Materialien 1981
Kommissar Tandler
oder:
Wie man Ermittlungen im Sand verlaufen lässt
Ein Jahr ist es her, dass auf dem Oktoberfest die Bombe explodierte. Bereits am nächsten Tag wusste Bayerns Innenminister Tandler, wer der Täter war: Niemand. Jedenfalls niemand außer dem toten Gundolf Köhler.
Tandler, der geniale Kriminalist, bekannt durch die Aushebung des gefährlichen, waffenstarrenden Terroristennests KOMM in Nürnberg und der Entlarvung von 141 scheinbar harmlosen Jugendli-
chen als mutmaßliche Demonstranten, hatte auch in diesem – natürlich weit weniger wichtigen – Fall sofort den Blick für das Wesentliche. Ihn konnte nicht verwirren, was – seiner klaren Vorgabe zum Trotz – schon am gleichen Tag an irreführenden Hinweisen bekannt wurde:
Am Tatort wurde ein Mitgliedsausweis der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ gefunden.
Mehrere mutmaßliche Mitglieder dieser Gruppe wurden im Raum Rosenheim festgenommen, als sie versuchten, nach Österreich zu flüchten.
Nach unbestätigten Berichten wurde am Abend das Tatfahrzeug mit Bombenfernzündung gefun-
den.
Bei zwei Münchner Zeitungen meldete sich eine Frau: „Wir sind gegen die Roten. Wir haben ge-
stern einen Streich gemacht. Wir werden weitermachen.“ (Meldung der AZ vom 27. September 1980)
Wie jeder Krimi-Leser weiß, dass der Täter auf keinen Fall dort zu suchen ist, wo die ersten An-
zeichen hindeuten, wusste auch Krimi-Leser Strauß:
„Alles“ spreche „dafür, dass es sich um die Tat eines einzelnen“ gehandelt habe, und, was als rechtsradikal erscheine, könne sich bald als linksradikal erweisen, „Spuren des Attentats“ führten in eine „ganz andere Richtung“ als angenommen. (Spiegel 41/1980) Bald wusste er das genauer:
„Neun Tage nach dem Bombenattentat auf ahnungslose Besucher des Münchner Oktoberfests führt die Spur auf der Suche nach den Hintermännern über den Libanon zum sowjetischen Ge-
heimdienst KGB.“ (Bild am Sonntag 5. Oktober 1980)
Leider ließ sich diese scharfsinnig erkannte Spur nicht weiterverfolgen, so musste man bei Tand-
lers Erkenntnis bleiben, niemand außer Köhler sei der Täter.
Auf keinen Fall konnte man Hinweise ernstnehmen wie:
die Aussagen mehrerer voneinander unabhängiger Zeugen, die Köhler vor der Tat zusammen mit Komplizen gesehen hatten
die Feststellung der Sprengstoffexperten des Bundeskriminalamtes: „Hier haben Fachleute den Sprengkörper vorher zerlegt und mit zusätzlichen Metallteilen gefüllt, um die Splitterwirkung bei der Explosion zu erhöhen (d.h. die Bombe noch mörderischer zu machen). Das war eine gefährli-
che Präzisionsarbeit. Das kann kein Laie.“ (Stern 42/1980)
die Aussagen mehrerer Araber, die Hoffmann und seinen Gefolgsmann W.U. Behle über das Attentat sagen hörten: „Das waren wir selbst.“
Was konnte das alles besagen, nachdem schließlich Hoffmann selbst in einem Interview nach dem Verbrechen gesagt hatte, das sei auf jeden Fall die Tat eines Einzelnen? Schließlich war ja Hoff-
mann schon genug Verfolgungen ausgesetzt: Zwischen 1976 und 1980 wurde er fünfmal rechts-
kräftig verurteilt zu Geldstrafen und mehrjährigen Gefängnisstrafen, wenn auch immer mit Be-
währung.
Am 16. Januar 1980 ließ Innenminister Baum auch noch seine Wehrsportgruppe verbieten. Da-
raufhin stellte endlich Strauß über den Verfolgten klar: „Hoffmann hat sich nichts zu schulden kommen lassen.“
So ist es nur verständlich, dass Tandler das Verbot der WSG erst 1981, mit einem Jahr Verspätung, verkünden ließ.
Was als Schmierenkomödie erscheint, ist blutiger Ernst.
Nach dem Verbot konnte Hoffmann im Fernsehen drohen: „Wir werden weiterhin wirksam sein … wahrscheinlich in einer wesentlich unangenehmeren Weise.“ (30. Januar 1980)
Dieser Drohung folgte der Massenmord auf dem Oktoberfest und – nachdem Hoffmann dank der eifrigen Ermittlungen sofort wieder auf freiem Fuß war – der Doppelmord an dem Ehepaar Lewin/ Poeschke. Der Versuch, die Tat vom Oktoberfest auf der Erlanger Bergkirchweih im Juni 1981 zu wiederholen, konnte im letzten Moment verhindert werden.
Im Juni 1981 wurde Hoffmann schließlich doch verhaftet, kurz bevor er sich wieder ins Ausland absetzen konnte. Nachdem Zeitungen wie „Metall“ auf die Beweise pochten, wurde endlich im September erklärt, „nach langen schwierigen Ermittlungen“ sei Hoffmann des Doppelmordes an Lewin und Poeschke überführt.
Obwohl die Beweislast beim Oktoberfestattentat noch drückender ist, geschieht auch jetzt nichts in diesem Fall. Im Gegenteil, nachdem Hoffmann jetzt endlich hinter Gitter ist, glaubt man, die Öf-
fentlichkeit beruhigt zu haben – es könnte passieren, dass Hoffmann ein paar Jahre wegen des Doppelmordes absitzt, möglicherweise vorzeitig wegen guter Führung o.ä. rauskommt und inzwi-
schen über das Verbrechen vom Oktoberfest Gras gewachsen ist. Deswegen:
FASCHISTEN HINTER GITTER -
FÜR HOFFMANN LEBENSLÄNGLICH!
Wenn aber, wie Strauß sagte, Hoffmann und seine Wehrsportgruppe überhaupt keine Bedeutung haben – warum legen dann Strauß und Tandler solchen Wert darauf, dass Hoffmann nicht als Ver-
antwortlicher für das Oktoberfest-Verbrechen überführt wird? Welches Interesse haben sie an Hoffmann?
„Der Kandidat hatte allen Grund, von sich abzulenken – Köhler – keineswegs aus der DDR einge-
schleust, sondern in Württemberg geboren – ist politisch geprägt worden in jener Grauzone, in der sich CDU/CSU und Rechtsradikalismus überlappen und in der Strauß wie kein anderer Politiker verehrt wird …“ (Spiegel 41/1980)
Strauß hatte bei anderer Gelegenheit sehr deutlich gesagt: „Mit Hilfstruppen darf man nicht zim-
perlich sein, und wenn sie noch so reaktionär sind.“
Hoffmann argumentierte nach dem Attentat: „Jeder Führer einer Gruppe will das Volk hinter sich haben und schmeißt dann doch keine Bomben in das Volk.“ Da ist was Wahres dran: Hoffmann ist nicht der Führer, der das Volk hinter sich bringen kann. Seine Terrortaten haben eine andere Funktion:
„Mit einer Bombe gegen eine amorphe Menschenmasse, das gibt doch überhaupt keinen Sinn“, so sagte er gegenüber dem Spiegel, „… es sei denn, man will anderen die Sache in die Schuhe schie-
ben.“ (Spiegel 41/1980)
Die Angst vor dem Terror – der entweder „den Linken“ oder dem „Extremismus überhaupt“ in die Schuhe geschoben wird – soll den Ruf nach dem „Starken Mann“ verstärken.
Am Tag nach dem Attentat wurde bei Itzehoe der „Anachronistische Zug“ von der Polizei festgehal-
ten, weil er Hoffmann als Teil der „Sammlungsbewegung zur Rettung des Vaterlandes“ entlarvte. Der Zug wurde an diesem Tag länger festgehalten als Hoffmann selbst.
Der „Anachronistische Zug“ zeigte seit dem Attentat Hoffmann als den Bombenleger …
„Brecht statt Strauß“ zeigte, was wir gegen diese Sammlungsbewegung, in der Hoffmann nur ein Rädchen ist, erkämpfen müssen:
Völlige Freiheit des Wortes, der Meinung, mit einer Einschränkung:
Keine Freiheit den Faschisten und anderen Reaktionären!
Völlige Freiheit des Rechts, sich in Verbänden zusammenzuschließen, mit einer Einschränkung:
Keine Freiheit denjenigen, die dieses Recht den Arbeitern, den Demokraten verweigern!
Herausgeber: Ortsgruppe München des Arbeiterbunds für den Wiederaufbau der KPD
V.i.S.d.P.: Jürgen Wolf, Tulbeckstraße 4, 8 München 2
Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung