Materialien 1984
„Die Bayerische Justiz fällt das Todesurteil - die Berliner Justiz vollstreckt es“
Diesen Titel hat Peter Schult seiner „Selbstdarstellung“, die er für die „vorgänge“, Heft 66, schrieb, gegeben.
Peter Schult, 55 Jahre alt, Journalist und Schriftsteller, wurde 1981 wegen Päderastie verurteilt. Seit dieser Zeit zeigten sich Symptome einer Lungenerkrankung, die aber von den ihn behandeln-
den Anstaltsärzten nicht zur Kenntnis genommen bzw. geleugnet wurden. Die Lungenkrankheit stellte sich im letzten Jahr als Lungenkrebs heraus, jetzt im letzten Stadium und inoperabel. Alle Anträge auf vorzeitige Entlassung wurden abgelehnt, auch nach Verbüßen von 2/3 der Strafe. Der Anwalt Peter Schults, Jürgen Arnold, hat Ende letzten Jahres beim zuständigen bayerischen Ju-
stizministerium – Peter Schult ist derzeit in Berlin-Plötzensee inhaftiert – ein Gnadengesuch eingereicht, das inzwischen von ca. 5.000 Unterzeichnern mitgetragen wird.
Der Landesverband Berlin der HU und die Bundes-HU haben sich mit gesonderten Schreiben an das Justizministerium gewandt und um Gnade für Peter Schult gebeten. Um diesem Schreiben Nachdruck zu verleihen und die Öffentlichkeit noch mal über den Fall Peter Schult zu informieren, fand kürzlich, zusammen mit der HU, eine Pressekonferenz in München statt. Die eingeladenen Vertreter der Justiz und die verantwortlichen Ärzte hatten eine Beteiligung abgelehnt. Der Vertre-
ter der HU, Rechtsanwalt Sieghart Ott, wies darauf hin, dass Peter Schult inzwischen schon mehr als 2/3 seiner Strafe verbüßt hat. Weiter sagt er:
„Dem Recht ist also insoweit Genüge getan, Rechtsverwirklichung ist jedoch nicht denkbar ohne Gnade. Die Begnadigung eines Verurteilten ist wesentlicher Teil unserer Rechtskultur, entspricht insbesondere auch christlicher Rechtstradition. Das Gesetz gilt ohne Ansehung der Person. Der Richter hat im Urteil die Persönlichkeit zu würdigen. Die Gnadeninstanz soll nicht korrigieren, aber Menschlichkeit üben.
Auf Begnadigung besteht kein Rechtsanspruch. Doch ist Begnadigung auch ein Instrument zur Wahrung der Menschenwürde des Verurteilten. Art. 1 Abs. 1 GG verbietet übermäßig hohe oder grausame Strafen. Selbst wer zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt ist, muss wenigstens die Chance haben, nach Verbüßung einer längeren Haftzeit wieder die Freiheit zu erlangen. Vorzeitige Haftentlassung sollte daher auch dem zu zeitiger Freiheitsstrafe Verurteilten gewährt werden, der vom nahen Tod gezeichnet ist, wie Peter Schult.
Die HUMANISTISCHE UNION appelliert daher an den Bayerischen Staatsminister der Justiz, aus Gründen der Humanität und der Menschenwürde von seinem Begnadigungsrecht Gebrauch zu machen, ehe es zu spät ist.“
Peter Schults letztes Strafdrittel, das in vielen Fällen zur Bewährung ausgesetzt wird, begann im Oktober 1983, dies wäre für die Justiz eine Gelegenheit gewesen, unter eine finstere Geschichte einen Schlußstrich zu ziehen. Sogar Fahrlässigkeit und Unterlassungen, die letztlich die Krankheit von Peter Schult unheilbar, tödlich werden ließen, hätten bei einer Entlassung auf Bewährung nicht mehr zur Sprache kommen müssen. Staatsanwaltschaft und Gefängnisleitung hatten einer Entlassung einmütig zugestimmt, die Genehmigung des Gerichts erschien dadurch so gut wie sicher. Doch wie es kam, schildert Peter Schult in einer „Selbstdarstellung“ wie folgt:
„In zynisch-arrogantem Richter-Deutsch ist die schriftliche Ablehnung des Drittel-Antrags abge-
fasst, die mir am 26. Oktober 1983 ausgehändigt wurde, also an dem Tag, an dem ich annahm, entlassen zu werden:
‚Da der Verurteilte nach dem Krankenhausbericht vom 29. August 1983 zur Zeit noch beschwerde-
frei ist, kann ihn jedenfalls die Krankheit alleine gegebenenfalls nicht davon abhalten, erneut ein-
schlägig straffällig zu werden. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die Ursachen für die ständigen Verletzungen der Rechtsordnung, die in der Persönlichkeit des Verurteilten wurzeln, weggefallen sind oder sich wesentlich abgeschwächt haben. Dies gilt um so mehr, als er seine vor dem erken-
nenden Gericht vertretene Auffassung, die Altersgrenzen des § 175 StBG nicht zu akzeptieren, weil sie auf überholten Moralvorstellungen beruhten, in der mündlichen Anhörung ausdrücklich auf-
rechterhalten hat. Wenn auch das Gericht bei jeder Strafaussetzung ein gewisses Risiko eingeht, so ist dies bei einer äußerst zweifelhaften Sozialprognose wie im vorliegenden Fall der Allgemeinheit gegenüber nicht allein schon deswegen zu vertreten, weil der Verurteilte möglicherweise nur noch kurze Zeit leben kann …’
Eine Krähe hackt bekanntlich der anderen kein Auge aus. Ich muss nun nicht nur dafür büßen, dass ich mein Recht als demokratischer Bürger wahrnehme und mich an einem Denkprozess be-
teilige, der in der BRD quer durch alle Parteien geht, der bereits mehrfach in Wahlversprechen zum Ausdruck kam und in Parteiprogramme aufgenommen wurde, der von Sexualwissenschaft-
lern, Kriminologen, Psychologen und Soziologen unterstützt und vom Bundeskriminalamt emp-
fohlen wurde, nämlich eine Änderung des Sexualstrafrechts, insbesondere die Abschaffung des § 175, ich werde natürlich auch dafür bestraft, weil ich es gewagt habe, mich gegen die Fehldiagnosen und Fahrlässigkeiten der bayerischen Gefängnisärzte und ihrer Zementierung durch Staatsanwälte und Richter zu wehren, anstatt stillschweigend zu verrecken, wie es die Justiz anscheinend wünscht.
Ich habe die Geschichte meiner Krankheit von Anfang an nicht als eine persönliche Angelegenheit angesehen, sondern als gesellschaftspolitisches Problem, als trauriges Ergebnis einer gescheiterten Strafvollzugsreform, die die in sie gesetzten Erwartungen enttäuschte. Auf der Strecke blieb der Mensch, der Bürger hinter Gittern. Er hat nach wie vor keine entscheidenden Rechte, das Sagen hat noch immer die Justiz, eine Justiz, der Begriffe wie Menschlichkeit, Anstand oder demokrati-
sche Grundrechte weitgehend Fremdwörter blieben. Mein Fall ist im Grunde kein Fall, kein Skan-
dal, keine Ausnahme, sondern lediglich die Spitze eines Eisberges, der sichtbar wurde. Ich kenne viele andere, ähnliche Fälle, die ich in Briefen an die Justiz oder in Artikeln zu Sprache brachte. Meine Krankheit, ja mein möglicher baldiger Tod wären sinnlos, wenn nicht wenigstens etwas ge-
schehen würde. Nicht allein, dass einige Verantwortliche, oder besser gesagt Verantwortungslose zur Rechenschaft gezogen und damit andere vor Schaden bewahrt würden, vor allem aber, dass sich jetzt erneut Politiker und Parteien noch einmal mit dem Strafvollzug befassen und zum Bei-
spiel endlich das Recht des Gefangenen auf Wahl eines Arztes seines Vertrauens im Gesetz ver-
ankert wird, so wie die Wahl eines Anwalts seines Vertrauens.
Mir hätte das zumindest zehn oder zwanzig Jahre Leben eingebracht.“
Wut und Empörung bleibt übrig und Hilflosigkeit: Das bayerische Justizministerium hat am 23. Februar 1984 das Gnadengesuch abgelehnt. Das Gericht hatte im „Namen des Volkes“ ein Urteil über Peter Schult gesprochen, warum hat es nicht auch im „Namen des Volkes“ Gnade geübt?
Mitteilungen der Humanistischen Union vom März 1984, 4.