Materialien 1978
Warum Bayern eine Bürgerinitiative Rundfunkfreiheit braucht
Das bayerische Rundfunkgesetz gilt als eines der liberalsten und fortschrittlichsten in der Bundesrepublik. Bis 1970, unter der Intendanz von Christian Wallenreiter, unterschied sich der Bayerische Rundfunk kaum von anderen Anstalten. Aber offensichtlich war er der CSU zu liberal und vor allem zu parteiunabhängig. Plötzlich häuften sich die Angriffe einer Handvoll Abgeordneter: Der Bayerische Rundfunk sei „links unterwandert“, sei „unausgewogen“, sei auf dem Weg, wie schon der WDR, zum „Rotfunk“.
Bestrebungen, das Rundfunkgesetz zu ändern, wurden laut, gekoppelt mit der Drohung, den ARD-Verband zu verlassen, gekoppelt auch mit der Praxis, sich immer wieder aus unliebsamen Sendungen auszuschalten oder damit zu drohen. Auch der Knüppel kommerziell betriebener Sender wurde aus dem Sack geholt.
Zielstrebig machte sich die CSU ans Werk, den Bayerischen Rundfunk nach ihrem Geschmack umzumodeln: Christian Wallenreiter wurde durch den jetzt noch amtierenden Intendanten Reinhold Vöth ersetzt; statt des Chefredakteurs Heigert, der nicht unbedingt unter CSU-Mitglied Oeller arbeiten wollte, kam Rudolf Mühlfenzl ans Ruder; Franz Stephan wurde anstelle von Dagobert Lindlau die Leitung der politischen Sendung „report“ zugeschustert. Kurz: die Spitzenpositionen waren plötzlich von CSU-Mitgliedern oder -Sympathisanten besitzt. Thilo Schneider bekam sechs redaktionelle Einheiten – er stellt das dem Proporzdenken entsprechende SPD-Gegengewicht dar und sollte eigentlich gleichberechtigt sein -, Mühlfenzl jedoch 16. Bei aktuellen Sendungen war Schneider Mühlfenzl unterstellt. Die liberale „report“-Mannschaft hatte inzwischen mehr oder weniger freiwillig den BR verlassen.
Um die weitere Entwicklung in CSU-Richtung zu stoppen, hatte sich1972 das „Landesbürgerkomitee Rundfunkfreiheit“ zusammengefunden, um auf dem Weg einer Volksabstimmung die Umwandlung des Bayerischen Rundfunks in einen Parteifunk mit Hofberichterstattung zu verhindern. Es gelang. Das Rundfunkgesetz wurde nicht geändert, die privaten Sender nicht zugelassen. Danach wurde es still um den BR, das Landesbürgerkomitee hatte sich aufgelöst. Doch die CSU feilte im Stillen an ihren Plänen weiter.
Im Frühjahr 1974 kam es wegen rapider Kostensteigerungen im BR zu Programmkürzungen. Drei von vier betroffenen Redaktionsleitern wären „zufällig“ SPD-Sympathisanten gewesen. Doch dieses Vorhaben wurde vom massiven Protest von SPD und Gewerkschaften zunächst gestoppt. Bis zum überwältigenden Wahlsieg der CSU, als Franz Schönhuber sich vom vehementen Juso-Verteidiger zum linientreuen CSU-Mitglied gemausert hatte und plötzlich zum Hauptabteilungsleiter „Bayern-Information“ bestallt wurde; und als die übrigen personalpolitischen und strukturellen Veränderungen im BR in dieselbe Richtung liefen.
Als der „Rechtsruck“ in Politik, Wirtschaft und Kultur nicht mehr zu übersehen war, fand sich im Frühjahr 1975 in München eine Gruppe engagierter Journalisten, Politiker und Juristen zusammen, um zu versuchen, das Wenige zu retten, was noch zu retten war. Diese „Bayerische Initiative Rundfunkfreiheit“, kurz BIR genannt, hat sich zur Aufgabe gesetzt, die Arbeit des „Landesbürgerkomitees Rundfunkfreiheit“ fortzuführen. Wir sind der Meinung, dass es z.Zt. um den BR sogar noch schlimmer bestellt ist als 1972. Die CSU hat den Rundfunk fester denn je im Griff. Wir sehen unsere Aufgabe darin, die Öffentlichkeit in verständlicher Weise über Vorgänge im BR zu informieren (Strukturveränderungen, Rundfunkratsitzungen, verschobene oder abgesetzte Sendungen, neue Pläne wie das Bayerische Vollprogramm, ab 1. Januar 1978 und das Pilotprojekt des Kabelfernsehens).
Interne Vorgänge in Medien wie dem Bayerischen Rundfunk sind nämlich in der Öffentlichkeit so gut wie unbekannt.
Deshalb will die BIR ihre Kritik an den inneren Zuständen im BR öffentlich machen, um dadurch zu erreichen, dass Mitarbeiter des BR, die sich dem Meinungsdiktat der CSU nicht beugen, wieder unabhängig von der Gunst dieser Partei und dem Wohlwollen der als „gesellschaftlich relevant“ geltenden Gruppen berichten dürfen.
Im Augenblick ist es so, dass jede Sendung, von der angenommen werden kann, dass sie nicht auf CSU-Linie liegt, automatisch in Franz Josef Strauß’ Hochburg, der Lazarettstraße, mitgeschnitten wird. Gleich anschließend werden dann Intendant Vöth und die Rundfunkratmitglieder mit Beschwerdebriefen attackiert, deren Absender unschwer auszumachen ist: Gerold Tandler. Das ist nur einer der Mechanismen der Einschüchterung – neben Personal- und Strukturpolitik -, mit denen die CSU massiven Druck auf den BR ausübt. Auch im Rundfunkrat, der – eigentlich als demokratisches Kontrollorgan konzipiert – sein Wächteramt nur noch mühsam wahrnehmen kann, geben mittlerweile die Christsozialen den Ton an.
Wir meinen, jede öffentlich-rechtliche Anstalt, jede demokratische Einrichtung, braucht eine öffentliche Kontrolle. Was „Rundfunkfreiheit“ in Bayern bedeutet, wird aber ausschließlich von der CSU bestimmt. Ihr Begriff von „Ausgewogenheit“ und „Meinungsvielfalt“ hat das Spektrum unerträglich reduziert. Deshalb betrachtet die BIR ihre Aktivität als einen der möglichen Kontrollmechanismen gegenüber einem der reaktionärsten Sender in der Bundesrepublik, dem Bayerischen Rundfunk.
Im Mai 1975 begannen wir mit einer Unterschriftenaktion gegen den kurz zuvor gesendeten Film „Chile heute – Ausnahmezustand“, einer eindeutigen Verherrlichung des Mörderregimes unter General Pinochet.
Im Juli folgte eine Podiumsdiskussion mit Vertretern von Parteien, Gewerkschaft und Schriftstellerverband zum Thema: „Schreckschuss aus Bayern, der Freistaat und seine Medienpolitik“. Anlass war einmal mehr die Drohung, Bayern wolle den ARD-Verband verlassen.
Im Herbst 1976 brachten wir im Selbstverlag eine Broschüre mit dem Titel „Was ist mit unserem Rundfunk los?“ heraus, in der der Griff der CSU nach dem BR ausführlich dokumentiert wurde. Justitiare des Senders fanden trotz heftigen Suchens an den haarsträubenden Berichten nichts auszusetzen -, man hätte die Sache gar zu gern durch eine einstweilige Verfügung gestoppt.
„Linke wollen den Bayerischen Rundfunk erobern“ unkte die Passauer Neue Presse darauf, und der CSU-Abgeordnete Rost witterte einen „marxistischen Denkansatz der Verfasser“, sprach von „Irreführung der Bevölkerung“, von „Agitation und Hetze“ – dabei waren in unserem Büchlein nur, sauber aneinandergereiht, die Fälle im BR dokumentiert, die dazu geführt hatten, dass aus dem liberalen Sender beinahe so etwas wie ein Parteifunk geworden war.
Eine Großveranstaltung über die Situation im BR mit Podiumsdiskussion und kabarettistischen Einlagen, Jazz und Volksmusik, außerdem ein Informationsabend über das Kabelfernsehen, waren die nächsten Aktivitäten der BIR. Das brachte uns zu dem Entschluss, über dieses Phänomen, das von vielen achselzuckend als „zu kompliziert“ abgetan wird, doch einmal etwas Verständliches und Lesbares zu veröffentlichen.
In der Zwischenzeit haben wir – soweit es uns möglich war – Programmbeobachtung getrieben, offene Briefe geschrieben, Pressemitteilungen herausgegeben, wegen verschobenen oder abgesetzten Sendungen protestiert, Flugblätter verteilt. Zuletzt ging es dabei um die Erweiterung des Bayerischen Studienprogramms zu einem Vollprogramm. Diese, mit verdächtiger Eile und den Stimmen der SPD-Rundfunkräte durchgepeitschte Neuerung heißt praktisch:
Der BR beginnt um 19.00 Uhr mit Unterhaltung (ZDF 19.30 Uhr, ARD 20.15 Uhr).
Nicht koordinierte Sendezeiten erschweren das Umschalten auf andere Programme.
Die ARD- Tagesschau wird nicht mehr übernommen. Dafür gibt es eigene, bayerische Nachrichten von maximal 3,5 Minuten, mit Standbildern, ohne Filme, aber mit „differenziertem Wetterbericht“.
Politik gibt es Montag und Donnerstag. Sie „präsentiert auf sympathische und anschauliche Art die kleine Welt der Bürger in Europa“ (so der neue Entwurf des Bayerischen Fernsehens, S. 12).
Bayern geht wieder einmal voran im Rückwärtsgang, andere „befreundete Sender“ werden folgen.
Das ist kein Zufall, dahinter steht eine großangelegte Kampagne. Die Unionsparteien arbeiten gezielt und mit allen Mitteln, um auch die übrigen Sendeanstalten, z. B. WDR, NDR, genauso fest in den Griff zu bekommen wie den BR. Elisabeth Noelle-Neumann, die unionstreue Meinungsforscherin, will nämlich herausgefunden haben, dass die SPD die Wahlen über die Mitarbeiter von Funk und Fernsehen gewonnen habe. Deshalb gibt es bei CDU/CSU im Augenblick nur eine fixe Idee: 1980 selber die Wahlschlacht übers Fernsehen zugewinnen.
Falls Ihnen die eine oder andere Sendung des BR nicht behagen sollte, beantwortet Ihre Beschwerde der Intendant
Reinhold Vöth
Rundfunkplatz
8000 München 2.
Über Ihren Durchschlag freut sich die Bayerische Initiative Rundfunkfreiheit e.V., Dr. Hella Schlumberger, Türkenstraße 61 Rgb., 8000 München 40.
Was ist, wem nützt, wer will Kabel-Fernsehen? Bayerische Initiative Rundfunkfreiheit e.V., München 1978, 74 ff.