Materialien 1980

Prozess gegen Piratensender

Acht Monate Haft für Überzeugungstäter oder Staatsschutz geht auf Sendung
Hintergründe + Informationen zu einem Präzendenz-Urteil gegen Piratensender

Wegen „Urkundenfälschung in Tateinheit mit der versuchten Errichtung einer Fernmeldeanlage“ ergingen gegen den 23jährigen Münchner Bürger Jan van de Loo acht Monate Haft, davon sechs Wochen auf dreijährige Bewährung, sowie 15.000 DM Geldstrafe. 6½ Monate hatte der junge Mann seit seiner Verhaftung März 1980 bereits in U-Haft verbringen müssen.

Der folgende Artikel will versuchen, zu erklären,

▲ welche politischen Hintergründe zu einem zuvor noch nie verhängten Strafmaß in solchen Delikten führten und

▲ was dieses Urteil für Gegenöffentlichkeitsarbeit allgemein bedeutet.

Dabei stützt sich der Verfasser hauptsächlich auf eine vom Angeklagten selbst herausgegebene Broschüre (erhältlich im BASIS-Buchladen, Adalbertstraße) sowie auf sein eigenes Denk- und Vorstellungsvermögen.

Diesem Prozess politische Hintergründe zu unterstellen, dazu bedarf es allerhöchstens des kleinen Einmaleins; als Beleg soll dienen:

a) Antragsbegründung auf U-Haft für Angeklagten

b) Urteilsbegründung

c) Äußerungen von Staats-Repräsentanten zu Entwicklungstendenzen in der sog. „Medienlandschaft“ der BRD

d) Prozesserklärungen des Angeklagten

zu a) Die angebliche Fluchtgefahr durch den Angeklagten, die dann auch die U-Haft in den Augen des Haftprüfungsrichters rechtfertigte – wurde mit nicht näher erläuterten Verbindungen zu terroristischen Kreisen begründet. Das Verfahren landete so automatisch bei der Staatschutzabteilung der Staatsanwaltschaft, oben genannte Verdächtigungen ließen sich – nach 6½monatiger U-Haft im Verfahren selbst nicht mehr halten: Am ersten Verhandlungstage wurde der Haftbefehl aufgehoben.

zu b) Das Urteil gegen den „Bastler“ (Süddeutsche Zeitung vom 3. November) – 8 Monate + 15.000 DM – erging gegen einen überzeugten Gegner der westdeutschen Medienlandschaft, der meint, dass die Medien + Pressefreiheit in der BRD nur noch durch Gesetzesbruch herzustellen sei, so sinngemäß das Gericht. Juristisch verwertbar bleiben einzig das Bestellen von Einzelteilen zum Bau eines UKW-Senders (=Urkundenfälschung) sowie elektronische Bastelarbeiten, die Experten als „stümperhaft + praktisch unbrauchbar“ bezeichneten (=versuchte Errichtung einer Fernmeldeanlage). Die Höhe des Strafmaßes war durch die U-Haft bereits vorgegeben: die Staatsanwaltschaft hatte durch willkürliche Verdächtigungen („Verbindung zu terroristischen Kreisen“, „unerlaubter Waffenbesitz“) gegen den in diesen Punkten dann später gar nicht Angeklagten bereits Tatsachen geschaffen, an denen das Gericht nicht „vorbeiurteilen“ durfte.

zu c) Auftraggeber sind Politiker, die allein zur Festigung und zum Ausbau ihrer eigenen Stellung + politischen Vorstellungen zentrale, wirksam kontrollierbare Medien benötigen. Linke Piratensender sollen laut einem im Prozess verlesenen Auszug eines Schreibens des Innenministers von Baden-Württemberg an Bundesinnenminister Baum gesondert geahndet werden, was am besten durchzusetzen sei, wenn man diesen Sendern schon in ihrem Anfangsstadium begegnete. Baum selbst sieht die Problematik und formuliert das so: „Das ganze Bündel rechtlicher Fragen aus dem Verhältnis von Fernmeldetechnik, Medienpolitik und Verfassung wird vielleicht zu einem der großen Verfassungsprobleme der Zukunft. Schon in der nächsten Legislaturperiode werden Weichen gestellt werden müssen, sonst drohen die staatlichen Entscheidungen unter den wachsenden Druck der autonomen + sozialen Kräfte zu geraten.“ Frage: Vor wem oder was hat hier der Volksvertreter Angst?

zu d) Jan van de Loo ist nach eigenen Angaben ein Gegner des „Staatsfunks“, womit er ausdrücken will, dass das bereits in Staatskrisen praktizierte Rezept der Mediengleichschaltung (Selbstmorde von Stammheim) oder Medienausschaltung (anlässlich der Räumung von Gorleben) immer alltäglicher wird und dabei in diesem Prozess tendenzielle Kritik innerhalb der Massenmedien im Staatsinteresse ausgeschaltet wird. Zentrale weiträumige Medien sind für ihn jedoch nicht nur Synonym für Herrschaftssicherung innerhalb der Industriestaaten, darüber hinaus erfüllen sie die Aufgabe, auch der Bevölkerung der Dritten Welt die westliche, kapitalistische Weitsicht zu vermitteln: Die SZ berichtet über eine Konferenz der UNESCO zu diesem Thema: „Die Länder der Dritten Welt führen darüber Klage, dass die großen Nachrichtenagenturen auf der Nordhälfte der Erde ein Nachrichtenmonopol haben, dass es zwar einen Informationsfluss von der industrialisierten Welt in die Entwicklungsländer gibt, Nachrichten umgekehrt aber aus der Dritten Welt die Industrieländer kaum erreichen.“ Bundeswirtschaftsminister Lambsdorf erklärt, warum: „Informations- + Kommunikationstechnologien gehören zu den modernen komplexen Technologien, deren frühzeitige Beherrschung und wirtschaftliche Nutzung für unsere hochindustrialisierte Volkswirtschaft lebensnotwendig ist. Sie ist die entscheidende Voraussetzung, um im Rahmen der Weltwirtschaft unsere Standortnachteile, also Rohstoff + Energieabhängigkeit, auszugleichen und unsere hohen Lohnkosten zu verkraften.“

Zum Schluss sollten wir den Angeklagten selbst sagen lassen, warum er freie und dezentrale Piratensender für wichtig genug hält, auch Verurteilung und Strafe dafür in Kauf zu nehmen:

„Die staatlichen Sender sind in die Politik der Regierung voll eingespannt und übernehmen immer dann, wenn der Kampf gegen die AKW’s oder Militarismus in die Phase kommt, wenn z.B. der Bau eines AKW’s tatsächlich in Frage gestellt ist, die Funktion, die Bewegung zu spalten: In Chaoten, Kommunisten, Gewaltlose und Gewalttätige und harmlose Bürger, um so von den politischen Zielen abzulenken und eben den Bau wieder möglich zu machen … Die Unterdrückung der Anti-Atom-Bewegung hier durch Medien und Polizei steht im Zusammenhang mit der geplanten Intervention in rohstoffwichtige Länder. Das Mediensystem hier ist nicht zu trennen von dem Nachrichtenmonopol der westlichen Länder. So ist jedes politische Problem hier nicht zu trennen von dem Ausbeutungsverhältnis der Industrieländer gegenüber der Dritten Welt. Sei es die Atomtechnologie, seien es die Aufrüstungspläne oder sei es der sogenannte Siegeszug der neuen Medien, alles dient nur dem Zweck, das Ausbeutungsverhältnis zu sichern … Piratensender, als autonome und gegen jede Überwachung und Zensur abgeschottete Medien, laufen konträr zu dem Mediensystem in der BRD, weil sie konkrete politische Probleme der Bevölkerung konsequent formulieren und selbst Teil des jeweiligen politischen Kampfes sind und jeder Betroffene die Möglichkeit hat, in diesen Sendern zu Wort zu kommen.“

Ich meine, uns, die Leser + Schreiber der MÜZE, einer kleinen und autonomen Bürgerinitiativen-Zeitung für München, geht es verdammt viel an, wenn ein Mitstreiter gegen Atomanlagen und Militarismus zum Angeklagten des Staatsschutzes wird. Wichtiger aber als das Exempel, das an Jan van de Loo statuiert wurde, der sich dafür besonders exponiert hat, sind die Inhalte, über die wir uns im eigenen Interesse auseinandersetzen sollten.

Stefan Haug


Münchner Zeitung 6 vom Januar/Februar 1981, 8.

Überraschung

Jahr: 1980
Bereich: Medien

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