Materialien 1979

Ist das Gleichberechtigung?

Frauen sollen „Rekrutenloch“ in der Bundeswehr stopfen

Erst war es der Deutsche Bundeswehr-Verband, eine rechtslastige Organisation von Berufs- und Zeitsoldaten, die über das Thema laut nachdachte. Dann meldete sich Alice Schwarzer in ihrer „Emma“ zu Wort. Und schließlich ließ auch Verteidigungsminister Hans Apel sich nicht länger bitten und erklärte, dass man über das Problem ernsthaft nachdenken müsste. Alle drei – und nicht nur sie – haben ein gemeinsames Anliegen: Sie wollen die Wehrpflicht für Frauen einführen.

Viele mögen diese Diskussion anfangs vielleicht für Geplänkel gehalten haben. Doch inzwischen ist klar, dass auf der Hardthöhe bereits eifrig an der Realisierung dieser Pläne gestrickt wird. Denn ein Zufall ist es sicher nicht, dass der Wehrbeauftragte der Bundesregierung, Berkhan, vor kurzem ebenfalls mit der Meinung an die „Öffentlichkeit trat, dass künftig auch Frauen bei der Bundeswehr an Waffen ausgebildet werden sollen.

Grundgesetzänderung?

Im Klartext heißt das: Man zieht bereits eine Grundgesetzänderung in Betracht. Denn bislang verbietet unsere Verfassung den Waffendienst für Frauen.

Natürlich haben sich die Verfechter eines Wehrdienstes für Frauen gut überlegt, wie sie dem weiblichen Geschlecht so einen Dienst in der „Schule der Nation“ schmackhaft machen können. Und so entdeckte ausgerechnet der Bundeswehrverband plötzlich sein Herz für die benachteiligten Frauen. „Emanzipation darf nicht vor dem Kasernentor halt machen“ heißt es in ihrer Broschüre „Gemeinschaftspflicht“, wo sie sich für die Frauenwehrpflicht stark machen.

Kein Schritt zur Gleichberechtigung

Nur, was ist das denn für eine Gleichberechtigung, die diese Herren den Frauen da anbieten? Was haben denn die Wehrpflichtigen in der Bundeswehr zu sagen? Fällt der Rekrut vielleicht die Entscheidung über neue Waffensysteme über Krieg oder Frieden? Was der Rekrut darf, ist stramm stehen, gehorchen und im Ernstfall im Schützengraben krepieren. Das ist die Gleichberechtigung, die den Frauen hier angeboten wird.

Aber es geht den Herren vom Bundeswehr-Verband ja auch gar nicht um Gleichberechtigung, Das ist nur der Köder, mit dem sie die Frauen fangen wollen. Die wirklichen Gründe sind nämlich weit weniger edel.

Zitat aus der Broschüre „Gemeinschaftspflicht“: „Die bevölkerungspolitische Entwicklung wird spätestens ab 1990 zwangsläufig einen Umdenkungsprozess auch hinsichtlich der Verwendung von Frauen in den Streitkräften notwendig machen. Dann nämlich stehen dem jährlichen Bedarf von 200.000 Wehrpflichtigen nur noch 160.000 gegenüber“, Im Klartext heißt das: Frauen sollen wieder einmal als Reservearmee herhalten, diesmal im buchstäblichen Sinne.

Aber die Herren vom Bundeswehr-Verband haben ihre Rechnung ohne die Frauen gemacht. Gewerkschafterinnen im ganzen Bundesgebiet haben angefangen, den Widerstand zu organisieren, sammeln Unterschriften, betreiben Öffentlichkeitsarbeit. Aus mehreren Gründen:

Einmal weil eine Wehrpflicht für Frauen nicht mehr Gleichberechtigung schafft, sondern genau das Gegenteil: Sie verschlechtert die beruflichen Chancen der Frauen noch mehr.

Zum Zweiten: Eine Ausweitung der Wehrpflicht auf Männer und Frauen steht im krassen Gegensatz zur Kernforderung der Gewerkschaften: nach weltweiter Abrüstung.

Die Gewerkschaften fordern seit Jahren die Senkung des Rüstungsetats. Und das nicht nur, weil die Gelder dringend für andere Dinge gebraucht würden, sondern weil wir wissen, dass weitere Aufrüstung den Frieden gefährdet.

Nur im Frieden aber haben die Arbeitnehmer eine Chance, sich für ihre Rechte einzusetzen, können die Frauen die Gleichberechtigung erreichen.

Ruth


wir. Information für Betriebsräte, Personalräte, Vertrauensleute, Jugendvertreter, hg. vom DGB-Kreis München 4/1979, 11.

Überraschung

Jahr: 1979
Bereich: Frauen

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