Materialien 1984
Heiland oder Erlöser
Affäre
Der Münchner Kommunalwahlkampf wird von einer Grundstücksaffäre beherrscht: Hat CSU-OB Erich Kiesl einem befreundeten Bauunternehmer einen Preisnachlaß von zwanzig Millionen Mark gewährt?
Als im letzten Sommer im Münchner Hackerkeller zum erstenmal in der bayrischen Biergeschichte ein Weißbier vom Faß angezapft wurde, gab die Hacker-Pschorr-Brauerei ein großes Fest. Die Blaskapelle Thomas Wendlinger spielte auf, und der Münchner Kabarettist Klaus Havenstein trat zu einer launigen Einstandsrede ans Mikrophon.
Doch der Komiker kam nicht weit. Solange er sich mit den Vorzügen des obergärigen Weizengebräus beschäftigte, bekam er dröhnenden Beifall. Kaum aber hatte er ein „Unternehmen Schörghuber“ angesprochen, das „neun Firmen fest in einer Hand“ vereinige, löste sich aus dem Premierenpublikum eine massige Gestalt von 1,95 Meter und über zwei Zentnern Gewicht und stürmte zur Bühne: „Reden S’ doch net so vui von mia … Komm, Wendlinger, jetzt spuiln ma auf, dös is besser.“
Das Schwergewicht, das Klaus Havenstein vom Podium scheuchte, war Josef Schörghuber selber. Im Bierdunst des Bräukellers demonstrierte er seinen Gästen, unter ihnen Oberbürgermeister Erich Kiesl, wie er es handfest zu verhindern versteht, daß seine vielfältigen Geschäfte öffentlich derbleckt werden.
Schörghuber, 63, ist immerhin Mehrheitseigner und Aufsichtsratsvorsitzender der Hacker-Pschorr-Brauerei. Und nicht nur das. Ihm gehört zum Beispiel auch die größte Brauerei der Stadt, Paulaner, mit dem berühmten Nockherberg und ungezählten Liegenschaften in und um München. Dazu kommen eine Hotelkette („Arabella“), ein Riesensägewerk im Bayerischen Wald, Fertighausbetriebe, mehrere große Bauunternehmen, Bauträgergesellschaften, Baufinanzierungsinstitute und, als Zentrale der Schörghuber-Gruppe, die Kommanditgesellschaft „Bayerische Hausbau GmbH & Co.“.
Das Bau- und Brauimperium mit 13.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von mehr als zwei Milliarden Mark, das sich der Schreinersohn aus Mühldorf am Inn aus dem Boden gestampft hat, ist nun, nicht unversehens, in den Verdacht geraten, von der Münchner Stadtverwaltung unter Oberbürgermeister Erich Kiesl (CSU) über die Maßen bevorzugt worden zu sein.
Der fragwürdige Vorgang ist inzwischen zentrales Thema des Kommunalwahlkampfes: Vor drei Jahren konnte Schörghuber eine der letzten attraktiven Baulandreserven der Stadt an sich bringen – über 60.000 Quadratmeter direkt neben dem geplanten Freizeitgelände „Denninger Anger“ und dem feinen Stadtviertel Bogenhausen.
Das Vorzugsareal war gar nicht erst öffentlich ausgeschrieben worden, so daß konkurrierende Kaufbewerber von vornherein keinerlei Chancen hatten. Kiesl und seine CSU, die „sonst immer die Fahne der sozialen Marktwirtschaft hochhalten“, so die Rathaus-SPD, haben im Fall Schörghuber „den Markt zugunsten eines Bauträgers ausgeschaltet“.
Daß das Edel-Gelände trotz jahrzehntelanger Wohnungsbauplanung in diesem Revier nicht als Bauland, sondern als schlichtes Bauerwartungsland behandelt und zu einem Spottpreis von 230 Mark pro Quadratmeter an Schörghuber abgegeben wurde, machte den Handel erst zu einem „Skandal in einer Größenordnung, wo einem schwindelig werden kann“ – so der SPD-Ex-Oberbürgermeister und neuerliche Kiesl-Konkurrent Georg Kronawitter. Wahlwirksam rechnete Kiesls Rivale hoch: „Ein Baulandgeschenk von 20 Millionen Mark.“
Als Kiesl die scharfe Wahlkampfmunition durch ein Gericht entschärfen lassen wollte, konnte sein Widersacher durch Gutachten belegen, daß Schörghuber tatsächlich nur den halben Preis bezahlt hat. Der Billigverkauf dürfe allerdings von Kronawitter nicht, so das Gericht, als ein Ergebnis „vorsätzlichen pflichtwidrigen Verhaltens“ bewertet werden.
In der Tat, aus seiner Sicht hatte der OB für seine überaus großzügige Grundstücksvergabe plausible Gründe. Kiesl, erstes CSU-Stadtoberhaupt in München, hatte seinen Wählern ein üppiges Wohnraumbeschaffungsprogramm und seinen Unternehmer-Freunden ein forsches Ankurbeln der Bauwirtschaft versprochen. Warum sollte Kiesl da nicht auch und ganz speziell seinen Freund Schörghuber bedenken?
Schon ein halbes Jahr vor dem Deal am Denninger Anger hatte Kiesl seinen Favoriten für den neuen Schwung im Wohnungsbau unverhohlen preisgegeben – und dies auch noch in einer Schörghuber-Schenke: „Salvator heißt Retter, Heiland oder Erlöser“, sprach der ehemalige Jesuitenzögling Kiesl beim Salvator-Starkbieranstich auf dem Nockherberg, und er fügte unter Hinweis auf die Münchner Wohnungsprobleme leutselig hinzu: „Für mich wäre Schörghuber der beste Erlöser.“
Erlöse erzielte bislang – soweit zu erkennen – nur der Erlöser selber. Über ein Zehntel seines Billig-Baugrunds hat er inzwischen an eine schweizerische Lebensversicherungsgesellschaft zum vierfachen Preis verkauft. Auf dem Rest des Geländes entstehen derzeit Eigentumswohnungen und Reihenhäuser.
Inzwischen ist der unheimliche Aufsteiger in Münchens Bau- und Braugewerbe auch zu einem beliebten Objekt der Satiriker geworden. In den Münchner Kammerspielen, wo derzeit die Isar-Schickeria von Kabarettisten aufs Korn genommen wird, figuriert neben dem Wirtschaftsboß „Harry Wegnehmer“ (dargestellt von Dieter Hildebrandt) auch ein Baulöwe namens „Adi Schergmeier“ (Gerhard Polt) – das Ganze unter dem Titel „München leuchtet“.
Oberbürgermeister Kiesl blieb der Premiere lieber fern. Und anders als beim Weißbierfest in seinem Hackerkeller hat Schörghuber in den Kammerspielen bisher noch nicht eingegriffen.
Der Spiegel 8 vom 20. Februar 1984, 106 f.