Materialien 1983

Niemand kann verrückter sein als der Staat selbst!

Montag, 28. September 1983 um 20.00 im ZOFF
Diskussion mit der Psychiatrie-Zeitschrift TÜRSPALT

Die meisten Leute, die in die Psychiatrie abgeschoben werden, sind „zwangsweise untergebracht“ (in Haar z.B. mindestens 60 Prozent). Nach dem Bayerischen Unterbringungsgesetz kann jemand dorthin „eingewiesen“ werden, wenn er sich oder andere oder die „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ gefährdet. Hier in Bayern kann man sogar schon in der Klapse landen, wenn man „sein Leben oder in erheblichem Maße seine Gesundheit gefährdet“ (Art. 1, Abs.1 des Bayerischen Unterbringungsgesetzes).

Schon daran sieht man, was die Psychiatrie als staatliche Institution soll: Staat und Öffentlichkeit reinhalten vor den Menschen, die diese Verhältnisse nicht mehr ertragen und damit sowohl deren Unsinnigkeit ausdrücken wie auch als Gegner der herrschenden „Wirtschafts- und Lebensform“ auftreten könnten.

Durch die Umschreibung solcher „Störungen der öffentlichen Ordnung“ zur „Ungesundheit“ sind dem Staat alle Mittel gegeben, diese zu beseitigen, – das heißt dann nicht mehr: Widerstand vernichten sondern: Krankheit bekämpfen. – Und das mit den lebensgefährlichen Mitteln der Psychiatrie (Elektroschock und Psychopharmaka). Insbesondere ist so eines offen möglich, was sonst schwer machbar wäre: Das Grundgesetz ist faktisch aufgehoben. „Aufgrund dieses Gesetzes können die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person, Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses, Freizügigkeit und auf Unverletzlichkeit der Wohnung eingeschränkt werden.“ (Art. 42 des Bayerischen Unterbringungsgesetzes).

In München gibt es praktisch keinen Widerstand hiergegen. Die neuere Psychiatrie, wie sie durch die Psychiatrieenquete des Bundes und durch den Bayerischen Landespsychiatrieplan eingeführt worden war, breitet sich nicht nur in Stadt und Land, sondern vor allem in den Köpfen der „psychiatrisch Tätigen“ aus. Und die Leute, die’s angeht, sind zumindest zeitweise praktisch per Pharmaka und E-Schock erfolgreich ausgeblendet. Vor allem fehlt es ihnen an Möglichkeiten des Überwinterns: Auffangwohnungen, Wohnungen, Möglichkeiten zum Geldverdienen, auch wenn man nicht acht Stunden malochen kann und Selbstorganisationen, denen es um mehr als um Arbeitsplatz, Gesundheit und guten Schlaf geht.

Anti-Staats-Tage 26.9 – 2.10.1983 in München.
ZOFF, 8000 München 2, Landsberger Straße 79/Rgb.


Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.

Überraschung

Jahr: 1983
Bereich: Psychiatrie

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