stierstadter Domizil nisteten sich Mäu-
se ein. Trotzdem lassen sich andere nicht abschrecken und versuchen immer wieder mutig das Fass ohne Boden zu füllen oder die Quadratur des Kreises zu ergründen.
Einer, der es aus eigener Erfahrung wissen muss, schildert das Schicksal von Kleinverlegern fol-
gendermaßen:
»Sie erstachen sich mit antiken und Kaufhofdolchen, Kurz- und Langschwertern, Krummsäbeln und Kartoffelschälern, verschiedene starben durch Einnahme von Zyankali, Arsen, Trinkwasser, Methylalkohol, Bier, Radium, Wienerwald-Hähnchen, Quecksilber, Digitalin, E 605, Stadt- und Autoabgas, Veronal, Opium; andere hüpften in Seen und fließende Gewässer, zündeten sich mit Napalm und Molotowcocktails aus Benzin und Oel der verschiedensten Mineralölfirmen an, schossen auf sich mit Kugeln aus Pistolen, Revolvern, Winchestergewehren, Arkebusen, Kanonen, Mörsern, sprengten sich mit Nitroglyzerin, Trinitrotoluol, Dynamit auf öffentlichen oder Privat-
grundstücken mit diesen in die Luft, töteten sich durch Fließbandarbeit, Gefängnisbesuch oder auffälliges Verhalten in der Nähe von Polizisten.«
Trotzdem gibt dieser Selbstmordkandidat nicht auf. In unregelmäßigen Abständen schickt er eine Taube aus seiner Arche Noah in der Martin-Greif-Strasse und läßt sie über die kulturlose Beton-
wüste des spätkapitalistischen Zeitalters segeln, in der Hoffnung, dass sie ihm eines Tages das Auftauchen des Landes Utopia verkünden möge (inzwischen würde er sich schon mit einer sozia-
listischen Gesellschaft begnügen), für das zu streiten er nicht müde wird. Diese Taube nennt sich »Martin-Greif-Bote« und hat eigentlich gar nichts mit dem gemütlich-romantischen Dichter glei-
chen Namens gemein. Auch der Vergleich mit einer Taube hinkt, denn dieser seltsame Vogel hat sehr scharfe Krallen, wovon einige Strafanträge der Bayerischen Justiz künden. Der Archen-Besit-
zer, mit bürgerlichem Namen Heinz Jacobi, erinnert mich immer an eine Riesenkrake, die mit ihren unzähligen Armen saugend, schraubend, würgend durch den Klassenstaat schwebt, ihn ana-
lysiert, attackiert, glossiert, demaskiert. Ein Konglomerat aus valentinscher doppelbödiger Komik, pfemfertscher aggressiver Polemik, und krausschem Sprachstil und tief im Innern verbirgt sich die Seele eines Jakobiners.
Entlarvend mitunter seine Stilblüten, die er der bürgerlichen Presse aus der Nase zieht, z.B. die SZ zur Herstattpleite: »Jeder, der Geld auf der Bank hat – und wer hat das nicht – wurde in dieser Woche von einer Nachricht aufgeschreckt …« oder: »… die Israelis melden 500 syrische Tote … nach diesen trockenen Nachrichten nun Musik mit Helga Simons…« (BR I am 8. Oktober 1973 um 01.00 Uhr nachts).
Lange bevor linke Verlage Peter Paul Zahl entdeckten oder wiederentdeckten, las ich im Martin-Greif-Boten die ersten Gedichte von ihm, August Kühn veröffentlichte hier vor seinen Romanen Erzählungen und Stücke und der Atlantikschwimmer Herbert Achternbusch konnte im Boten seinen praeandechser Gefühlen freien Lauf lassen, getreu der Devise »Du hast zwar keine Chance, aber nutze sie«. Auch hier knüpft Jacobi an die Tradition der alten Ein-Mann-Verlage an und wagt Experimente.
Und dazwischen immer wieder Jacobis sprachliche Kraftakte, sein beißendironischer Stil, den die FAZ einmal mit Karl Kraus verglich: »Zur Auflockerung schreckt der Bote die Kader der Aberglau-
bensanstalten (Dreieinigkeitsbande) in ihren Schlupfwinkeln und konspirativen Wohnungen Gottes« oder »Eduard Zimmermann, der Ersatzbuback« und die Steigerungsform »Dreck, Dreg-
ger, Hitler«.
Soeben ist nun der Bote Nr. 8 erschienen, in neuer Aufmachung, roter Offsetdruck auf grauem Papier mit Chromolux-Umschlag, 176 Seiten für 14,- (im Abonnement 12,-DM). Er enthält Ge-
dichte von P.P. Zahl und Herbert Achternbusch, Epigramme von Arnfrid Astel und zahlreiche Glossen, Artikel, Kommentare und Aphorismen von Jacobi, teilweise in Cooperation mit Eckert Menzler. Zu wünschen wäre, dass der Martin-Greif-Bote, das Produkt des kleinsten Verlagsim-
periums der Welt, eine größere Verbreiterung fände. Er ist in der Basis Buchhandlung, im Tramplpfad oder direkt beim Verlag, der Maistraßenpresse, in der Martin-Greif-Straße 3, er-
hältlich.
Peter Schult
Blatt. Stadtzeitung für München 121 vom 26. Mai 1978, 17.