Materialien 1984

München leuchtet

Wir sprachen mit Dieter Hildebrandt und Gerhard Polt. Das Gespräch führte am 13. November 1984 unser Redaktionsmitglied Renate Burmeister.

WIR: „München leuchtet“ ist einerseits der Titel des seit vielen Monaten in den Kammerspielen gezeigten ironischen Stückes über München und die für diese Stadt so typische „Schickeria“. Andererseits vergibt die Stadt München eine Ehrenplakette mit diesem Titel. Wie ist die Idee zu dem Stück und zu dem Titel entstanden?

Hildebrandt: Wir sind dazu gekommen aus dem Gedanken heraus, dass in einer Großstadt wie München die Theater zwar mit aktuellen Stücken belegt sind, und die Leute das auch gerne sehen, und dass es viele Kabaretts gibt, wo die Menschen hinkommen, um über Aktuelles etwas zu hören, um sich unterhalten zu lassen und vielleicht noch mehr. Dass aber in den Theatern, wo die Abonnenten hineingehen, nie etwas zur Stadt kommt. Was naturgemäß so ist. Wir haben dann die Hoffnung gehabt, dass vielleicht irgendjemand in München (ein Intendant) das für reizvoll empfindet, sagen wir, so eine Art Stadttheater zu spielen. Ein Stück in ihrem Theater über ihre Stadt. Mit allem, was wir gegen die Zustände in dieser Stadt einzuwenden haben. So ist das Stück entstanden. Die Idee zu dem Stück.

WIR: Und das Stück selber?

Hildebrandt: Das Stück selber ist so entstanden, dass der Christian Müller, der Gerhard Polt, der Hansi Well von der Biermöslblosn und ich uns eine Woche lang hin- gesetzt haben und ein Expose gemacht haben. Anschließend haben wir es dann auf den Proben zu Text gebracht, d. h. wir haben es zusammen improvisiert und dann niedergeschrieben. Das ist die Genesis von diesem Stück. Und der Titel ist entstanden aus der Überlegung, dass ja ein ironischer Lobgesang auf München schon einmal von Thomas Mann geschrieben wurde, der dann mit der Plakette „München leuchtet“ aus einem Missverständnis heraus beantwortet wurde. D. h., der Satz von Thomas Mann wurde schon von der Stadt missverstanden, als man auf den Titel „München leuchtet“ für die Plakette kam. Und dieses Missverhältnis hat uns allein schon amüsiert. Dabei sind wir draufgekommen, dass wir das Stück „München leuchtet“ nennen könnten. Auch, weil wir ja gesehen haben, wer diese Plakette bekommt. Nicht alle sind natürlich keine würdigen Preisträger, aber es wurde schon ein bisschen ausgeschüttet. Es war eigentlich keine Ordensverleihung, sondern eine Ordensausschüttung. Wie es ja in Bayern sehr oft der Fall ist.

WIR: Herr Polt, Ihr Kommentar dazu?

Polt: Wir haben erfahren, dass dieser Orden automatisch vergeben wird. Jeder Stadtrat z. B., der zwei Legislaturperioden im Amt ist, der kriegt ihn von Amts wegen, es ist ein Automatismus. Dieser Orden ist sozusagen ein chronischer Verdienst.

WIR: Ist Schörghuber auch ein potentieller Träger der Medaille?

Hildebrandt: Selbstverständlich. Der Schörghuber hat ja so viel hingebaut. Aus seinen Bauwerken heraus leuchtet ja München auch.

WIR: Warum beschäftigen Sie sich in dem Stück so intensiv mit den Wohnungsspekulanten und der „Schickeria“. Warum nicht auch mit den sogenannten „kleinen Leuten“ und den „Mächtigen“ im Hintergrund?

Hildebrandt: Weil, es sind nicht die „ganz Großen“, und es sind nicht die „Kleinen“. Auf die Kleinen ist keine Veranlassung zu schießen. Die haben es eh schwer. Die Großen erwischt man ohnehin nicht. Und die Verursacher des kleineren Übels, also die Träger dieser sogenannten Gesellschaft, sind nun einmal die Leute, die, sagen wir mal, einen Gemischtwarenkonzern, drei Brauereien, dazu fünf Baufirmen haben. Und das ist halt die Gilde, die man kennt, und die Verheerungen, die sie anrichten, sehen wir. Aber gleichzeitig sind wir auch informiert über die seelischen Verheerungen, die sie bei Menschen anrichten. Sagen wir Sanierungsprogramm und dergleichen, Spekulation und Betonierwut. Das war uns bekannt.

P.: Und in München ist das die Gesellschaft, die sich besonders gern selbst feiert, die mehr nach außen drängt, sich selber produziert, die extrovertiert ist. Die ist ungenierter als beispielsweise die hamburgische Gesellschaft.

H.: Mit anderen Worten, wir sind nicht auf diese Gesellschaft zugekommen, sondern sie ist auf uns zugekommen. Und zwar gewaltig.

WIR: Das Stück wird ständig aktualisiert. Was haben Sie bisher nicht aufgegriffen?

P.: Wenn wir was ausgelassen haben in unserem Stück, dann ist es die wirklich zum Teil aus unserer Sicht unredliche Rolle, die die Banken spielen. Die Banken kommen leider relativ gut weg. Wie jetzt beim Waldsterben alles aufs Auto geht und die Schlote, aber die Flugzeuge viel zu wenig berücksichtigt werden. Das Bankwesen in München haben wir, muss ich sagen, viel zu wenig berücksichtigt.

H.: Dazu ist zu sagen, dass das natürlich noch nicht aus der Welt ist, wir haben ja nicht vor, aufzuhören damit. Irgendwann werden wir uns wieder melden. Die Banken sind wieder ein ganz eigenes Thema. Wenn man überlegt, dass fast jeder ausgeschiedene – vom Strauß-Kreis ausgeschiedene – oder sagen wir mal „ausgespiebene“ – CSU-Politiker den Stuhl eines Bankpräsidenten oder etwas darunter bekommt, dann beginnen wir damit schon das nächste Mal. Vermutlich genauso, vielleicht in dieser Richtung und dieser Landschaft.

WIR: Haben Sie Reaktionen aus den Kreisen, die Sie darstellen?

H.: Nein, die Reaktionen sind am Abend abzuholen. D. h. in den ersten Monaten, wo es sich gehörte, drin gewesen zu sein, müssen natürlich auch die drin gewesen sein, die es sich leisten könnten, eventuell einen Überpreis bei einem ausverkauften Haus zu zahlen. D. h. genau das, was wir ihnen vorwerfen, haben sie dann auch folgerichtig und brav getan. Sie haben Korruption betrieben, um sich da hineinzusetzen. In dieses Theater, in dem ihnen Korruption vorgeworfen wird. Aber sie wollten es natürlich doch gern einmal selbst hören. Sie sind dann alle – die meisten, die sitzen meistens in den ersten Reihen – sehr, sagen wir mal, schlecht unterhalten rausgegangen. Sie sahen aus, als fühlten sie sich schlecht unterhalten. Und haben dann so abgewinkt, als wollten sie sagen: „Es ist ja gar nicht scharf genug!“ Natürlich wissen die mehr als wir. Wenn wir alles wüssten, was die wissen, hätten wir auch mehr gesagt, Gott sei Dank wissen wir nicht alles, sonst hätten wir wahrscheinlich nie gespielt.

WIR: Kabarettisten „demonstrieren“ auf der Bühne, Arbeitnehmer demonstrieren ihren Unmut u. a. auf der Straße. Neben den vielen Demonstrationen in diesem Jahr für eine wirksame Arbeitszeitverkürzung demonstrierten an diesem Samstag (10. November 1984) zwanzig- bis dreißigtausend Menschen in München gegen das Waldsterben, und zwar Menschen aus allen politischen Richtungen, Selbständige, Angestellte und Arbeiter. Was halten Sie von der Aktionsform der Demonstration?

H.: Ich bin ein bisschen verunsichert, weil an diesem Samstag auch der aktuelle Kommentar im Bayerischen Rundfunk von Bernhard Ücker stattfindet. Ich hätte zwar sowieso keine Zeit gehabt dort hinzugehen, aber ich bin jetzt sehr verunsichert gewesen, weil Bernhard Ücker hat sich natürlich, was man vermuten konnte (wenn Sie Bernhard Ücker kennen, wissen Sie das vorher), mokiert über die Demonstranten, die nichts anderes erreichen werden als wiederum den Bürger, den braven Bürger, der nichts damit zu tun hat, der mit dem Auto durch die Stadt fahren möchte und einkaufen möchte. Sie behindern ihn in seinen Bewegungen und erreichen nichts anderes als das. Wenn schon Demonstrationen, bitte sagte Bernhard Ücker, dann sollten diese 30.000 doch in die Wälder gehen und die Wälder säubern. Damit hätten sie wenigstens etwas erreicht. Und das hat mich natürlich schon zum Nachdenken gebracht, und ich hab mir gedacht, vielleicht hat der Bernhard Ücker sogar recht? Was meinen Sie? Könnte doch sein.

Ich würde einen Vorschlag machen: Erst demonstrieren, und dann Saubermachen gehen. Das wäre doch was. In großen Bussen in die Wälder fahren, um dort das, was die armen Leute früher gemacht haben, weil sie’s machen mussten, nämlich den Wald von dem Reisig gesäubert haben. Denn es hat sich schon herausgestellt, der Wald stirbt auch deswegen, weil das Unterholz nicht sauber ist. Früher haben das eben die armen Leute gemacht. Und heute gibt’s wahrscheinlich keine armen Leute mehr? Nein! – Aber das hör’ ich jetzt überall. Also sollten vielleicht die Demonstranten nachher Saubermachen gehen. Da hat der Bernhard Ücker vermutlich recht. Also zunächst – ich habe gestutzt bei dem Vorschlag. Nun ist Bernhard Ücker auch nicht einer, der in den Wald geht, um den Wald sauberzumachen. Aber offensichtlich sind Demonstrationen jetzt nicht mehr so gefragt. Die anderen haben sich schon durchgesetzt, man macht sich schon ein wenig lustig darüber.

WIR: Am 24. November 1984 gibt es im Münchner Gewerkschaftshaus so etwas wie einen Tag der offenen Tür. Neben einer Menge aktueller gewerkschaftlicher Informationen gibt es viele Beispiele für gewerkschaftliche Kulturarbeit. Sie haben das Programm kurz gesehen. Was halten Sie davon?

H.: Ich finde das hervorragend.

P.: Da kann man nichts dagegen sagen, weil jeder, der selber was macht, ist gut.


wir. Informationen für Münchner Gewerkschafter. DGB Kreis München 1/1985, 4 f.

Überraschung

Jahr: 1984
Bereich: CSU

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