Materialien 1984

Spion gegen Spion

Versuch einer verfassungsgemäßen Anwerbung

Am Montag vor Weihnachten klingelt bei „Sonja“ das Telefon. Ein Weihnachtsanruf? – weit gefehlt! Ein Herr Erich Fürde meldet sich und möchte mit Sonja ein Gespräch unter vier Augen vereinbaren. Um was es geht, will er (noch) nicht sagen.

Sonja roch Lunte und vermutete, dass der Herr von der anderen Seite ist, und vertröstete ihn auf den nächsten Tag. Umgehend, aber sehr vorsichtig nahm Sonja Kontakt mit zwei Leuten aus der ‚Münchner Szene’ auf, um das Vorgefallene zu besprechen. Es lief (wie während des ganzen weiteren Verlaufs der ‚Aktion’) nichts über Telefon, man besuchte sich öfters mal wieder!

Es war nicht der erste (mögliche) Anwerbeversuch einer Kontaktperson in diesem Jahre 1983 in München. Wir waren jedenfalls sensibilisiert. Wir diskutierten dann auch sehr lange darüber, ob es überhaupt sinnvoll sei mit einem eventuellen VS-Mann Kontakt aufzunehmen. Eine Reihe von Gründen spricht jedenfalls dagegen. Der ganze nicht nur nervliche Stress, die Undurchsichtigkeit und Vielschichtigkeit eines Geheimdienstapparats mit seinen psychologischen und personellen Möglichkeiten, kurz ausgedrückt: die Gefahr, dass der VS-Mann mit allerlei Tricks etwas „Verwertbares“ erfährt oder umgekehrt durch geschickte Formulierungen eine weitere Verunsicherung der Szene bezweckt und damit die vermeintliche Allwissenheit des Apparats unterstreicht.

Andererseits erschien es uns auch gerade in München wichtig, dem VS ein nettes nachträgliches Präsent zum 84er zu machen und soweit dies möglich wäre, einiges zu erfahren, was für uns von Interesse ist. Die Entscheidung den Kontakt zu wagen, traf schließlich Sonja. Wir vereinbarten über Alles sofort zu sprechen und sowenig wie nötig andere Leute einzuweihen. Gesagt getan.

Am darauf folgenden Morgen meldete sich der Herr Fürde wieder, drängte auf ein Treffen und bekannte, dass er vom Staatsministerium des Inneren kommt. Sonja vertröstete ihn unter einem Vorwand auf den nächsten Tag.

Mittwochmorgen ist es dann soweit. Telefonisch vereinbart der Mann vom VS mit Sonja das erste Treffen in unmittelbarer Nähe des Wohnortes. Genauer Treffpunkt ist ein Taxistand auf einem übersichtlichem Platz. Er kam etwas später, nachdem er abgecheckt hatte, dass Sonja alleine kam. Unser ungleiches Paar fuhr mit dem Taxi an den Marienplatz, wo man in den „Ratskeller“ ging. Nachdem im Taxi ein allgemeines Gespräch über das Wetter oder so geführt wurde, kam er im Lokal zur Sache. Auf Befragen hin bekannte der Herr, dass er vom VS ist und legte seinen Ausweis vor. Dienstname: Erich Fürde.

Nun erzählte er erst mal, wie er gerade auf Sonja kam. Beim Aktenstudium fiel ihm Sonjas Abenteuerlust ins Auge und die Tatsache, dass sich Sonja in einigen Situationen immer etwas atypisch verhalten hatte. So wusste er, dass Sonja in letzter Zeit nicht mehr all zu oft im ZOFF (ehemaliger Treffpunkt in München) und auch etwas isoliert schien. Für das atypische Verhalten hatte er ein reichlich plattes Beispiel: Bei einem U-Bahnfest (87 Festnahmen) hatte Sonja eine gültige Fahrkarte. Wohl ein Indiz für die Herren, dass sich Sonja noch nicht ganz auf der schiefen Bahn befindet. Nach Sonjas Eindruck war dies eher ein herbeigeholtes Beispiel um nähere Informationen aus seinem Bereich nicht preiszugeben.

Der erste Teil des Gesprächs ging über allgemeine politische Themen, wobei er den kritisch liberalen Demokraten spielte, der mit vielem nicht einverstanden ist, z.B. Umweltschutz, Raketen, Schule, CSU!, aber eigentlich sehr banale Argumente brachte. Sonja hatte den Eindruck, dass er sich krampfhaft immer neue Argumente überlegen musste. Er laberte dann lang und breit über die Aufgaben des VS und das angeblich so verfälschte Bild desselben in der Öffentlichkeit. Dafür sei vor allem der SPIEGEL verantwortlich und die durch den Konsum von James-Bond-Filmen angeregte Phantasie der Bevölkerung.

In Wirklichkeit sei der VS dazu da, das politische Leben zu beobachten, Fehler der Regierung zu erkennen und so auf diese wieder positiv einzuwirken. Weiter will er verhindern, dass es zu „politisch motivierten Straftaten“ kommt.

Dies könne einmal durch Argumente und mäßigende Einwirkung geschehen, aber auch durch starke Polizeipräsenz bei Demos und bei vermuteten Anschlägen durch ständige Observation der verdächtigen Personen. In diesem Zusammenhang nannte er den Namen eines in der Szene bekannten Typen, nennen wir ihn mal Josef. Schließlich wolle er verhindern, dass „junge Leute wegen einer Dummheit sich ihre Zukunft verbauen“ oder in den Knast wandern. Beispiele dafür seien Rolf Heissler und Bernd Rösner, die durch Druck ihrer Genossen so geendet hätten.

Von der RAF meinte er, sie sei zerschlagen, eine neue Gefahr seien die „Roten Zellen“ (er revidierte sich später: „Revolutionäre Zellen“). Eine Gefahr sei es auch, wenn häufig Anschläge passieren, so wie auch in letzter Zeit in Bayern.

Sonja sprach dann Freizeit ’81 und ihre Bedenken wegen des Kronzeugen „Knallhart“ an. Davon, gab er vor, wisse er nichts, seine Zusammenarbeit mit der Polizei sei begrenzt. Auch mit den Verhaftungen in Rüsselsheim Mitte Dezember hätte der VS nichts zu tun. Auf die Aufgaben, die Sonja als geheime „Informantin“ (Amtssprache) hätte, kam der Herr nur zögernd zu sprechen. Erst meinte er, Sonja sollte mäßigend auf die Szene einwirken, versuchen durch Argumentation Straftaten zu verhindern, dann sei es wichtig Stimmungen in der Szene mitzukriegen. Legale Demos, die auch für ihn o.k. seien, sollten zu verkehrsgünstigen Zeiten abgehalten werden! Weiter wäre es für den VS von Interesse, wann militante Demos geplant wären und Anschläge bevorstünden. Bei den letzten zwei Aktionen „nur“ um vorbeugend zu wirken. Bei den Anschlägen müsste Sonja dann auch Namen nennen.

Dafür sollte sie dann auch bezahlt werden. Er bot ihr 5.000. DM fürs erste Jahr Zusammenarbeit plus Spesen an.

Sonja gab sich beim Gespräch als flippige abenteuerlustige Frau, die von der Politik weg auf den spirituellen Trip gekommen sei. (Und so musste sich der Herr vom VS langatmige Monologe über Astrologie, Tarot und Urreligionen oft vollkommen ohne Zusammenhang mit dem Gesprächsverlauf anhören.) Sonja hatte erwartet einem psychologisch geschultem VS-Mann gegenüber zu treten. Sie war auf alle möglichen Psychotricks gefasst. Er war aber sehr unsicher, spielte schlecht, versprach sich häufig und trat auch nicht dominierend auf. Nun, das hätte auch Theater sein können, aber im zweiten Gespräch war wieder die gleiche Unsicherheit da.

Dieses Treffen fand eine Woche später statt, so dass genügend Zeit vorhanden war, das erste Treffen zu analysieren und sich auf das zweite vorzubereiten. Diesmal war er früher da und rochierte während der ganzen Zeit, die er auf Sonja warten musste, auf dem Platz und dem danebenliegendem S-Bahnhof. Wir stellten fest, dass unser Objekt keinerlei Verdacht geschöpft hatte, auch nicht von den ihn begleiteten „Umständen“.

Der Treffpunkt war wieder der gleiche, was uns eigentlich gewundert hatte. Umso besser, wir waren auch auf andere Treffs eingerichtet.

Man fuhr wieder mit dem Taxi in die Innenstadt, setzte sich auf die andere Seite des Marienplatzes in das Hochcafé und begann den Plausch von neuem. Er bestand darauf am Fenster zu sitzen. Da hatte er auf jeden Fall den Überblick!

Unser Herr vom VS war schon weit in der Weltgeschichte herumgekommen, auch in Köln und Hamburg hatte er schon gearbeitet, da gefiel es ihm aber nicht – schade, wenn er wieder zurück müsse.

Sonja gab sich weiter unentschlossen. Sie gab sich ungläubig bezüglich der Liberalität des VS. Er meinte darauf: „Also, was ich ihnen sage, das dürfen sie mir ruhig glauben. Das wäre ein schlechtes Aushängeschild für unsere Firma, wenn ich ihnen da Märchen erzählen würde.“ – Bla, Bla, Bla … Gestotter und irgendwas über Sicherheit und gesetzlichen Auftrag. Verwirrung.

In dieser Gesprächsphase stammelte er Unverständliches und Unzusammenhängendes über RZ und geplatzte (?) Sprengstoffanschläge, über Provos, die es im VS nicht gäbe (siehe Treiber, Jahn, in Krefeld, bzw. Bremerhaven). So gab er von sich, in Krefeld hätten keine Steine fliegen müssen. Sein Rezept: mäßigende Einwirkung und Prävention. Gut gebrüllt, Löwe.

Dann gings wieder ums Geld. Seine Verwirrung nahm ab. Da kannte er sich aus. Ein Sparbuch über 5.000 DM sollte für Sonja angelegt werden. Er wusste auch als guter Kleinbürger Bescheid über den besten Zinssatz. In einem Jahr sollte Sonja das Geld abheben können. Das wöchentliche Honorar sollte 150 DM plus Spesen betragen, das von ihm beim wöchentlichem Treff beglichen werden sollte. Die ganze Kohle steuerfrei!

Das Geld sollte deswegen aufs Sparbuch gelegt werden, damit Sonja es nicht so schnell ausgebe. Der VS-Mann hatte damit schon schlechte Erfahrungen gemacht. (sehr interessant!) Zudem war er um Sonjas Sicherheit besorgt. Herr Fürde glaubte zu wissen, dass Sonja die Denunziererei Spaß machen würde.

Nun ging es zu den Geschäftsbedingungen. Sonja wurde ein geheimes Papier vorgelegt, dass sie unterschreiben sollte. Der wesentliche Inhalt des Geheimpapiers war:

Die geheime Informantin darf keine Straftaten begehen (oho!)
Sie ist zur Wahrheit verpflichtet.
Sie darf nichts in der Szene weitersagen.
Sie hat seinen Anweisungen zu folgen. (Weisungsgebundenheit)
Auch gegenüber Polizei und Behörden darf sie nichts über ihre Tätigkeit preisgeben.
Sonja könne aufhören, wann sie wolle.

Sie vertröstete ihn dann auf Montag mit der Unterschrift. Der VS-Mann gab ihr dann eine Garantie, dass im Falle einer Massenverhaftung ihr Verfahren eingestellt werde.

Nun ging es um die konkrete Arbeitsweise von Sonja und vor allem Infos.

So wusste er, dass für’s ZOFF ersatzweise das Café Normal vorgesehen ist – davon wusste Sonja nichts. (Jedenfalls eine Insiderinformation!) Szenenwechsel: Sonja arbeitete mal ’ne Zeit bei der Schülerzeitung „Spion“. Der Kontakt schlief ein. Dieser könnte doch wieder hergestellt werden, meinte der Herr vom VS. Wie? Einfach mal wieder einen Artikel schreiben, um sich in der Szene wieder bekannt zu machen.

Wildwechsel … VS: „Die relevantesten Personen der Szene sind nach meiner Ansicht und die meines Hauses Maria und Josef. (Grammatik !!)

Sonja: „Und wieso ausgerechnet die?“

Antwort: „Wobei die Maria, für meine Begriffe, da so Managerin ist, der Josef ist nicht so clever.“

Sonja: „Da sind sie besser informiert als ich.“

Aber unser VS-Mann meinte, seine Einschätzung könne sich ja im Laufe der Zeit korrigieren.

Und damit eine Hausaufgabe übers Wochenende: Sonja sollte sich Gedanken machen, z.B. die einzelnen Personen einschätzen, wen sie für relevant hält und wen nicht. Konkret von welchen Personen Gewalttätigkeiten ausgehen. So was bloß mal durchchecken, danach will er dann mal schauen, ob seine Einschätzung stimmt oder ob sie Korrekturen vornehmen. Es ist so wahnsinnig schwierig, Leute richtig einzuschätzen. Bei einer falschen Einschätzung ist die ganze Arbeit umsonst.

Fürde, Erich
VS-Beamter des Staatsministeriums des Inneren,
geb. am 28. Januar 1942, ledig, Eltern tot.
Fahrzeug: Opel Ascona, Kennzeichen M-UL-3053, Farbe: beige, Bj. ca. 1980.

Wir haben uns sehr lange überlegt, ob wir überhaupt eine Einschätzung dieses Anwerbeversuchs bringen sollen. Unsere übereinstimmende Meinung war, das Vieles in den Gesprächen für sich selber spricht und wir dazu nicht noch unseren Senf abgeben müssen. In München war dies der dritte (uns bekannte) Anwerbeversuch einer Zielperson 1983. Die beiden anderen Leute waren ebenfalls augenscheinlich eher der Randszene zuzurechnen und hatten allerhand Schwierigkeiten. (Wer hat die nicht?) Sie haben beide strikt abgelehnt. Wir vermuten, dass der VS es leichter mit Anwerbeversuchen hat, wo ein persönlicher oder politischer Streit nicht ausgetragen wird. Da liegt auch einiges an uns.

Jede Kontaktaufnahme mit einem VS-Mann ist ein zweischneidiges Schwert. Unsere Bedingung war, dass wir keinesfalls unter Preisgabe von Namen Infos der anderen Seite bekommen wollten. Das ist auch gelungen. Andererseits ist uns auch klar, dass in einer kleinen paranoia-anfälligen Szene Infos der anderen Seite diese Paranoia gerade eben schüren können. Das wollen wir gerade nicht und ist auch unbegründet. Mehreres ist festzuhalten. Sie tun sich schwer anzuwerben und liegen mit ihrer psychologischen Einschätzung der Zielperson reichlich oft daneben, wie obiges Beispiel zeigt. Unser Schnüffler hat sich psychologisch äußerst schlecht verhalten, kannte sich politisch kaum aus, verwickelte sich in Widersprüche. Vielleicht haben wir auch nur eine besondere Niete erwischt, was wir natürlich gerne verallgemeinern würden. Von big-brother war da wenig zu spüren.

Trotz sehr begrenzten personellen und technischen Möglichkeiten hatten wir die ganze Aktion voll im Griff, was aber auch heißt, dass wir zwei Wochen zu nichts anderem gekommen sind.

Der Hauptaugenmerk des VS liegt auf den antiimperialistischen Gruppen und natürlich auf allem, was sich militant durch die BRD bewegt. Da soll sich jeder seine eigenen Gedanken machen.

Wir denken, dass die Häufigkeit der Anwerbeversuche auch damit zusammenhängt, dass sich die wenigen bisherigen Strukturen (auch räumlich) auflösen und es schwierig für den VS wird, an den Gruppen dranzubleiben und die Personen der Gruppen einzuschätzen.

1984 hat für den VS schlecht angefangen.

Marx-Sisters & Brothers


Blatt. Stadtzeitung für München 264 vom 20. Januar 1984, 16 ff.

Überraschung

Jahr: 1984
Bereich: Militanz

Referenzen