Materialien 1982

An meine Kollegen von der Presse

Ich schäme mich, Journalistin zu sein. Ich schäme mich, einem Berufsstand anzugehören, dar im Angesicht des Völkermordes nicht nur schweigt, sondern auch noch lügt.

Im Libanon werden von der israelischen Armee, die ohne jedes Recht in diesen Staat einmarschiert ist, seit Wochen Menschen umgebracht, ihre Häuser in Schutt und Asche gebombt, ihre Städte und Dörfer dem Erdboden gleich gemacht. 600.000 Menschen sind auf der Flucht, Menschen, die zum Teil schon seit 34 Jahren auf der Flucht sind, die im Libanon zwar keine Heimat fanden, aber Zuflucht. Nun irren sie durch verwüstetes Land, wissen nicht wohin, denn wenn sie im Süden bleiben, gibt es kein Pardon: sie sind ja Palästinenser. Sind sie in das belagerte Beirut geflohen, droht ihnen abermals der Tod. Liegen sie in einem Krankenhaus, verletzt durch Splitterbomben, deren Splitter nie wieder aus dem Körper zu entfernen sind, oder durch Napalm, der sich unrettbar durch die Haut frisst, oder „nur“ durch einen Granatsplitter, „nur“ durch Kugeln getroffen, haben sie dennoch nicht viel Hoffnung auf Heilung oder Linderung: die Israelis sperren die Zufuhr von Medikamenten systematisch ab, die von Lebensmitteln ebenso.

Und was tut Ihr in dieser Situation? Angesichts der vom Internationalen Roten Kreuz und dem Weltkirchenrat gezählten Zehntausenden Toten?

Ihr berichtet vom Hofe der Angreifer. Der Mörder. Ihr formuliert die Verlautbarungen des israelischen Generalstabes um in euren Journalistenjargon. Ihr sprecht von „Vergeltung“, von Israels Sicherheit, von „Terroristennestern“.

Wisst Ihr nicht, dass selbst Margaret Thatcher am Abend nach dem Attentat auf den israelischen Botschafter in London erklärte, die Attentäter hätten nichts mit der PLO zu tun, im Gegenteil, der PLO-Vertreter in London stand ebenfalls auf ihrer Liste?

Wisst Ihr nicht, dass der Einmarsch seit Monaten geplant war, mit Wissen der Amerikaner? Hört Ihr nicht einmal hin, wenn selbst israelische Generäle das erklären?

Wisst Ihr nicht, dass die Opfer des israelischen Angriffs die Zivilbevölkerung sind, Palästinenser wie Libanesen, Ihr, die Ihr selbst im Libanon sitzt?

Warum sprecht Ihr so leichtzüngig von Terroristen, wenn es um die PLO geht, von Terroristennestern, wenn das palästinensische Volk gemeint ist?

Ich fürchte, ich weiß, warum. Weil Ihr euch der Macht unterwerft. Weil Ihr lieber für die arbeitet, die die Unterstützung der Vereinigten Staaten haben, die Zustimmung des „Westens“, die Waffen und die Unverfrorenheit des fait accompli.

Und wenn Ihr nun sagt, Ihr tut das, weil Ihr Euch als Deutsche den Juden verpflichtet fühlt, dann nehme ich Euch das nicht ab. Dazu seid Ihr hier zu wenig als Antifaschisten aufgetreten. Dazu ist mir Euer Engagement gegen den wieder aufkeimenden Antisemitismus und Rassismus gegen Ausländer hierzulande zu lasch. Und selbst wenn Ihr wirklich an den Holocaust dächtet: Müsste Euch das nicht verpflichten, den, der jetzt eben, vor Euren eigenen Augen passiert, zu verhindern?

Indem Ihr aller Welt sagt, was los ist? Indem Ihr in Euren Berichten beschreibt, was dieser Krieg für die Menschen, gegen die er gerichtet ist, bedeutet? Indem Ihr auch schreibt, welche Interessen dahinter stecken?

Ich sage nicht, Ihr sollt Euch für die Sache der Palästinenser engagieren. Nein, sagt nur, was wirklich passiert.

Was denkt Ihr euch eigentlich, wenn aus „israelischen Regierungskreisen“ verlautbart wird, die Palästinenser müssten vernichtet werden? Wenn Begin sagt, die Palästinenser seien „Tiere auf zwei Beinen“?

Was denkt Ihr Euch eigentlich, wenn Tausende Palästinenser und Libanesen zusammengeschossen und bombardiert werden und die israelische Regierung der Familie eines getöteten französischen Kameramannes ein Beileidstelegramm schickt?

Was denkt. Ihr Euch eigentlich, wenn Ihr hört, dass die gefangenen Palästinenser im Süden de. Landes ein weißes Kreuz auf den Rücken genäht bekommen, um sie von den Libanesen und anderen Menschen zu unterscheiden?

Ich kann Euch nur sagen, was einer davon denkt, der zwar kein Journalist ist, aber Jude. Der österreichische Bundeskanzler Kreisky bezeichnete die israelische Regierung als „halbfaschistisch“.

In unseren Zeitungen las ich diese Meldung am Rande, in ein paar Zeilen notiert. Auf einer ganzen Seite aber durfte ich im „Kölner Stadtanzeiger“ lesen, wie sich die libanesische Bevölkerung angeblich über den Einmarsch der Israelischen Armee freut.

Im „Stern“ durfte ich auf zwei Aufmacherseiten sehen, wie zwei palästinensische „Guerilleros“ einen toten israelischen Hubschrauberpiloten abschleppen. Damals waren bereits Zehntausend Tote gezählt. Auf Seiten der palästinensischen und libanesischen Bevölkerung.

Von der Berichterstattung im Fernsehen will ich lieber gar nicht sprechen. Hier wurde selbst der leiseste Verdacht auf Objektivität ausgeräumt. Hier werden mit erfrischender Offenheit die Interessen der Vereinigten Staaten vertreten, die als einzige Nation der Welt mit ihrem Veto in der UNO eine Verurteilung der israelischen Aggression und die Forderung nach sofortigem Rückzug verhinderten. Die Interessen der israelischen Regierung, die das Palästinenserproblem lösen will, indem sie die Palästinenser ausrottet. Die Interessen des Westens, der in „seinen“ Erdölgebieten keinen Unruheherd dulden kann.

Als Argentinien auf den Falklands einmarschierte, winzigen Inseln, weitab, ohne Verluste in der Zivilbevölkerung, ohne Napalm und Splitterbomben, da habt ihr Tag für Tag ausführlich berichterstattet. – Von beiden Seiten, auf die Meldungen und Korrespondentenberichte aus London folgten stets die aus Buenos Aires. Da mochtet Ihr als Journalisten keine Einseitigkeit dulden.

Liebe Kollegen im Libanon, ich wünsche Euch nicht, dass Ihr plötzlich, von einer Splitterbombe schwer verletzt, ein Krankenhaus suchen müsst und keines findet, da sie alle bombardiert sind. Dass Ihr dann doch eines findet aber keine Hilfe darin, weil die Israelis die Zufuhr von Medikamenten abschneiden. Dass Ihr Euren Durst nicht löschen könnt, weil die Wasserleitungen zerborsten sind. Dass dann die Mauer neben Eurem Krankenbett einstürzt, weil wieder eine Bombe getroffen hat. Ich wünsche es Euch nicht. Aber wenn es so wäre, dann würde ich anschließend gerne einen Korrespondentenbericht von Euch aus dem Libanon hören.

Es gibt Ausnahmen, ich weiß. Den Kollegen, der den Bericht für „Report“ gemacht hat, zum Beispiel. Aber es sind zu wenige. Sie können für all die anderen, die schweigen, verharmlosen, lügen, kein Ausgleich mehr sein. Ich schäme mich, Journalistin zu sein.

Ingrid Strobl
21. Juni 1982


Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.

Überraschung

Jahr: 1982
Bereich: Medien

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