Materialien 1983
Falschspieler in staatlichem Auftrag
Was dem Ministerium für Staatssicherheit und den K5-Abteilungen der Kriminalpolizei in der ehemaligen DDR der »Inoffizielle Mitarbeiter« (IM) war, das ist den bundesdeutschen Sicher-
heitsbehörden der »V-Mann« (VM). Wie uns ein kurzer Blick in das Kriminalistik-Lexikon lehrt, steht das »V« dabei jedoch nicht für »Verbindung« sondern für »Vertrauen«. Dem Lexikon weiter folgend handelt es sich hier um einen »Sammelbegriff für eine Vielzahl von Bezeichnungen für Personen (z.B. Vertrauensleute, Konfidenten, Vigilanten, Spitzel) …«. Damit ist die wichtigste und gebräuchlichste Bezeichnung bereits gefallen: Die des Spitzels, über die sich im Standardwerk der deutschen Kriminalistik dann allerdings keine weiteren Auskünfte einholen lassen. Und auch in Meyers Grossem Taschenlexikon sucht man vergeblich nach weiteren Aufschlüssen. Nähern wir uns dem Begriff daher also von einer anderen Seite und ändern ihn – da das Spitzelgeschäft bei-
leibe nicht auf das männliche Geschlecht beschränkt ist – dabei zugleich treffender in »V-Person« (VP).
»Berichte ohne Wert« lautet der Titel einer Aktenreihe im Magazin des Hamburger Staatsarchivs. Hinter diesem unattraktiven Titel verbergen sich rund 20.000 handgeschriebene Dokumente aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg: amtlich Erlauschtes aus Hamburger Arbeiterkneipen während der Jahre 1892 bis 1914. Was die Menschen dort über Fragen ihrer Zeit und Alltagsprobleme dach-
ten und miteinander beredeten, wurde von anderen fleissig mitgehört, anschliessend protokolliert und als so genannte »Wirtschaftsvigilanzberichte« von der Politischen Polizei ausgewertet und archiviert. Im Prinzip hat sich daran bis heute nicht sehr viel geändert, auch wenn die politischen Abteilungen der Polizei heute verharmlosend Staatsschutzdezernate genannt werden und ihnen die Anwerbung und Führung eigener VP im Prinzip verboten ist. Personen, die sich ihnen für Spitzel-
dienste anbieten, müssen an die Verfassungsschutzämter abgegeben werden. Dementsprechend will das Kriminalistik-Lexikon denn auch »klar zwischen dem V-Mann der Polizei und dem V- Mann für Nachrichtendienste« unterschieden wissen. Letztere, so heisst es weiter, lebten »meist in einem ausgesprochen gutbürgerlichen Milieu und arbeiten immer über einen längeren Zeitraum für Zuwendungen für diese Dienststellen«. Für den Bereich der Spionage(abwehr) mag diese De-
finition ausreichend und zutreffend sein. Für Spitzel im Bereich der (hier interessierenden) politi-
schen Protestbewegungen oder des Extremismus ist sie jedoch nur in den seltensten Fällen stim-
mig. Wer hier (im Sinne der Dienste) erfolgreich arbeiten soll, muss aus der jeweiligen Szene stam-
men, sich dort auskennen und selbst einigermassen bekannt sein …
Doch nur die wenigsten Geheimdienst-Informanten sind – zumindest finanziell – so erfolgreich wie die V-Männer »Wien« und »Flach«. So wurde beispielsweise bei den Auseinandersetzungen während einer Demonstration gegen den damaligen US-Präsidenten George Bush in Krefeld im Sommer 1983 ein junger Mann festgenommen, kurz darauf jedoch wieder auf freien Fuß gesetzt. Bei der Auswertung von Polizeifotos fiel auf, dass dieser Mann sich als besonders aktiver Steine-
werfer an den Krawallen beteiligt hatte. Obwohl der zuständigen Staatsanwaltschaft vermutlich bekannt war, dass der 25-Jährige eine VP-Tätigkeit ausübte, erliess sie einen Haftbefehl gegen ihn. Rund drei Monate später wurde er bei einem Grenzübertritt in Aachen festgenommen. Es handelte sich um Peter Troeber, einen V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes. Zwar kam er am Ende mit einem Freispruch davon und erhielt von den Verfassungsschützern eine neue Identität, seine VP-Karriere allerdings war beendet.
Drei Jahre nach dem Fall Peter Troeber flog in Bayern ein weiterer Verfassungsschutz-Provocateur auf, der ebenfalls als aktiver Steinewerfer an der Anti-Bush-Demo in Krefeld teilgenommen hatte. 1986 war der V-Mann Manfred Scheffer abgesprungen und hatte sich den Justizbehörden gestellt, die ihn sofort in Untersuchungshaft nahmen. Nach seinen Angaben hatte er im Behördenauftrag 1983 nicht nur in Krefeld Steine geschmissen, sondern auch in München einen Brandanschlag auf einen Supermarkt und in Freising Brandanschläge auf Sparkassen verübt sowie in München einen Bombenanschlag auf ein Justizgebäude vorgetäuscht. Für jeden erfolgreichen Anschlag habe ihn der Verfassungsschutz mit Summen zwischen 1.000 und 2.000 Mark entlohnt. Die Bekennerbriefe seien vorher mit seinem Verbindungsmann abgesprochen gewesen. Später schränkte Scheffer sei-
ne belastenden Aussagen ein und wurde zu einer Haftstrafe von knapp drei Jahren verurteilt, die Ermittlungen gegen die belasteten Verfassungsschützer wurden eingestellt …
Otto Diederichs
Horch und Guck. Zeitschrift zur kritischen Aufarbeitung des SED-Diktatur 38/2002, Berlin, 73 – 76.