Materialien 1984

„Billiglohnland“ K + L Ruppert

Im ehemaligen Bilka-Kaufhaus in der Fußgängerzone eröffnete vor kurzem das Bekleidungshaus K + L Ruppert. Die dort angebotene Ware zu relativ günstigen Preisen kommt nicht, wie die Preise vermuten lassen, aus Billiglohnländern, sondern aus Ruppert-eigenen Fabriken. Und so lässt „das erfolgreiche, preisaggressive Konzept“ der Brüder Ruppert, gepaart mit dem „Grundsatz“: „… keine aufwendigen Ausstattungen, keine teuren Dekorationen, dafür straffe Organisation und ein Minimum an Verwaltung“1 vermuten, dass Ruppert ein eigenes „Billiglohnland“ errichtete.

Wenn auch die Ruppert-Werbung ein anderes Bild zeichnet: „Denn Ruppert ist ein Unternehmen, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Hier herrscht Teamgeist. Hier zählen Engagement und Einsatzfreude. Hier sind die Arbeitsplätze sicher. Hier kümmern sich die Brüder Ruppert noch persönlich um das Geschäft. Kurz: Bei Ruppert macht die Arbeit Spaß. Weil die Sozialleistungen außergewöhnlich, die Gehälter hervorragend und die Atmosphäre freundlich ist.“

Mit solchen Sprüchen suchten die Brüder „nette Mitarbeiter“ für „neue Arbeitsplätze“. Wie die Bedingungen für die netten Mitarbeiter wirklich aussehen (zumindest die arbeitsvertraglichen), wollen „WIR“ an hand einer Kapovaz-Stelle verdeutlichen (Kapovaz = kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit).

„Mitarbeiter“ wurden da gesucht, „die bereits im Verkauf tätig waren und jetzt keine Ganztagsbeschäftigung mehr ausüben können. Die aber trotzdem gern stundenweise, halbtags oder tageweise arbeiten würden. Und die den Vorteil nutzen wollen, DM 390,- monatlich steuer- und sozialversicherungsfrei zu verdienen.“

Und in München gibt es massenhaft Frauen mit Kindern, die sich stunden-, halbtags- oder tageweise ein Zubrot verdienen möchten – möglichst zu einem Zeitpunkt, den sie aufgrund ihrer familiären Zwänge „frei“ wählen können. Sie waren auch massenweise zu den Vorstellungsgesprächen erschienen. Die meisten zogen unverrichteterdinge – zum Teil mit Tränen in den Augen – wieder ab. Denn die Arbeitsverträge der Brüder bestimmen unter Punkt 3 „Vereinbarung über variable Arbeitszeit: Der Mitarbeiter erklärt sich ausdrücklich damit einverstanden, dass die tägliche, wöchentliche bzw. monatliche Einsatzzeit je nach Geschäftsbetrieb erfolgt. Die Einteilung wird vom zuständigen Geschäftsleiter mittels Personalbesetzungsplan vorgenommen.“ Und unter Punkt 4 „Beschäftigungsverhältnis unter Versicherungspflichtgrenze: Als unangemeldeter Teilzeitmitarbeiter erklären Sie sich damit einverstanden, dass der Arbeitseinsatz jeweils auf Abruf bzw. nach Arbeitsanfall erfolgt. Auch durch längere Betriebszugehörigkeit besteht kein Anspruch auf regelmäßige Arbeitszeit.“

Weil „der Mensch bei Ruppert im Mittelpunkt steht“, gibt es im Vertrag den Punkt 5 „Arbeitsverhinderung“, dessen zweiter Absatz wie folgt lautet: „Auf Verlangen von K + L Ruppert ist der Mitarbeiter verpflichtet, sich einem Vertrauensarzt, der von der Firma benannt wird, vorzustellen. Der Mitarbeiter entbindet den Arzt von der ärztlichen Schweigepflicht, soweit es zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit notwendig ist. Die Kosten hierfür trägt das Unternehmen“(!).
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Arbeitseinsatz auf Abruf unzulässig

In einem Urteil des Arbeitsgerichtes Berlin (18 Ca 303/83) heißt es unter anderem:

„Die Verpflichtung eines Arbeitnehmers zur Rufbereitschaft und ggf. Vollzeitarbeit widerspricht dem Sinn von Teilzeitarbeit, da durch die Verpflichtung zur ständigen Erreichbarkeit, zur schnellen Arbeitsaufnahme und zur Vollzeitarbeit, falls erforderlich, eine individuelle Disposition der erweiterten Freizeit nicht mehr möglich ist …“
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Sie versichern, zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Anstellungsvertrages bzw. der Arbeitsaufnahme völlig gesund, insbesondere frei von chronischen Leiden oder körperlichen Belastungen zu sein, die sofort oder in absehbarer Zeit die Arbeitsfähigkeit mindern. Frau/Fräulein … versichert, dass nach ihrer Kenntnis weder eine Schwangerschaft noch die Vermutung einer Schwangerschaft besteht.“

Denn „Kunden und Mitarbeiter sollen sich wohlfühlen. Dafür sorgen die Brüder Ruppert, persönlich.“ Damit auch gar kein Misston entsteht, bestimmt Punkt 11 des Anstellungsvertrages: „Der Inhalt dieses Vertrages sowie sonstige Absprachen, die das Arbeitsverhältnis betreffen, sollen im Interesse des Betriebsfriedens vertraulich behandelt werden.“ So nehmen wir denn vertraulich zur Kenntnis, dass die „hervorragenden Gehälter“ bei Kapovaz-Verträgen einen Stundenlohn von 9,- (in Worten: neun) Deutsche Mark ausweisen.

Wie dem „Zusatz zum bestehenden Arbeitsvertrag“ zu entnehmen ist, besteht bei Ruppert ein Konzernbetriebsrat, der folgende Betriebsvereinbarung unterzeichnete (Auszug): „Das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer besonderen Kündigung bedarf, mit dem Ablauf des Monats, in dem der Mitarbeiter bei Frauen das 60. Lebensjahr, bei Männern das 65. Lebensjahr vollendet.“

„Dafür sorgen die Brüder Ruppert, persönlich.“

J

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1 Kursiv Gedrucktes ist wörtliche Wiedergabe aus dem Anstellungsvertrag für Teilzeit-Mitarbeiter K + L Ruppert bzw. Zusatz und der Stellenanzeige vom 2. Mai 1984.


wir. Information für Münchner Gewerkschafter, hg. vom DGB-Kreis München 4/1984, 3.