Materialien 1981

Die tödlichen Fehler

Fahndung

Mit einem stümperhaften Konzept ließ Münchens Polizeipräsident Schreiber die Jagd nach Rechts-
terroristen in einem Blutbad enden. Dann wurde die Öffentlichkeit falsch informiert. Die nächtli-
che Schießerei zwischen den Rechtsterroristen und der Münchner Polizei dauerte nur wenige Se-
kunden. Dann lagen die fünf Männer von der rechtsradikalen Terrorgruppe „Volkssozialistische Bewegung Deutschlands“ (VSBD) kampfunfähig am Boden. Zwei von ihnen starben, ein dritter wurde schwer verletzt. Ein Beamter vom Sonder-Einsatzkommando (SEK) war von den Terrori-
sten mit einem Lungendurchschuss getroffen worden.

So stellte der Münchner Polizeipräsident Manfred Schreiber den dramatischen Zwischenfall am nächsten Tag in einer Pressekonferenz dar. Neben ihm am Tisch: Bayerns Innenminister Gerold Tandler.

Die Öffentlichkeit wurde falsch informiert. Was am Abend des 20. Oktober in der Putzbrunnerstra-
ße wirklich geschehen war, galt für Bayerns Polizeiführung und Innenminister Gerold Tandler drei Wochen lang als geheime Kommandosache. Erst am Mittwoch vergangener Woche gab Tandler vor dem Sicherheitsausschuss des bayrischen Landtags in nichtöffentlicher Sitzung Peinliches zu: Die schwerbewaffneten Rechtsterroristen hätten keinen einzigen Schuss abgefeuert. Die Polizei hatte die Schlacht allein veranstaltet und dabei auch den eigenen Kollegen lebensgefährlich verletzt.

Freilich: Die Tandler-Beichte war unvollständig. Wie sehr sich die Anti-Terror-Spezialisten der Münchner Polizei unter direkter Leitung von Manfred Schreiber tatsächlich blamiert hatten, ver-
schwieg der Minister. In der Tat war der Tipp auf die rechte Terror-Gang drei Tage vor der nächt-
lichen Schießerei aus der Drogenszene gekommen. „Heute habe ich ein wirklich tolles Ding für euch“, sagte Ahmed Famili zu seinem V-Mann vom Bayerischen Verfassungsschutzamt.

Der 37iährjge Perser war vor zwei Jahren in München als Drogendealer gefasst worden. Die Polizei ließ ihn danach als Spitzel arbeiten. Schließlich wurde er Zuträger für die Verfassungsschützer. Er sollte Khomeini-Anhänger in München aushorchen. Das brachte nichts. Aber das „tolle Ding“ hatte es in sich.

Ahmed Famili wohnte als Untermieter bei dem rechtsradikalen Herausgeber und Chef der terrori-
stischen VSBD, Friedhelm Busse, im Münchner Vorort Neubiberg. Dort seien, so berichtete Famili seinem V-Mann, vor ein paar Tagen ein Franzose und vier junge Deutsche aufgetaucht. Sie seien aus Frankreich gekommen, hätten eine Menge Waffen und Munition mitgebracht und wollten in den nächsten Tagen eine Bank überfallen. Die jungen Männer, so Ahmed, seien aber keine ge-
wöhnlichen Kriminellen, sondern Neo-Nazis.

Dem Verfassungsschützer war der Name Friedhelm Busse geläufig. Der 52jährige gelernte Schrift-
setzer ist ein fanatischer Rechtsradikaler mit Beziehungen zur „Wehrsportgruppe Hoffmann“ und zu militanten Faschisten in Belgien und Frankreich. Der Beamte beauftragte Ahmed Famili, die Bande weiter auszuforschen.

Schon am nächsten Tag brachte Famili neue Details: die Namen der fünf Rechtsradikalen, die zum Teil per Haftbefehl gesucht wurden, und der Bank, die überfallen werden sollte.

Am 19. Oktober berichtete Ahmed seinem V-Mann: Busse habe ihn beauftragt, einen Wagen für den Banküberfall zu besorgen. Ahmed hatte geprahlt, von einem ehemaligen Mitglied des Schah-Geheimdienstes „Savak“ leicht ein Auto beschaffen zu können. Die 5.000 Mark für einen gebrauch-
ten Citroen GS spendierte der bayrische Verfassungsschutz. Die Polizei baute schnell noch einen Peilsender ein.

Das Busse-Haus und die Bande waren seit dem heißen Tipp rund um die Uhr von Verfassungs-
schützern observiert worden. Sie beobachteten auch am frühen Nachmittag des 20. Oktober, wie Busse und seine fünf Gesinnungsgenossen für vier Stunden das Haus verließen, um in München einzukaufen.

Jetzt machte die Polizei den ersten entscheidenden Fehler: Hätte sie die Wohnung besetzt und das Waffenarsenal kassiert, dann hätte sie die Busse-Bande bei der Rückkehr vom Einkaufsbummel verhaften können. Polizeipräsident Schreiber und seine SEK-Spezialisten taten jedoch nichts.

Ihr zweiter Fehler: Die Polizei sah zu, wie die Terrortruppe am Abend den Citroen mit Waffen belud und davonfuhr. In der Putzbrunnerstraße stoppte sie dann mit zwei gepanzerten Autos den weißen Citroen und stürmte ihn.

„Eine taktische Meisterleistung“, höhnte ein hoher Münchner Polizeioffizier. Hätten nämlich die fünf schwerbewaffneten Neonazis ihre Warfen – darunter drei Maschinenpistolen – benutzt, hätte es mit Sicherheit tote Polizisten gegeben.

Statt dessen stürzten die fünf Insassen mit hocherhobenen Händen aus ihrem Citroen und legten sich wie befohlen mit dem Bauch auf die Erde. Dabei kullerte einem von ihnen eine selbstgebastel-
te Handgranate aus der Tasche – genau vor ein Polizeifahrzeug, und explodierte. Daraufhin verlo-
ren die kampferprobten Anti-Terror-Polizisten die Nerven. Sie schossen los, töteten zwei auf dem Pflaster liegende Neonazis und verletzten einen dritten schwer. Dass auch ein Polizist getroffen wurde, ist Schuld der falschen Einsatzleitung: Die Beamten aus den beiden gepanzerten Wagen standen sich beim Gefecht genau gegenüber.

Dass Innenminister Tandler nach dreiwöchigem Stillschweigen nun plötzlich wenigstens zum Teil informierte, mag einen besonderen Grund haben. Denn Ahmed Famili kam nach der Aktion zum Verfassungsschutz und verlangte Belohnung und Schweigegeld – insgesamt 30.000 Mark.

Sepp Ebelseder


Stern 48 vom 19. November 1981, 290.