Materialien 1980

Schüsse in der Requisitenkammer

In den tränenfeuchten Grübeleien von Medienredakteuren und anderen Verehrern von John Lennon, welchen Grund sein Tod haben könnte, verschwindet die viel bedeutsamere Frage, worauf sich sein Dasein gründete.

Wer war eigentlich John Lennon?

Genau das, was er auch weiterhin bleiben wird: eine Frequenz, die die Bilanzen von Schallplattenfirmen zum Schwingen bringt.

Als Star existiert John Lennon nur durch die Vorstellung seiner Verehrer, für die er zugleich das Unerreichbare bleibt. Er liebt es, sich seine Anhänger ohnmächtig zu denken – dies hat er den meisten seiner Anhänger voraus – , denn nur so entgeht ihm die Abhängigkeit, durch die er lebt, in der er das bloße Spiegelbild der Anhänger einer entfremdeten Realität ist, eines Verhältnisses, in der die Misere von Star und Fan gesellschaftlich ist.

Die Verinnerlichung dieses Betrugs lässt die Kosten der gelebten Entfremdung als subjektive Eigenschaft erscheinen, sodass es nicht abwegig für den Attentäter ist, in seiner Tat keinen ungewöhnlicheren Aufwand zu sehen als in seiner Verehrung überhaupt, denn dieser Einsatz seiner Freiheit ist der Preis, den er sich angewöhnt hat zu zahlen. Es ist der Einsatz eines Lebens, das der Person nicht mehr gehört, ihr nie gehört hat. Es ist die Souveränität des Untertanen.

Der Attentäter ist die höchste Stufe der Verehrung, in der die Macht des Verehrers die Ohnmacht des Stars ist. Wer seinem Star wirklich ergeben ist, tötet ihn. Die Welt lohnt es, indem sie für einen Moment zeigt, wie weit die entfremdete Liebe zu gehen bereit ist und darüberhinaus noch, wie grell der Ruhm ist. Einen Tag wird der Fan über den Gegenstand seiner Verherrlichung erhoben, steht der Star im spektakulären Schatten seiner Anhänger.

Solche Attentate reproduzieren die Geschichte des Göttlichen, in der der Tod des Gottes nicht das Ende, sondern seinen wirklichen Triumph bedeutet, denn hierdurch hebt sich die menschliche Distanz zum Göttlichen auf. Den Gott, den man töten kann, wird niemand mehr los …

Das Attentat kann den Star nicht abschaffen, Verherrlichung und Zerstörung gehen in die 13.000 Platten ein, die allein der WEA-Konzern innerhalb von zwei Stunden verkaufte. Der Tod eines Star ist sein wirkliches Leben. Nur der Tod des Publikums bringt ihn wirklich um. Das Publikum ist die Freiheit im Konsum der Unfreiheit. Der Star ist die konsumierbare Persönlichkeit. Dem Publikum werden regelmäßige Gedächtnissendungen darüber hinweg helfen, dass keine Neuigkeiten mehr über John Lennon zu vermelden sein werden – so wie er nie etwas anderes als ein Requisit der Entfremdung war.

Tu der Welt einen Gefallen, töte einen Star. Sie lohnt es dir, indem sie dich als irren Typen feiert. Verlange Honorare von den Firmen, die in der Zeit besondere Geschäfte mit den Werken deiner getöteten Vorstellungen machen.

SUBREALISTEN BEWEGUNG 12. Dezember 1980


Revolte! Organ der Subrealisten 28/29 von 1981, Hamburg, 108.

Überraschung

Jahr: 1980
Bereich: Medien

Referenzen