Materialien 1979
Betr.: Ihr Bericht über die Verurteilung des antifaschistischen Ehepaares v. Lehsten
Herrn
Erwin Tochtermann
Redaktion der
Süddeutschen Zeitung
Betr.: Ihr Bericht über die Verurteilung des antifaschistischen Ehepaares v. Lehsten wegen „Sachbeschädigung“ an neofaschistischen Plakaten in der SZ vom 4. und 5. Mai 1979
Sehr geehrter Herr Tochtermann,
Ihre Berichterstattung über die „symbolische“ Verurteilung des Ehepaares von Lehsten hat mich sehr befremdet. Dass die Frage, ob Plakatüberkleben IMMER Sachbeschädigung sei, beim Bun-
desgerichtshof zur Entscheidung ansteht, also gar nicht so zweifelsfrei ist, wie Richter Held und Ihre Überschrift suggerieren, ist nicht so relevant; sehr relevant auch nicht, was man von der de-
lirierenden Forderung des Staatsanwaltes Görlach (DM 2.300.-) halten soll. Wichtig aber ist, dass Sie verharmlosend von einer „symbolischen“ Geldstrafe reden können. 325 DM für das Überkleben „mittels Leim“ von 3 (in Worten: drei) neofaschistischen Plakaten mit KLEINEN Aufklebern ist mehr als nur symbolisch, um so eher aber, als der Aufwand an Zeit, Nerven und Geld beträchtli-
cher ist. Denn die Kosten des Ehepaares Lehsten belaufen sich (Gerichtskosten, Zeugen, Neben-
klägervertreter der Faschisten, eigene Anwaltskosten) auf circa DM 6.000.-. Solche Unkosten als symbolisch zu betrachten nähert sich dem Zynismus des Staatsanwaltes Görlach, der meinte, die Demokratie komme auch ohne Herrn v. Lehsten aus, und: „Die Regeln der Demokratie sind im STRAFGESETZBUCH festgelegt.“
Auf jeden Fall hätte es einer „liberalen“ Zeitung besser angestanden, auf die Fragwürdigkeit sol-
cher politischen Justiz einzugehen, statt ein Urteil zu beschönigen, das den antifaschistischen Auftrag des Grundgesetzes verhöhnt.
Mit freundlichen Grüßen
Heinz Jacobi
Der Bote Nr. 9. Der Martin-Greif-Bote. Die politisch-literarische Zeitschrift aus der Martin-Greif-Straße, München 1981, 120 f.