Materialien 1979

Wenn jezz nix lafft, werd baut ... !!!

Anti-Flughafen-Fest in Franzheim

Das erste Mal war ich in Franzheim vor zwei Jahren. Beim Osterspaziergang gegen den Großflughafen München II, der im Erdinger Moos gebaut werden soll, lernte ich diese gespenstische Ortschaft kennen: Einmal von siebenhundert Menschen, meist Bauern bewohnt, war es dort schon damals fast menschenleer. Die Häuser waren zum größten Teil verlassen, die Felder verkauft. Ein Plan, der noch immer nicht genehmigt ist, warf seine leblosen Schatten voraus. Bis heute hat sich dort nur geändert, dass alles noch mehr verfällt, heimlich zerstört und dann dem Erdboden gleichgemacht wird. Fünf bis sechs Leute leben heute noch draußen, allein gelassen von den einstigen Nachbarn, die längst umgesiedelt haben, weil sie für ihr Bleiben keine Zukunft mehr sahen. Von all dem, was in ihrer Umgebung geschah und geschehen wird, wollen diese letzten Übriggebliebenen, menschenscheu und verbissen geworden, nichts mehr wissen. Auf den Feldern, die im Besitz der Flughafengesellschaft FMG sind, dürfen die Pächter nicht mehr anbauen, was sie möchten. Es darf keine Freiland-Viehzucht mehr geben, der Anbau von Petersilie und anderen Sonderkulturen wird demnächst verboten. Auflagen, die ein Teil der schon jetzt getroffenen Maßnahmen sind, um das Gebiet des geplanten Flughafens so vogelfeindlich wie möglich zu gestalten. Franzheim liegt mitten in dem 23 qkm großen Gelände, das die FMG, in der sich der Bund, das Land Bayern und die Stadt München die Anteile teilen, bereits zu 85 Prozent aufgekauft hat. Sollte es nach ihrem, alles niederwalzenden Willen gehen, wird Franzheim, wie auch der Grund von vierzig landwirtschaftlichen Anwesen, der einmal der Gemüsegarten Münchens war, von der Startbahn und den gigantischen Abfertigungsgebäuden zubetoniert.

Dieses wohl größte technologische Projekt, das jemals im wachstumsfreudigsten Bundesland Bayern konzipiert worden ist, – der Todesflughafen im Nebelmoos kostet mehr als dreimal so viel wie das Atomkraftwerk Isar I in Ohu – hat zwar schon heute die meisten Menschen vertrieben, aber auch einen Widerstand der Bevölkerung auf die Beine gestellt, den dieses von der CSU pazifizierte Land in solchem Ausmaß noch nicht erlebte. Schon bald zehn Jahre lang läuft der Flughafenabwehrkampf, der zeitweise an die 75.000 Menschen in den Vereinigten Bürgerinitiativen und der Schutzgemeinschaft gegen den Großflughafen zusammengeführt hat mit fast 30.000 Einsprüchen bei den Anhörungen zum Planfeststellungsverfahren die Bürokraten beschäftigt und nun mit der Veröffentlichung des Planfeststellungsbeschlusses am 20. August in eine neue, entscheidende Phase tritt.

Trotz solcher Größenordnungen hat sich in München kaum jemand groß drum geschert, was all die Jahre da draußen gelaufen ist. Nun ist wieder einmal ein Aufruf in die Stadt gekommen, der zur Teilnahme am Kampf ums Moos lädt: In Franzheim läuft am Wochenende – drei Tage lang – ein Antiflughafenfestival mit Zeltlager, das locker, aber verzweifelt auf die jetzt brisant werdende Situation aufmerksam machen will. Die Erdinger und die anderen Bürgerinitiativen, die das Fest veranstalten, wollen nicht die große OpenAir Show abziehen, ein neues Ereignis präsentieren, bei dem es jede Menge Theater, Musik und sonstige Attraktionen zu schlucken gibt. Das Anti-Fest soll vor allem Gelegenheit schaffen, in diesen Tagen neue, wirkungsvollere und anhaftendere Verbindungen zu all jenen zu knüpfen, die sich – auch in der Stadt – noch angesprochen fühlen.

Wir sind letzte Woche nach Erding rausgefahren. Im Gasthaus „Zum Hirschen“, dem jungen, aber unwiderstehlichen Zentrum der Erdinger Flughafengegner, unterhielten wir uns mit einigen von ihnen eine schöne halbe Nacht lang. Was wir davon in die Stadt zurückgebracht haben, ist im folgenden auszugsweise wiedergegeben:

BLATT:

Was war damals hier draußen eigentlich los, als der Standort ins Erdinger Moos verlegt worden ist?

ERDINGER:

Das war im Herbst 1968. Das relativ dünn besiedelte Erdinger Moos wurde ausgewählt, weil sich die CSU-Prominenz den zunächst favorisierten Standort Hofolding im Süden Münchens verwehrt hatte. So mächtig wie die sich wehren konnten, war der Widerstand hier in der Gegend am Anfang nicht. Zunächst ist der von den Bauern ausgegangen, die durch die Vertreibung und Enteignung von ihren Ländereien bedroht waren. In den Städten Erding und Freising erhoffte man sich ja damals noch vom Flughafen Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und eine allgemeine Verbesserung der Infrastruktur. Die Leute in den umliegenden Städten, die Gewerbetreibenden und Pendler hielten sich zunächst raus.

Bei der ersten Demonstration der Bauern in Freising, die ich mitkriegt hab, da war ich fuffzehn Jahr. S’nächste Mal, als die mit de Bulldog nach München aufn Marienplatz g’fahrn san, war’n mir a dabei. Des war 1969/70. Mir ham dann a Mao-Tse-Tung-Plakat hochg’hom, aber des ham uns de Bauern glei runter g’rissen und uns vom Platz g’fotzt. Genauso wie’s den Ertl draußen im Moos aus’m Bierzelt g’watscht ham, dass dem sei Brilln kaputt ganga is. De Bauern, die damals drauf warn, de ham se von alle distanziert, die von irgendwelche fremde Ecken, mit anderen Interessen sich in ihre G’schichtn eing’mischt ham. Es gibt an Film aus dera Zeit. Da siehst den Humpelmayer im Bierzelt auf der Bank steh, wie er mit erhobner Faust schreit: Hebt hier die rechte Faust und sprecht mir nach: Wir werden sie zerschmettern!

Zwei Jahre lang waren die Bauern dabei. In dieser Zeit ist von anderen, von außen noch kaum Unterstützung gekommen. Die Linken in München haben sich nicht für die Probleme der Bauern interessiert und die Großstadt hat sie mit ihrer Öffentlichkeit nur lächerlich gemacht. Irgendwann ist dann der spontane Aktionsgeist der Bauern verpufft. Ohne Unterstützung und Verständnis in der Umgebung haben sie sich von den Straßen zurückgezogen. Ihr Protest ist zum privaten Problem geworden und getröstet hat sie vielleicht nur, dass ihr Auftreten wenigstens nicht ohne Folgen auf den Wert ihrer Ländereien blieb.

Nach de Bauern war’ns de Neufahrner, die weiterg’macht ham. Sie waren net durch Enteignung bedroht. Aber als sich herausg’stellt hat, dass das erste Lärmschutzgutachten unhaltbar war und sie sich in einem zweiten plötzlich innerhalb der eigentlichen Lärmzonen wiederg’fundn ham, wurde aus Neufahrn so was wie das Herz des Widerstands.

BLATT:

Neufahrn ist ja in den sechziger und siebziger Jahren eine der prosperierendsten Gemeinden in der Umgebung von München gewesen. Innerhalb von zehn Jahren entwickelte sich dieses einstige Bauerndorf zu einem vorstädtischen Handels- und Industriezentrum, dessen lokale Wachstumseuphorie sich von den Absichten der Flughafenplaner doch nur deshalb unterschied, weil sie durch deren übergeordnete Planungsziele empfindlich eingeschränkt wurde?

ERDINGER:

Ja, dazu kommt aber noch, dass viele Leute damals von München nach Neufahrn rausgezogen sind, weil sie sich ein ruhigeres Leben in einer erträglicheren Umwelt erhofften. Sie wollten sich nicht damit abfinden, demnächst in der An- und Abflugschneise eines der größten europäischen Flughafen zu wohnen.

BLATT:

Für ihren Widerstand hatten die Neufahrner andere Motive als die Bauern?

ERDINGER:

Ja, die ham og’fangt wega dem Lärm, weils g’merkt ham, dass bald nimma spaziern gehn kenna. – Als 1969/70 die betroffenen Gemeinden, der Bund Naturschutz und andere Institutionen und Personen die Schutzgemeinschaft als erste Organisation im Flughafenabwehrkampf gründeten, war von Wachstumsstop und Umweltschutz in der Lokalpolitik noch nicht die Rede. In der Zusammenarbeit mit den Bürgerinitiativen, zu denen sie eigentlich immer ein loyales Verhältnis gehabt hat und durch den umfangreichen Rechtsstreit, den sie geführt und koordiniert hatte, veränderte sich aber im Laufe der Zeit in ihr und den Bürgerinitiativen ziemlich viel

Die Leute hier draußen haben einfach gemerkt, dass dieses Riesenprojekt nichts mehr mit Kommunalpolitik zu tun hat, dass es in ihren Zusammenhängen, ganz gleich ob SPD oder CSU oder sonst einem Verein nicht mehr mitbestimmbar ist. Mit ihren politischen Möglichkeiten war da nichts mehr zu beeinflussen und schon gar nicht zu verhindern. Sie haben aber andererseits gelernt, das Flughafenproblem in einem größeren Zusammenhang zu sehn. Hier sagt niemand mehr, die sollen den Flughafen doch in Riem lassen und dort weiter ausbaun. Schon lange wird gefordert, dass ein Wachstumsstop notwendig wäre und dass der energie- und lärmintensive Verkehr, der Flugverkehr, reduziert werden muss, z.B. durch Einstellen der innerdeutschen Flüge. Es sind Vorschläge ausgearbeitet worden, wie und wohin man die Leute von Riem absiedeln könnte, wie man die Startbahn verlegen könnte, damit der Flugverkehr den Leuten nicht mehr so auf die Nerven geht. Es hat hier draußen eine Bewusstseinsänderung gegeben. Jedem in der Bürgerinitiative ist heute klar, dass es mit der Wachstumspolitik nicht mehr so weitergeht. Es haben aber auch viele resigniert. Nach an den Jahren ist das Verhältnis der Bürgerinitiativen zur Bevölkerung, die nicht aktiv mitmacht, immer mehr ein Nebeneinander geworden. Viele von ihnen glauben nicht mehr, dass der Flughafen zu verhindern ist und die reden dann natürlich ganz anders daher.

Auf so einem Volksfest hab i erst letztmal so oan wegam Flughafenfestival ang’sprochen. Der hat dann g’sagt, mei jetzt kemmts ihr daher, mit dem Flughafen, da hätts scho früher aufsteh müssn. Jetzt her amoi her, hab i zu ihm g’sagt, da wo mir hätten aufstehn müssen, da war i zwölf Jahr alt und wär hätt damals aufsteh müssn? Na hod er g’sagt – Dein Bart kannst da a amoi wieda schneidn. Da war ma fertig mitnannt.

BLATT:

Hat sich im Verhältnis der Jungen und Alten im Laufe der Zeit nichts geändert? Geht da heute nicht mehr wie früher zusammen?

ERDINGER:

Erst im letzten halben Jahr hat’s eine offenere Zusammenarbeit mit den sog. „Freaks“ hier draußen gegeben. Das Misstrauen von früher, die Angst vor den Chaoten, die Kritik der Bürokraten, steht jetzt nicht mehr so im Vordergrund.

De Alten san von sich aus auf uns zugekommen. Langsam merkens halt auch, dass sie’s alloa nimma z’reißen. Viele san zwar noch in der CSU, aber sie san auch radikaler worn. Sacha, die mir uns in der Versammlung gar net sagn traun, de herst heit von dene. Man muss aber auch sag’n, dass de Freaks, die noch mitmacha, viel disziplinierter wie früher worn san. Den großen, übergreifenden Zusammenhang gibt’s nimma, der hat da heraußen auch nie was getragen.

Der ganze Rechtsstreit, den die BIs jahrelang durchzong ham, der war sehr wichtig. Aber jetzt hat ma g’merkt, dass das juristische Latein scho bald nimma g’langt, dass jetzt fünf vor zwölfe iso Des bringt die Leut wieda zsamm. Ich glaub, dass zum Festival viel mehr Leut kommen werden, net nur alle Köpf von den Initiativen. Und vielleicht wird man sich noch immer von den Linksradikalen distanzieren, aber vielleicht gibt’s die auch so nicht mehr.

BLATT:

Was passiert jetzt, vom Festival mal abgesehen, mit dem Flughafen in nächster Zeit? Wie sieht die rechtliche Situation aus, wenn am 20. August, mitten in der Ferienzeit, der Planfeststellungsbeschluss veröffentlicht wird? Gestern auf der Versammlung der vereinigten Bürgerinitiativen in Neufahrn sind die ja recht optimistisch gewesen, denn jetzt wird’s zum ersten Mal überhaupt erst möglich, zur Sache zu klagen. Die rechnen mit wenigstens zweitausend Klagen, wenn nach der verlängerten Auslegefrist dann Rechtsmittel eingelegt werden können. Ich hab aber das Gefühl, dass dann alles wie bekannt abläuft: d.h. es werden jetzt Prozesse geführt und gleichzeitig auch die Bauarbeiten begonnen. Beides zieht sich jahrelang hin. Was aber nützt dann ein letztinstanzlicher Teilerfolg, wenn der Flughafen so gut wie fertig ist?

ERDINGER:

Also so hoffnungslos ist das juristisch nicht. Entscheidend wird, ob das Verwaltungsgericht die sofortige Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses anerkennt- oder nicht, d.h. ob es dem Projekt aufschiebende Wirkung anerkennt, Sollte das der Fall sein, dürfte erst mit dem Bau begonnen werden, wenn alle Prozesse rechtskräftig entschieden sind. Natürlich kann es genauso gut andersrum ausgehen. In Frankfurt z.B. wurde schon vor zehn Jahren für die 3. Startbahn der Planfeststellungsbeschluss mit sofortiger Vollziehbarkeit erlassen. Bis heute aber wurde die 3. Startbahn noch nicht gebaut. In Wyhl ist der Genehmigungsbescheid bekanntlich für sofort vollziehbar erklärt worden. Die BIs haben dagegen prozessiert, aber während das Verfahren noch in Gang war, hat die Landesregierung mit dem Bau begonnen. Die BIs haben dann die Regierung politisch zu dem Zugeständnis gezwungen, mit dem Baubeginn zu warten, bis ein Gerichtsurteil vorliegt. Bis heute ist in Wyhl nicht mit dem Bau begonnen worden. So ähnlich stellen wir uns das auch vor.

Klar is, wenn jetzt net mehr laft, dann werd baut. Bis Januar ham mir schlechtestenfalls noch Zeit. Bis dahin müs mas schaffen, einen Widerstand auf die Beine zu bringen, der eine längere Platzbesetzung erfolgreich durchstehen kann. Wenn ma von vornherein sang, dass ma’s net schaffa, dann kenna mir des ganze vergessen.

Des was mir jetzt darstelln, ist natürlich ein sehr minimales Potential für sowas. Ich halts für sehr wichtig, sich jetzt auf dem Franzheimfest zu überleng, welche kreativen Prozesse laufen müssen, damit mir eine viel größere Bevölkerungsgruppe dazu bringen, für alle möglichen Aktionen offner zu werden, so weit, dass alle wieder eine Chance sehn.

Acht Jahr lang is jetzt nix anders g’laufn als der juristische Kampf. In der ganzen Zeit hat’s aber kaum was gegeben, an dem eine breitere Schicht der Bevölkerung sich hätte beteiligen können. Seitdem klar ist, dass der Planfestsetzungsbeschluss kommt, ham mir aber alle eine ziemlich unerwartete Erfahrung g’macht. Die Leut ham genau g’merkt, jetzt werd’s ernst, jetzt kummt’s drauf o. In Erding sind z.B. innerhalb kürzester Zeit über fuffzig Leut in die Bürgerinitiative ganga. In Freising läuft jetzt auch wieder alles an und in Moosburg auch. Mich wundert auch, wie das Festival wirklich von allen getragen wird. Da ham sich z.B. auch scho vier oder fünf Pfarrer g’meldet, die draus an Gottesdienst machn wolln. Vor zwoa Jahr wär des noch undenkbar g’wesn. Politisch hat sich bei den Leuten in letzter Zeit was geändert. Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass in Wyhl, in Brokdorf und jetzt in Gorleben der Bürgerwiderstand aller Ohnmacht zum Trotz erfolgreich war.

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ANTI-GROSSFLUGHAFEN-FESTIVAL
am 27./28./29. Juli 1979 in FRANZHEIM
Auszüge aus dem Dreitages-Programm:

Freitag, den 27. Juli:

ab Mittag treffen sich die Camper zum Lageraufbau
15 Uhr: Information und Diskussion über Zweck, Anlass und Ablauf des Lagers
18 Uhr: Eröffnungskundgebung in Freising auf dem Marienplatz. Es spricht Käthe Winkelmann, Oskar Vincenti, Hubert Weinzierl, Helmut König und Hans Geiersberger, anschl. Fahrraddemo zurück nach Franzheim, wo ab
20 Uhr: Fest mit Musik und Theater beginnt.

Samstag, den 28. Juli:

10 Uhr: Heinar Kipphardt spricht über Freiheit und Demokratie am Beispiel des Planungsvorgehens der Reg. von Obb beim Großflughafen
13 Uhr: Theaterwerkstatt Wetzling spielt ein Puppentheater für Kinder: Momo und die Zeitdiebe. Danach Kinderfest
15 Uhr: Ökumenischer Feldgottesdienst mit Dekan v. Löwenich und Helmut Steininger vom BN
16 Uhr: Es spielt die Ampertaler Blasmusik, die Resi-Schmelz-Combo, Maria Johanna, die Roden Haniggl und viele andere. Zugleich laufen im Festkino Franzheim Widerstandsfilme. Einer zeigt auch den frühen Protest im Moos.

Sonntag, den 29. Juli:

10 Uhr: Abschlussdiskussion
13 Uhr: Spaziergang mit fachlicher Leitung des Bundes Naturschutz durchs Erdinger Moos
16 Uhr: Abschlusskundgebung in Erding

Nach Franzheim geht’s von München die B 11 hinaus Richtung Freising. Hinter Garching dann, auf der Höhe von Neufahrn, geht’s rechts ab nach Halbergmoos, dort wird dann wieder links abgekurvt, durch die Ortschaft hindurch, Richtung Freising, und nach ein paar Kilometern müsste ein Wegweiser für die kleine Straße nach Franzheim stehen …

Spenden: Raiffeisenbank Erding, Konto Nr. 150 126, Christa Berger
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Willst Du Deine Bürger friedlich, schlacht die Bauern ab ganz redlich!
Schmied von Kochel

Ja? Warum hat sich in München nie ein spürbarer Widerstand gegen den neuen Großflughafen entwickelt? Wo das doch noch ein ganz und gar städtisches Projekt ist? Ja, weil dann doch Riem endlich wegkommt, die Perlacher merken würden, dass es ohne den Flughafen in dieser Plastikstadt auch nicht angenehmer wird und die Münchner einfach ein

Burgfriedenhirnundgemüt

haben.

Der BURGFRIEDEN ist eine Grenze. Hier ist das schöne München, dort ist das schöne Land. Heimatkunde: München wird groß und schön, 1. Mauerring, 2. Mauerring, Eingemeindungen, Weltstadt …

Der BURGFRIEDEN ist eine Grenze. Hier ist das synthetische München, dort das synthetische Land, im Norden und Osten die wilde Schönheit der rausverlagerten Müllberge, Verbrennungsanlagen, Giftschlammdeponien, radioaktive Fabriken aller Art und die neuen Umschlagplätze für Menschen und Waren: Erdinger Flughafen, Moosacher Rangierbahnhof, Autobahnringe und die Elendsquartiere; im Süden und Westen (na ja), das reiche und verschuldete Bauernland, der Touristenpark einschl. der geschändeten Berge.

Die Touristen konsumieren die Stadt München, die Münchner das Land; so wurde München eine Stadt, wo der Genuss schön ist, wenn’s schnell und glatt funktioniert und ordentlich. Die sechsspurigen Autobahnen vom Flughafen Erding nach München und die sechsspurigen Autobahnen an die Seen und Berge. Den Münchnern ist’s völlig wurscht, wenn das Erdinger Moos zum Teufel geht, das Grundwasser dort, die Vögel, die Kräuter und Heilpflanzen, kann alles importiert werden. Der Norbert sagt: „Ich hab Angst davor, wenn nicht mehr nur zehn Jumbos wie heute, sondern gleich fünfzig solche Kisten täglich Touristen in die Stadt bringen, für deren funktionelle sight-seeing- und Originalitätsbedürfnisse eine eigene Industrie entwickelt wird, riesige Hotels, Schnellfressfabriken usw. Oder wenn das internationale Business noch öfter und schneller in die Stadt kommen kann, um mit seinem Kapital (Versicherungen, Patentamt, Messen) weitere ganze Viertel zu sanieren, bis die letzten Winkel der Stadt weg sind.“

Der BURGFRIEDEN ist eine Grenze. Keine geografische mehr. (Hammerfest, Brest, Kreta und Budapest SIND München.) Aber eine, die im Hirn und im Gemüt der Leute verankert ist. Für die Leute auf dem Land ist München nämlich etwas ganz bestimmtes. Einkaufsort und Moloch. Für die Münchner das Land aber etwas völlig beliebiges, beliebig verschlingbar, vereinnehmbar, Kolonie für den Genuss oder für’s Geschäft. BURGFRIEDEN-GEMÜT setzt deshalb ständig Grenzen, Territorien, von denen aus alle anderen Gebiete zu erobernde sein können, die man schänden, verdrecken, ausplündern, zubetonieren, austrocknen, Mensch, Tier und Pflanze vernichten kann.

Ein ökologischer Widerstand will da nicht aufkommen. Es wurde zwar auch in München dieses und jenes Freizeitheim, Bürgerzentrum oder Teile von Stadtteilen verteidigt, doch ein Bewusstsein von Zusammenspiel der vielen Teile und vor allem eine dauerhafte Wut und Sehnsucht, die über die Stadtgrenzen oder Stadtviertel hinausgeht, kam nicht auf. Klar, München fährt nach Brokdorf oder Malville und dazwischen mal wieder in die Berge. Das geht. Aber Erding oder Ohu, da wird’s den meisten Leuten gleich zuviel: Der BURGFRIEDEN ist eine Grenze. Sie verteilt Umschlagsgeschwindigkeiten und die damit verbundenen Bewusstseins- und Gefühlsgeschwindigkeiten. In München: Je schneller die Kapital-, Waren- und Touristenströme fließen, ah, Flughafen, Messegelände, Güterbahnhof, ah, die Einkaufszone, die Discos, die U-Bahn, desto schneller schlägt sich auch in den Menschen alles um. Auch der Widerstand nimmt daran teil. Die Objekte des Widerstands ändern sich ebenso schnell wie die Lebenssituation der einzelnen, Bewegungen flammen auf und verfallen noch am gleichen Abend. Die vom Erdinger Moos, Neufahrn, Freising kämpfen seit zehn Jahren. (Das Blatt seit 150 Jahren, der Michi.) Ich frag mich, auf was man da noch abfahren soll oder abspringen, der Norbert fragt sich auch, „welche Plätze noch als ereignisreiche und lebenswerte zu verteidigen sind“?

Was wir mit diesem Artikel wollten, lieber Leser?

Solltet Ihr Euch entschließen können, in Franzheim am dreitägigen Widerstandscamp teilzunehmen, die Zeit dort, die Gespräche, Lieder, Reden, Theater, die Landschaft, die Menschen und das Wetter zu erleben, so möget Ihr dabei auch den Hilferuf verstehen, der die Stadt vom Rande ihrer Ausuferungen erreicht: Der ökologische Krieg, den die Metropole führt, hat in ihr zuviel Gleichgültigkeit geschaffen und außerhalb das Alleingelassensein. Dort draußen wird mehr als ereignisfixierte Aufgeschlossenheit gebraucht. Damit uns nicht auch noch die Ökologie das ganze Leben versaut, damit wir nicht stehen bleiben: Vielleicht solltet Ihr und wir uns nicht so SCHNELL dorthin bewegen.


Blatt. Stadtzeitung für München 151 vom 27. Juli 1979, 6 ff.

Überraschung

Jahr: 1979
Bereich: Umwelt

Referenzen