Materialien 1983

Nie wieder Verwahranstalten für Behinderte

Eltern behinderter Kinder, Mitarbeiter betroffener Einrichtungen sowie Vertreter von GEW und ÖTV haben am 26. Februar energisch gegen Sparmaßnahmen an Behinderteneinrichtungen protestiert. Eine Demonstration und anschließende Veranstaltung im Schwabinger Bräu zeigten die Wut und Empörung der Betroffenen.

Für bestimmte ausländische Kinder soll (wie bisher) wohl künftig überhaupt keine Förderung mehr geben:

In einem Bescheid des Stadtjugendamtes München vom 21. Januar 1983 heißt es:

„Bei … handelt es sich um ein Kind mit spanischer/jugoslawischer Staatsangehörigkeit. Da Spanien/Jugoslawien kein Mitglied des Europ. Fürsorgeabkommens ist, ist die Hilfegewährung eine reine Kann-Leistung nach § 120 Abs.1 Satz 2 BSHG. Die heilpäd. Tagesstätte wird gebeten, den Hilfefall bis zum Ende des Bewilligungszeitraumes abzuschließen (= 31. August 1983, die Red.), da eine weitere heilpäd. Betreuung voraussichtlicht nicht gewährt werden kann.“

Trotz massivem Widerstand haben die bayerischen Bezirke am 3. Februar 1983 drastische Kürzungen im Behindertenbereich beschlossen: mindestens 10 Prozent der Kosten in Einrichtungen für geistig und körperlich behinderte Jugendliche sollen gespart werden! – durch Verminderung der Öffnungstage, Aufstockung der Gruppengröße, Streichung von Planstellen und weniger Gruppenkräfte (um nur einige der Maßnahmen zu nennen).

Behinderte, ihre Eltern und Betreuer sollen dafür büßen, dass die bayerische Staatsregierung nicht mehr Geld für die sprunghaft angestiegenen Sozialhilfeausgaben bereit stellt (Behinderte werden nach dem Bundessozialhilfegesetz gefördert!).

Die Sorge ist groß, dass als Folge der Kürzungen die heilpädagogische Arbeit in den Tagesstätten (u.a. auch z.B. Stiftung Pfennigparade, Spastikerzentrum München und viele andere) erschwert oder unmöglich gemacht wird – und die Einrichtungen zu reinen Verwahranstalten herunterkommen. Eine alleinerziehende Mutter schrieb: „Bisher wurden in der Tagesstätte nicht nur Hausaufgeben betreut. Es wurden Aktivitäten geplant und durchgeführt, Anregungen gegeben. Meine Tochter ist dadurch ein ganz anderer Mensch geworden, hat sich Ziele gesetzt und Selbstbewusstsein entwickelt“. Eine andere Bemerkung: „Das Jahr der Behinderten ist ja schon längst vorbei – nur wir haben lebenslänglich!“

Max Weber, Landtagsabgeordneter, selbst Behinderter, warnte: „Wer bei der Ausbildung und Integration behinderter Kinder das Sparen anfängt, erkennt nicht, dass das langfristig viel mehr Geld kostet.“

Klaus Bode, ÖTV-Sekretär: „Der Rotstift muss da angesetzt werden, wo er hingehört, bei den Rüstungsausgaben!“

Über 70 Grußadressen aus der ganzen Bundesrepublik ermutigten die Anwesenden, ihren Protest nicht aufzugeben, sondern noch zu verstärken.

Der „Arbeitskreis gegen Sparmaßnahmen im Behindertenbereich“ kündigte unter großem Beifall als nächstes einen „bayernweiten Aktionstag“ an.

MM


wir. Information für Münchner Gewerkschafter, hg. vom DGB-Kreis München 2/1983, 15.

Überraschung

Jahr: 1983
Bereich: Behinderte

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