Materialien 1984

Privatfunk in Bayern - ein Trick macht's möglich

Antenne Bayern, Radio Gong, TV München und Donau TV, dies sind nur einige der privaten Ra-
dio- und Fernsehsender in Bayern. Bayern hat im Bundesvergleich die höchste Privatsenderdich-
te. Eigentlich erstaunlich, denn die bayerische Verfassung enthält ein Verbot privater Rundfunk-
anstalten. Ebenso bemerkenswert wie der Kunstgriff, trotz dieser Vorgabe das Bundesland Bay-
ern zu einem Pionier des Privatfunks zu machen, mag aus heutiger Sicht der heftige Widerstand von Teilen der Bevölkerung scheinen. Haidhauser waren solch widerspenstige Gegner, deren Ak-
tivitäten sich besonders gegen die Verkabelung und den Anschluss ans Kabel richteten.

Wir schreiben den Beginn der achtziger Jahre. Franz-Josef Strauß (CSU), Ministerpräsident des Freistaats Bayern, hält vor Zeitungsverlegern am 8. Mai 1981 eine programmatische Rede, in der er unter anderem ausführt:

„… in der Zeit, in der die Welt immer kleiner wird, kann man nicht über die Länder medienpoliti-
sche Käseglocken stülpen und ihre Bürger in eine Art informationspolitische Quarantäne verset-
zen.“ Strauß’ erklärtes Ziel: eine „sinnvolle Nutzung der neuen Medien“.

Gemeint ist damit das Kabel, über das eine Vielzahl von Programmen oder Diensten den Konsu-
menten ins Haus geliefert werden soll. Doch den Chef der CSU treiben wohl ganz andere Beweg-
gründe um. Denn aus den siebziger Jahren datiert ein vertrauliches Medienpapier der CSU mit alarmierenden Erkenntnissen. „Die CSU muss klar erkennen, dass sie ihre Politik nur verwirkli-
chen kann, wenn ihr die Massenmedien freundlicher als bisher gegenüberstehen.“ „Der bayerische Rundfunk umfasst zur Zeit über 2.000 Mitarbeiter. Davon gehören 23 Personen der CSU an … Es ist zwar sehr wichtig, dass die CSU in den Spitzenpositionen des BR gut vertreten ist; das Pro-
gramm wird jedoch nach wie vor vom Mittelbau der Redakteure gestaltet … Die CSU verfügt über keinerlei Reservoir junger Leute, die sie für verschiedene journalistische Stellungen anbieten könnte. Folge: Die Linke ist immer stärker auf dem Vormarsch …“

Bereits zu diesem Zeitpunkt befürwortet die CSU in dem Positionspapier die Einrichtung von Privatfunk. Zugleich bekräftigt sie den Anspruch auf die Entscheidung, welche Interessengruppe Zugang zu den neuen Medien bekommen darf.

Im Juli 1973 erzwingt ein erfolgreicher Volksentscheid die Aufnahme des Artikels 111 in die bayerische Verfassung. Dieser Artikel schreibt fest, dass Rundfunk und Fernsehen, egal ob über Antenne oder Kabel, ausschließlich in öffentlicher Verantwortung und öffentlich-rechtlicher Trägerschaft betrieben werden dürfen.

Mit Beginn der achtziger Jahre überzieht die – seinerzeit noch staatliche – Bundespost die Repu-
blik mit einem Kabelnetz. Dieses Kabelnetz – an die heute ebenfalls übliche Übertragung von Programmen via Satellit ist noch nicht zu denken – soll als neuer technischer Übertragungsweg, zugleich aber eben auch für neue Programmangebote dienen.

Das ist der Zeitpunkt, zu dem die bayerische Staatsregierung zu einem Trick greift, mit dem sie, siehe oben, dem Wunsch des Franz-Josef Strauß nachkommt, zugleich den hinderlichen Verfas-
sungsartikel umgeht: 1984 beschließt der Landtag mit der CSU-Mehrheit das Bayerische Medien-
erprobungs- und -entwicklungsgesetz (MEG), das fortan als Rechtsgrundlage privatrechtlich und privatwirtschaftlich organisierter Sendeanstalten unter öffentlich-rechtlicher Trägerschaft dient. Diese Trägerschaft übernimmt die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) als „rechts-fähige Anstalt des öffentlichen Rechts“.

Neben anderen bayerischen Städten und Münchner Stadtteilen erhält auch Haidhausen den Status „Kabelpilotprojekt“. Viele Haidhauserinnen und Haidhauser wehren sich gegen die Verkabelung, vor allem gegen die rüden Methoden, wie versucht wird, Hausbesitzer und Mietparteien zum Ka-
belanschluss zu zwingen. Die „Haidhauser Nachrichten“ geben im Juli 1984 eine Sondernummer heraus, aktive Haidhauser führen eine Demonstration durch und der Film „Die Kabelbeißer“ wird gedreht.

Der Protest gegen das Kabel ist keine moderne Variante von Maschinenstürmerei oder Technik-
feindlichkeit. Vielmehr richtet er sich gegen die Folgen der Medienprivatisierung: Verteuerung von Programmangeboten (Pay TV) und kommerzielle Durchdringung von Information und Unterhal-
tung.

Verfassungskonform?

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof weist Klagen von SPD und Gewerkschaften gegen die Pra-
xis von Staatsregierung und Landtagsmehrheit zurück. Die BLM zum Sendebetrieb der Privaten: „Dieser Zustand ist verfassungskonform.“ Ob er der Intention des früheren Volksentscheids und dem darauf fußenden Verfassungsartikel Genüge leistet?

Die Kämpfe der Kabelbeißer und Co. muten aus heutiger Sicht anachronistisch an. Dass sich heute kaum noch jemand am bayrischen Umgang mit Volksentscheid und Verfassung stößt, ist kein Ar-
gument gegen die Stichhaltigkeit der Gründe der Ablehnungsaktivisten von damals.


Haidhauser Nachrichten 12 vom Dezember 2001, 11.

Überraschung

Jahr: 1984
Bereich: Medien

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