Materialien 1980

Ein brennendes Problem

Ballade aus dem alten Haidhausen, gesungen nach der Moritatenmelodie: Mariechen saß wei-
nend am Strande! Offensichtlich völlig frei erfundene Begebenheit, die zur Unterhaltung der Mieter drastisch ausgeschmückt wurde. Jede Ähnlichkeit mit heutigen Vorkommnissen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt, aber nicht ausgeschlossen. Diese Ballade wurde mir im Jahre 1880 von einer alten Frau in der Kirchengasse vorgesungen. In Giesing, der Au und sogar in Schwa-
bing soll es ähnliche Fassungen gegeben haben, die leider auch in der Staatsbibliothek nicht mehr auffindbar sind.

Jörg Hube – Volkstumssammler.

Ein brennendes Problem!

1

Haidhausen war noch Haidhausen,
- Des is no net gar so lang her -
D’Hoadhauser taten drin hausen,
Das tun heute viele nicht mehr!
Heut wohnen sie in Neuperlach
Oder im Ostfriedhof draußt
In einem kühlen Appartment
Zwar billig, doch unbehaust!

2

Wie kommen, erhebt sich die Frage
D’Hoadhauser auf den Friedhof hinaus?
Ja, haben denn die Hoadhauser
Z’Haidhausen kein Zuhaus?
Wir haben doch große Häuser!
- Vor allem sans groß saniert,
Wo der Haidhauser als Mieter
Z’Haidhausen nur geniert! -

3

Der Gottesacker ist da doch,
Weil christlich als Sozial-
Wohnung für den alten Haidhauser
Geradezu ideal!
Sie liegt in einem Park drin
Ganz ungestört von Lärm;
Doch muß er für die Wohnung
Zuvor a bisserl sterb’n.

4

Beim Sterb’n helfen die Spekulanten
Indem sie sich fleißig saniern:
Die Mieter, die müssen ausziehen
Und wenn sie nicht wollen: krepiern!
Denn geht es nicht im Guten,
Dann geht es mit Gewalt:
Es gibt da gewisse Mittel,
die stellen die Mieter kalt.

5

Doch manchmal wird’n sie erhitzt erst;
Ein Dachstuhl wird angezündt’
Der brennt auch geschwind hernieder:
Den Täter man nicht findt:
Ein Mieter stirbt vor Aufregung
- Warum wart’ er nicht, bis er verbrennt?
Da zündet man schon das Dach an!
Es is halt nix mehr derkennt. -

6

Schad, in den Dachstuhl, da sollten
Zwei Eigentumswohnungen rein
Und keine depperten Speicher
Nicht länger drinnen sein.
Die Eigentumswohnungen hätten
Gebracht a gute Million!
Sogar Spekulanten arbeiten
Für so a Summe schon!

7

Es steht dann auch in der Zeitung,
Daß wer einen Brand gestift’
Auch, daß der Verdacht von der Kripo
Den Spekulanten betrifft.
Der Spekulant, der Gute,
Ach Gott, der ist empört,
Wo der Verdacht von der Kripo
Woanders hingehört.

8

Er klagt aber gegen die Zeitung:
„Wegn Verletzung des Persönlichkeitsrechts!“
Der Richter, von Rechts wegen,
Der denkt natürlich nichts Schechts
Von einem Spekulanten,
Der wo für die Marktwirtschaft ist
Und schon zum Gabelfrühstück
Geröstete Mieter frißt.

9

Drum verdonnert er auch die Zeitung
Zur Zahlung von Schmerzensgeld:
Es sind nur Zweitausend Taler
Die der Spekulant erhält.
Das ist für ihn nur ein Trinkgeld,
Sein Maß ist die Million
Zumindest bei der Rendite
Beim Zündholz wärs anders schon!

10

Aber für die verurteilte Zeitung,
Da ist es ein Batzen Geld,
Die Schreiber, sie kommen aus Schichten,
Wo man keine Aktien nicht hält;
Und die Moral der Geschichte:
Schreibt’s d’Wahrheit net so barsch!
Sonst bläst Euch der Flammenwerfer
Der Justiz in den Arsch!


Haidhauser Nachrichten. Monatszeitung für den Münchner Osten 1 vom Januar 1981, 8.

Überraschung

Jahr: 1980
Bereich: Stadtviertel

Referenzen