Materialien 1983

Die Kriminalität

Mittwoch, 6. Juli

Wenn sich alle an die Vorschriften hielten, gäbe es kein Verbrechen, und ohne Verbrechen gäbe es keine Polizei. Der Umkehrschluss, dass es ohne Polizei kein Verbrechen gäbe, scheint aber auch nicht ganz falsch zu sein.

In der Münchner Innenstadt wird heute für die Abrüstung der Polizei und die Amtsenthebung eines Polizisten demonstriert, der einen 14jährigen Jungen erschossen hat. Im Landtag moniert die Opposition die Entsendung dreier Polizisten nach Zaire, wo sie den schwerer Menschenrechtsverletzungen verdächtigten Staatschef beim Aufbau irgendeiner speziellen Organisation unterstützen sollten. In Düsseldorf steht gar ein halbes Revier vor Gericht! Vier Beamte der Altstadtwache haben ihre Dienststelle zum Schauplatz übelster Menschenquälerei gemacht. In Regensburg entdeckte man, dass ein 28jähriger Polizeiobermeister auch noch dem Beruf des Bandenchefs einer in ganz Bayern tätigen Vereinigung von Räubern und Einbrechern oblag.

Handelt es sich hier um ganz isolierte Einzelfälle und eine untypische Häufung von Berichten gerade heute? Oder muss ich, unter Berücksichtigung der üblichen Dunkelziffer, davon ausgehen, dass der Prozentsatz der Verbrecher im Polizeidienst keineswegs niedriger ist als in der Gesamtbevölkerung?

Freitag, 15. Juli

Sehr zufrieden mit dem Geschäftsjahr 1982 ist die bayerische Polizei. Es gelang ihr, 8,5 Prozent mehr Bußgeldbescheide abzusetzen als im vorvergangenen Jahr. Das ergibt allein für diesen Dienstleistungssektor einen Reingewinn von 57,4 Millionen Mark, die sich zusammensetzen aus den Bußgeldern im eigentlichen Sinn und den Verwaltungskosten, die bei der Erteilung eines Bußgeldbescheids dem Käufer extra berechnet werden. Weiter ansteigend ist bei Bußgeldbescheiden speziell die Zahl der weiblichen Abnehmer. Bei immer noch erst 21,4 Prozent sind die Absatzchancen aber noch lange nicht ausgeschöpft. Die Zustimmung des Landtags, mehrheitlich jedenfalls der Abgeordneten, die vom Geschäft etwas verstehen, macht es der Polizei ab 1.8. dieses Jahres möglich, mit einer ganz originellen Dienstleistung ihre Angebotspalette noch zu erweitern. Für 40 Mark pro Stunde soll man rechtswidrig oder gewalttätig demonstrieren dürfen. Innenstaatssekretär Neubauer verbreitet hinsichtlich der Marktlage Optimismus. Die überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung warte schon lange auf dieses Angebot. Die Demo zum Nulltarif, das verlange heute niemand mehr, schon aus Prestigegründen. Was nichts kostet, ist auch nichts wert …

Katharina Rutschky


Michael Rutschky, 1982. Ein Jahresbericht, Frankfurt am Main 1983, 152 ff.

Überraschung

Jahr: 1983
Bereich: Bürgerrechte

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