Flusslandschaft 1982

Bürgerrechte

Im Januar wird in Bayern als erstem Bundesland das Digitale Sondernetz der Polizei (dispol) ein-
geführt. So wird der Informationsfluss von einzelnen Polizeirevieren und Streifenwagen zum Com-
puter im regionalen Informationszentrum im Landeskriminalamt und zum Zentralcomputer des Polizeilichen Informationssystems (inpol) schneller und direkter.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) veranstaltet am 25. Januar eine Kundge-
bung unter dem Motto „Zehn Jahre ‚Radikalenerlass’“.1 – Auch die Münchner Bürgerinitiative gegen Berufsverbote (Sprecher: Klaus E. Lehmann, Grillparzerstraße 49, 8000 München 80, Telefon 473642) ist unter dem Motto „Sei keine Duckmaus – Gegen Berufsverbote und Atomra-
keten“ immer noch aktiv.

„Wochenendseminar ‚Ordnungszelle Bayern’ – Für Januar oder Februar 1982 plant der OV Mün-
chen ein Wochenendseminar, das sich mit der Sonder- und Vorreiterrolle Bayerns bei der Ein-
schränkung der Grundrechte historisch-aktuell befassen soll. Dies ist auch für Nicht-Bayern inte-
ressant. Warum? Am 1. Oktober 1978, genau hundert Jahre nach der Verkündung der sogen. So-
zialistengesetze, trat das Bayerische Polizeiaufgabengesetz in Kraft. Die Möglichkeit des Einsatzes von Maschinengewehren gegen Demonstranten sowie der befohlene ‚gezielte Todesschuss’ (auch auf Kinder unter vierzehn Jahren) wurde geltendes ‚Recht’. In einer gemeinsamen Broschüre warnten damals die HU/Bayern, die Jungdemokraten, das Anti-Strauß-Komitee, die Vereinigung Demokratischer Juristen und andere: ‚… Bayern soll damit für die anderen Bundesländer den Vor-
reiter bei dem Versuch spielen, ein einheitliches Polizeirecht mit Todesschusserlaubnis durchzu-
setzen …’ – So geschah es. Die Entscheidung über den Einsatz von CS-Gas nahm – wie vieles an-
dere auch – den gleichen Weg. Bayern entwickelt zunehmend politisch-praktischen Modellcharak-
ter. – Viele Menschen, insbesondere auch in der HU, erheben warnend ihre Stimme und weisen auf die furchtbaren Konsequenzen hin, die die Aushöhlung der Grundrechte und der Ausbau des staatlichen Gewalt- und Schnüffelapparates in unserer unmittelbaren Vergangenheit hatten. Der Begriff ‚Ordnungszelle Bayern’ wurde für die politische Diskussion wiederentdeckt, beschreibt er doch zutreffend die Rolle Bayerns im Hinblick auf den ‚Gesamtorganismus’, das Reich bzw. die Zweite Republik. Es herrscht weitgehende Übereinstimmung, dass die bayerische Sonderent-
wicklung (gelungener Kapp-Putsch, Operationsbasis und Zufluchtstätte der Faschisten) wesent-
liche Mitvoraussetzungen für die Machtübernahme des Faschismus war. – Wozu werden sich die gegenwärtigen Entwicklungen auswachsen? Sind Abschnitte der beiden deutschen Republiken vergleichbar? Und wenn, unter welchen Bedingungen? – Die Humanistische Union sollte sich in diesen Fragen als Diskussionsforum engagieren! – Interessenten melden sich bitte schriftlich bei: Petra-Maria Einsporn, Lilienstraße 18, 8000 München 80.“2

In der Nacht vom 5. auf den 6. März nimmt die Polizei 141 Jugendliche im Nürnberger Jugend-
zentrum KOMM fest, nachdem in der näheren Umgebung einige Schaufenster zu Bruch gegangen sind. Fünf Haftrichter ordnen noch in derselben Nacht mit vervielfältigten Formularen U-Haft an. Keiner der Jugendlichen, die zum Teil mehrere Tage in Haft waren, wird später verurteilt. Auch in München wird gegen diesen Polizeieinsatz protestiert.

Das Verwaltungsgericht entscheidet nach fünf Prozessen, dass das Kultusministerium Klaus Pilho-
fer zum Vorbereitungsdienst an Volksschulen zulassen muss, auch wenn er 1977 für den Marxisti-
schen Studentenbund „Spartakus“
kandidiert hat.3

Heinz Jacobi äußert sich während eines Prozesses mit Zwischenrufen und erlebt einen „Ordnungs-
mittelbeschluss“.4

Am 22. September beginnt um 19 Uhr am Orleansplatz in Haidhausen eine Demonstration zur Er-
innerung an den vor einem Jahr getöteten Berliner Hausbesetzer Klaus Jürgen Rattay. Sie thema-
tisiert die zunehmenden Repressionen, vor allem die vielen Hausdurchsuchungen, Massenverhaf-
tungen in Nürnberg, das sogenannte „Verbot der passiven Bewaffnung“ (Schutzkleidung bei De-
monstrationen) …

(aktualisiert am 20.2.2019)


1 Flugblatt: Stadtarchiv, Zeitgeschichtliche Sammlung 152/1.

2 Mitteilungen der Humanistischen Union vom Dezember 1981, 36. Siehe „Ordnungszelle Bayern“ von Hansjörg Ebell.

3 Vgl. die tageszeitung vom 19. März 1982.

4 Siehe „Der Staat im Gespräch mit dem Bürger“ von Heinz Jacobi.