Materialien 1982

Der Staat im Gespräch mit dem Bürger

Normalerweise stelle ich schon als Angeklagter die objektivste Instanz der Welt dar. Diesmal geriet ich als Zuschauer in diese angenehme Lage.

Nachbar Armin Witt war beschuldigt worden, Versammlungsleiter einer nicht von ihm veran-
stalteten Versammlung von „20 – 40“ Leuten vor einem Spekulationsobjekt gewesen zu sein. Es
kam weder zu einer Störung des Auto- noch des Fußgängerverkehrs, aber zu einer des gesunden Menschenverstandes, nämlich zu einer Gerichtsverhandlung wegen „nichtangemeldeter Versamm-
lung“ mit Richter, Schriftführerin, Staats- und Rechtsanwalt, Wachtmeistern, Zeugen, Schriftver-
kehr und massiver Zeitverschwendung, also zu der Farce, wie Geistesgesunde das Recht pflegen, das dies offenbar auch nötig hat. Auf das Missverhältnis von nicht begangener Tat zu diesem Auf-
wand wies ich nach Verlesung der Anklageschrift hin und warf später bestätigend, nein begütigend ein, es sei doch Faschingszeit – als einem Zuschauer das durchaus angebrachte Lachen verboten wurde. Das führte zu einer Ordnungsstrafe von DM 300.-, ersatzweise 3 Tage Haft, zu meiner Beschwerde und zur Ermäßigung auf DM 150.- – sowie zu dem folgenden Satiretext, 7 Seiten im Original, verantwortet von gleich drei volljährigen Richtern am Oberlandesgericht. Diese üppige Satire ist mit DM 150.- zwar bescheiden honoriert, aber immerhin der erste bezahlte Beitrag im Boten. Den todernsten Geschmack dieser fröhlichen Wissenschaft muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, den naheliegenden Vorwurf der Nichtigkeit dieses Vorgangs angesichts viel ernsteren Justizterrors bitte ich an die Urheber weiter zu geben, die sich mit so etwas die Endzeit vertreiben.

2 Ws 472/82
473 DS 114 Js 4531/81 StA b. d. LG München I
III BerL 798/82 StA b. d. OLG München

Beschlus

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts München hat am 23. April 1982 in dem Strafverfahren gegen Armin Witt, geb. am 29. September 1950 in Herne, wohnhaft Martin-Greif-Str. 3, 8000 München 2,

wegen Durchführung einer nichtangemeldeten Versammlung

hier: sofortige Beschwerde des Zuhörers Heinz Jacobi, wohnhaft Martin-Greif-Straße 3, 8000 München 2 gegen einen Ordnungsmittelbeschluss,

nach Anhörung der Staatsanwaltschaf

beschlossen

I. Dem Zuhörer Heinz Jacobi wird Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist
zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Ordnungsmittelbeschluss des Amtsgerichts München vom 22. Januar 1982 gewährt.

II. Die sofortige Beschwerde des Zuhörers Heinz Jacobi gegen den vorbezeichneten Beschluss, im Wege der Abhilfe abgeändert durch Beschluss des Amtsgerichts München vom 8. März 1982, wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Ausspruch über die Ersatzfreiheits-
strafe in Wegfall kommt.

III. Die Kosten der Wiedereinsetzung hat der Beschwerdeführer zu tragen. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens, das gerichtsgebührenfrei ist, treffen den Beschwerdeführer 3/4; im übrigen hat sie die Staatskasse, der auch 1/4 der dem Beschwerdeführer etwa im Beschwerde-
verfahren entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt werden, zu tragen.

Gründe:

I.

In der Hauptverhandlung vom 22.1.1982 verhängte das Amtsgericht München gegen den Beschwerdeführer ein Ordnungsgeld von 300,— DM

Das Hauptverhandlungsprotokoll enthält hierzu folgende Eintragungen:

„Jacobi Heinz …, der als Zuschauer aus dem Zuschauerraum ruft, nach Verlesung der Anklage ‚Schämen Sie sich nicht, diesen Unfug vorzulesen?’. Er erhebt Widerspruch gegen die Verschwen-
dung von Steuergeldern und stellt die Frage, ob ein geordneter Ablauf der Verhandlung gewähr-
leistet ist, wenn Ordnung und Vernunft sich widersprechen.“

„Staatsanwalt beantragt gegen Zuschauer Jacobi ein Ordnungsgeld.

Beschluss:

Gegen Zuhörer Jacobi Heinz wird ein Ordnungsgeld in Höhe von DM 300,— verhängt.

Gründe:

Der Zuhörer hat bereits bei Beginn der Hauptverhandlung den Ablauf der Hauptverhandlung durch Zwischenrufe gestört. Er wurde ermahnt. Dennoch äußerte er sich im Rahmen eines Rechtsgesprächs zwischen Rechtsanwalt, Staatsanwalt und Gericht mit einem erneuten Zwischenruf „Es ist doch Fasching“.

Der Zuhörer wurde über das Rechtsmittel der Beschwerde belehrt

Er wurde ermahnt, dass er bei weiteren Zwischenrufen zu einer Ordnungshaft von 3 Tagen verurteilt würde“.

Der Ordnungsmittelbeschluss wurde dem Beschwerdeführer am 11.2.1982 durch Niederlegung bei der Postanstalt mit „Beschwerdebelehrung“ zugestellt.

Am 16.2.1982 ging beim Amtsgericht München ein mit Beschwerde überschriebenes Schreiben des Zuhörers Jacobi ein, mit dem er sich gegen die Auferlegung eines Ordnungsgeldes von 300,— DM mit der Begründung wendet, seine „zwei kleinen Zwischenrufe“ hätten die Hauptverhand-
lung nicht gestört, er sei mit Recht empört über das Missverhältnis von Nichtigkeit der Anklage und Verfolgungsaufwand; im übrigen sei das Ordnungsmittel auch der Höhe nach übersetzt.

Das Amtsgericht München erließ hierauf folgenden Beschluss: „Der Beschwerde des Zeugen (?) Jacobi wird insoweit abgeholfen, dass anstelle eines Ordnungsgeldes von DM 300,— ein Ord-
nungsgeld von DM 150,—, ersatzweise 3 Tage Haft verhängt wird.

Gründe:

Zwar hat der Zeuge nicht unerhebliche Störungen verursacht, andererseits sind aber auch die Einkommensverhältnisse des zeuge zu berücksichtigen.Im übrigen wird der Beschwerde nicht abgeholfen.

II

Das bei Gericht am 16.2.1982 eingegangene Schreiben des Zuhörers Jacobi ist als eine nach § 181 GVG statthafte sofortige Beschwerde gegen den Ordnungsmittelbeschluss zu behandeln.

1. Die sofortige Beschwerde muss, obwohl sie erst nach Ablauf der von der Verkündung des Ordnungsmittelbeschlusses an laufenden Wochenfrist des § 181 Abs. 1 GVG bei Gericht einge-
gangen ist (§§ 35,311 Abs. 2 StPO), als rechtzeitig erachtet werden.

Bei dem Ordnungsmittelbeschluss vom 22.1.1982 handelt es sich um eine Entscheidung, die durch ein befristetes Rechtsmittel angefochten werden konnte (herrschende Meinung, vgl. Kleinknecht, StPO, 35. Aufl., Rdnr. 2, KK-Mayr, Rdnr. 1 je zu § 181 GVG). Der Zuhörer hätte demnach über die Anfechtungsmöglichkeit und die dafür vorgeschriebenen Fristen und Formen belehrt werden müssen (§ 35 a StPO). Dies ist ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nicht ordnungsge-
mäß geschehen. Die Versäumung der Rechtsmittelfrist ist deshalb als unverschuldet anzusehen mit der Folge, dass dem Zuhörer Jacobi gemäß §§ 45,44 Satz 2 StPO von Amts wegen Wieder-
einsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.

2. Das Rechtsmittel ist sonach zulässig; in der Sache selbst hat es einen Teilerfolg.

Nach § 178 GVG kann das Gericht gegen Parteien, Zeugen und andere Verfahrensbeteiligte, die sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen, ein Ordnungsgeld bis zu 2.000,— DM oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festsetzen und sofort vollstrecken lassen. Ungebühr im Sinne der genannten Vorschrift ist ein Verhalten, das geeignet ist, u.a. den ordnungs- und gesetzmäßi-
gen Ablauf der Verhandlung zu behindern oder zu gefährden und die Autorität des Gerichts zu beeinträchtigen (vgl. KK-Mayr, a.a.O., Rdnr. 2). Dem Betroffenen, gegen den ein Ordnungsmittel festgesetzt werden soll, ist vorher rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. Kleinknecht, a. a.O., Rdnr. 13). Die Gewährung rechtlichen Gehörs ist im Protokoll festzuhalten; der Beschluss ist mit einer Begründung zu versehen. Diese und die Darstellung des Sachverhalts sind gleichfalls in das Protokoll aufzunehmen.

Die formellen Voraussetzungen für die Festsetzung eines Ordnungsmittels sind erfüllt. Die Vor-
gänge, die zur Verhängung des Ordnungsmittels wegen Ungebühr vor Gericht Anlass gaben, sind vorliegend teils sowohl in die Begründung des das Ordnungsmittel aussprechenden Beschlusses als auch in die Sitzungsniederschrift, teils jedenfalls in das Protokoll aufgenommen worden.

Das rechtliche Gehör ist dem Beschwerdeführer gewährt worden. Der Begründung des angefochtenen Beschlusses ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer anlässlich einer vorangegangenen Störung in der Hauptverhandlung vom Richter ermahnt wurde.

Auch der Senat vermag das durch Ordnungsmittelbeschluss geahndete Verhalten des Zuhörers Jacobi nur als grobe Ungebühr zu bewerten. Die grobe Achtungsverletzung trotz vorangegan-
gener Abmahnung ist nicht zu rechtfertigen oder zu entschuldigen. Sie überschritt den Rahmen von Albernheiten, auf die noch mit einer Rüge reagiert werden kann, deutlich.

Das Amtsgericht hat, obwohl das Rechtsmittel seiner Bedeutung nach eine sofortige Beschwerde ist, und ihm deshalb eine Abhilfebefugnis nicht zustand, durch gleichwohl wirksamen Beschluss vom 8.3.1982 das verhängte Ordnungsgeld auf 150,— DM ermäßigt. Dieser Betrag ist mit Sicherheit nicht unangemessen hoch.

Soweit das Amtsgericht durch gleichen Beschluss 3 Tage Ersatzordnungshaft verhängt hat, ist sein Ausspruch aufzuheben, da mit Schluss der Sitzung die Disziplinargewalt des Amtsgerichts geendet hatte (OLG München, Beschluss vom 18.3.1975 – 2 Ws 130/75).

Der Ordnungsmittelbeschluss des Amtsgerichts München vom 22.1.1982, abgeändert durch Beschluss vom 8.3.1982, war daher auf die sofortige Beschwerde in der aus dem Tenor der Entscheidung ersichtlichen Weise zu ändern. Das weitergehende, auf die gänzliche Aufhebung
des Ordnungsmittelbeschlusses gerichtete Rechtsmittel muss als unbegründet verworfen werden.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 und 4 StPO, jedoch ist das Beschwerdever-
fahren gerichtsgebührenfrei (vgl. Kleinknecht, a.a.O., Rdnr. 7 zu § 181 GVG). Die Kostenentschei-
dung betrifft daher nur Auslagen der Staatskasse. Es erscheint dem Senat als billig, gemäß § 473 Abs. 4 Satz 2 StPO 1/4 der dem Beschwerdeführer erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen, weil er im Grunde voll unterlegen ist und nur in der Höhe einen Teil-
erfolg erzielte.

Dr. Ludolph
Vorsitzender Richter
Obert – Wolf
Richter
am Oberlandesgericht

München, den 28. April 1982
_ _ _

Für so etwas bezahlen wir also die patres conscripti eines ganzen Oberlandesgerichts-Senates. Einfach unbezahlbar. Ich plädiere auf zwangsweisen Deutschunterricht ohne Bewährung. Man stelle sich vor: ernste Männer, mitten neben dem Leben stehend, wie sie gerade im Begriffe sind, den erlaubten Rahmen der Albernheiten zu überschreiten, ein Triumvirat des Rechtes im Faschingskostüm des juristischer Ernstes, Satiren verfassend. Was darf die Satire? Bekanntlich alles. Und so nehmen diese Satiriker sich alles heraus. Noch ist der Ausdruck etwas ungelenk,
die deutsche Sprache wird zum Beschwerdeführer, wird in Ersatzordnungshaft genommen, aber
die Ansätze zur satirisch überhöhten Durchführung einfacher lebenswidriger Sachverhalte sind gegeben, die tückische Wortwahl ist die reinste deutsche Satire auf unsere Staats- und Rechts-
floskeln, artet satirisch in schönste Unverständlichkeit aus, lebt von ironischen Kürzeln, Wieder-
holungen in fein rhythmisierter Steigerung, ist papiergewordenes Symbol verzeihender Rechtlich-
keit, Menschlichkeit. Noch einmal muss Ingrid Hantsch, „Semiotik des Erzählens“ zitiert werden: was satirische Schreibweise sei. Daran messe man den Text des Satire-Kollektivs Ludolph-Obert-
Wolf. „Die satirische Schreibweise definiert sich als semiotische Systemerstellung, verstehbar als kommunikativer Akt innerhalb der Dimension „Autorintentionalität“ und „Hörerintellektualität“, wobei die pragmatische Absichtlichkeit die semantische, syntaktische und ästhetische Information der Texte überlagert, sie funktionalisiert und mediatisiert, und dadurch subtextuell die sigmatische Beziehung zwischen Textwirklichkeit und realempirischer Wirklichkeit zeichenhaft so regelt, dass letzterer gegenüber negativ werdende kritische Energie frei wird.“

Und wie die negativ wertende Energie frei wird! So ergeht folgender
Beschluss:

Der Leiter der antikriminellen Vereinigung, Dr. Ludolph wird ehrenhalber in die Zunft der Berufs-
satiriker aufgenommen. Die Einheit von Leben und satirischem Werk ist beispielhaft. Seine Auf-
nahmefähigkeit für Alkohol soll es auch sein, was zusätzlich für den Satiriker spricht. Außerdem soll er CSU-Mandatsträger sein, was ebenfalls für die Totalität seiner satirischen Auffassung auch im realempirischen Leben spricht. § 51 kann nicht in Anwendung kommen. Diese Einordnungs-
strafe ist unaufhebbar, eine Berufung unterliegt von vorneherein der Verwerfung. Ein Hoch und ein dreifach kräftiges Helau auf den Kultur- und Rechtsstaat, wo Satire bereits gelebt wird!

Heinz Jacobi


Der Bote Nr. 10. Der Martin-Greif-Bote. Die politisch-literarische Zeitschrift aus der Martin-Greif-Straße, München 1982, 7 ff.

Überraschung

Jahr: 1982
Bereich: Bürgerrechte

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