Materialien 1980
Krebs in Neuhausen
Ärzte stellen Stadtteildiagnose
Am 30. September fand im „Volkarthof“ die erste Zusammenkunft von zweiundzwanzig Neuhauser Ärzten und Ärztinnen statt. Sie waren dem AUFRUF: RETTET NEUHAUSEN von vier besorgten Bürgern nachgekommen.
Eine Umfrage unter den Anwesenden ergab erschreckende, zum Teil entmutigende Fakten. Aus den Aussagen der Fach- und Allgemeinmediziner war auch für den Laien leicht zu ersehen, dass der Patient Neuhausen lebensgefährlich an Krebsleiden erkrankt ist und dringend sofortige Hilfe benötigt.
Im Einzelnen wurden folgende Diagnosen erstellt:
I. Wucherungen durch Spekulation, Mietzins, direkte und indirekte Gewalt gegen Anmieter. (Leonrodstraße, Umwandlung von Altmietwohnungen in Eigentumswohnungen DM 5.000,- der Quadratmeterpreis)
II. Grobe, das Gewebe zerstörende Bevölkerungs- und Stadtteilstrukturveränderungen, Zerstörung des Einzelhandels. (Geschieht durch Hereinsetzen von Sch(l)ickeriawürmern, das ist eine Mischform von Porschlöchern und Mäzedes-Sternchen, außen schlick, innen hick, nach dem Beispiel der Amalienpassage in Schwabing.)
III. Vernachlässigung der Menschen. (Es wurde von alten Menschen in Neuhausen berichtet, die buchstäblich im Dreck ersticken, da sie selber nicht mehr genügend Kraft haben. Auf der einen Seite liegt es an zu wenig Nachbarschaftshilfe, auf der anderen besteht die berechtigte Angst, Sozialämter zu verständigen, da die alten Menschen dann Gefahr laufen, nach Haar oder sonstige „Auffangstationen“ abgeschoben zu werden.)
IV. Künstlich erzeugte Unwissenheit der Bürger über Stadtteilverfremdung bei gleichzeitiger Gehirnwäsche durch fehlgeleitete Krebszellen mit der Zielrichtung: KAUFEN STATT LEBEN, KAUFHÖFE STATT HINTERHÖFE.
Die versammelten Ärzte kamen einstimmig zu dem Entschluss, Sofortmaßnahmen zur Rettung des Patienten NEUHAUSEN einzuleiten.
Sie richten den DRINGENDEN APPELL an alle Neuhauser:
Wir brauchen noch mehr Ärzte, Pflegepersonal, Diagnostiker, Informanten, die über detaillierte Lebensgewohnungsheiten des Patienten berichten können, Krankengelder zum Aufbau der Krankenstation und der Information u.s. w.
Richtet Anfragen über regelmäßige Treffs der Ärzte und sonstige Veranstaltungen bitte an momentane Chefärztin Helene Sinzinger, Tel. 16 95 19.
Zusammen retten wir Neuhausen!
Im Übrigen gibt es noch zumindest ein lebendiges Beispiel für gesundes Leben in Neuhausen: das WERKHAUS in der Leonrodstraße. Allerdings ist auch dieses durch Scharlatane und Kurpfuscher bedroht. Sie wollen eine Radikaloperation durchführen.
Michael Kortländer
Münchner Zeitung 3 vom Oktober 1980, 1 f.