Materialien 1981
„... eine gewisse Schlampigkeit der Kleidung ...“
Kommentar der Woche
Am Samstag. dem 10. Oktober 1981, strahlte der Bayerische Rundfunk, 1. Programm, einen Kom-
mentar von Ludolf Herrmann aus, der sich mit der gerade beendeten Friedensdemonstration in Bonn befasste. Aus der Vielzahl der Proteste der HU und ihrer Mitglieder haben wir einen Text aus einem Brief an den Intendanten von Prof. Singer, Schulpädagoge an der Uni München, und aus einer Strafanzeige des RA Werner Dietrich, München, zusammengestellt.
Die Schäbigkeit, denunziatorische Gesinnung und der volksverhetzende Charakter des Kommen-
tars in einer öffentlich-rechtlich organisierten Rundfunkanstalt sind so offensichtlich dass es an sich keiner detaillierten Subsumtion des Tatbestandes unter den entsprechenden § 130 StGB, Volksverhetzung, bedarf.
„Ein Friedenslied ertönt, im Marschrhythmus, dumpf zittern die Baßstöße in den Eingeweiden nach. Unter einem Baum liegt ein Friedenspärchen in der Haltung des Koitus, sein Becken senkt sich mit den Konvulsionen der Musik auf das ihre.“
Warum erscheint dem Kommentator diese Randerscheinung so wichtig? Der Hörer soll auch von den anderen 300.000 „Durchschnittsdemonstranten“ (so eine seiner Bezeichnungen) das vom Kommentator erwünschte Bild bekommen.
Herr Herrmann beschreibt einen „einheitlichen Typus“ der mehreren Hunderttausend:
„… eine gewisse Schlampigkeit der Kleidung, wie eine nach außen gewendete Uniform …“
„… die Haltung der Körper, leicht vorgeneigter, in gekrümmten Schultern schwingender unfreier Gang, ein beinahe einheitlicher Schnitt der Gesichter. zumindest ein die Physiognomien überla-
gernder kollektiver Ausdruck kennzeichnen den Durchschnittsdemonstranten …“
Vorurteile und Verachtung gegenüber den Demonstranten müssen die Wahrnehmungsfähigkeit des Kommentators getrübt haben.
„Funktionalität der Mimik bis hin zu bisweilen dienerhaften Beflissenheit … überraschend viele Gesichter, die man oberflächlich als hässlich bezeichnen würde …“
Die hässlichen Gesichter führt er auf die „Vernachlässigung der körperlichen Selbstfindung“ zu-
rück. „Viele Gesichter sehen aus wie Buchstaben aus den Parolen, die über den Platz hinfegen.“
Der Kommentator spricht den Menschen, die dort für den Frieden eintraten, jede echte, eigene Bewegtheit ab. Vielmehr ist „die Mehrzahl der Kinder und Jugendlichen, die dort den politischen Organisatoren die Staffage lieferten, von einer vagen Zustimmung zu friedlichem Verhalten be-
stimmt …“
Als Nebensächliches und Beiwerk also sieht der Kommentator die Jugendlichen und als „eine Masse, die bewegt werden soll, das hat schon Hitler gewusst“, und diese „braucht ein Feindbild“.
Es erscheint mir eine Ungeheuerlichkeit, dass hier versteckt eine Beziehung hergestellt wird zwischen Leuten wie Albertz, Gollwitzer, Böll, Eppler. Borm, Mechtersheimer – und Hitler!
Der verantwortungslose Kommentator schreckt nicht davor zurück, die Friedensbewegung mit Faschismus und „Totalitarismus massenhaften Gleichverhaltens“ in Zusammenhang zu bringen.
„Die Songs, die man aus den akustischen Einstimmungsmaschinen … hörte, intonieren die Stim-
mung von Klassenhass, von Bauernkriegen und Rebellion.“
Ich kann mir vorstellen, wie viel Hass dieser Kommentator in sich haben muss, dass er eine fried-
liche Veranstaltung so verleumderisch darstellt – und wie enttäuscht er gewesen sein muss, dass sie friedlich verlief. Aber immerhin, so räumt der Kommentator in hohepriesterlicher Selbstgefäl-
ligkeit ein: „Es gab auch die wahrhaft Friedfertigen darunter, obwohl sie für den Rausch der Mas-
senhaftigkeit nicht zu taugen scheinen. Aber die Grundstimmung, die über dem Platz lag, war eine denunziatorische, die anderen anklagende, die Arroganz des richtigen Bewusstseins demonstrie-
rende.“
Der Kommentator ist doch der Denunziant, der in arroganter, pharisäisch anklagender Weise mit Faschismus, mit Totalitarismus, mit Klassenhass, Bauernkrieg und Rebellion, mit Hitler und mit Kommunisten, mit Koitus und Schlampigkeit, mit unfreiem Gang und einheitlichem Schnitt der hässlichen Gesichter, mit Kaputtmachern die Friedensdemonstranten denunziert.
„Die meisten der Versammelten waren auf irgend eine dumpfe Weise Friedensfreunde.“
Herr Herrmann genießt offensichtlich seine entwertenden Schmähungen, die er auf die Jugendli-
chen ausschüttet:
„… Und wenn ihnen der Begriff ,Frieden’ nur als gruppentherapeutisches Mittel diente, um für die Momente der Massenerotik die kleine rachitische Seele aus dem Gefängnis des pickeligen Körpers flattern und sich mit den anderen Seelen zur Hochzeit des großen Friedensgefühls vereinigen zu lassen.“
Dieser Mann, der einen so unsittlichen Kommentar schreibt, wirft den jugendlichen – und wohl allen – Friedensdemonstranten vor, dass Ihnen die „sittliche Reife“ fehle!
Er suggeriert, es gäbe einen einheitlichen, menschlich, moralisch und im äußeren Erscheinungs-
bild minderwertigen Typus „Friedensdemonstrant“.
Dies wird „begründet“ mit Hinweisen auf Kleidung, Aussehen, angebliche Krankheitssyndrome (pickelig, rachitisch etc.), eine „Argumentation“, die sich nicht mit Inhalten auseinander setzte, sondern rassistische Hetze in denunziatorischer Absicht gegen Andersdenkende betreibt.
Diese Form der Auseinandersetzung ist in der ernstzunehmenden politischen Publizistik der BRD ohne Beispiel. Sie findet ihre Parallele und bekannt fatale Konsequenz in Sprache und Programm des „Stürmer“ und des „Völkischen Beobachters“.
Zum Redaktionsschluss der Mitteilungen war das Ermittlungsverfahren noch in vollem Gange. Trotz geharnischter Proteste der Öffentlichkeit scheint der Bayerische Rundfunk allerdings von diesem Kommentar nicht sonderlich berührt zu sein. Im Gegenteil: die nächsten Termine waren für L. Herrmann schon reserviert!
Mitteilungen der Humanistischen Union vom Dezember 1981, 35.