Flusslandschaft 1984

Militanz

Schlapphüte haben es nicht leicht, Informanten in der Szene zu bekommen, obwohl sie sich kri-
tisch geben und behaupten, sie wollten die Leute nur davor bewahren, Dummheiten zu machen.1

Am 29. Januar 1984 werden Demonstranten angezeigt, weil sie auf einer antifa-Demo Feuerwerks-
körper zünden. Ein Punk wird angezeigt, weil er eine Lederjacke mit der Aufschrift „Scheißbullen, fucking germany“ und „Scheißstaat“ trägt.2

Anarchisten, Autonome und Anti-Imps geraten immer mehr ins Visier der Behörden. Zeitungen werden verboten, es finden Hausdurchsuchungen statt, es kommt zu Anklagen nach § 129a: Im Herbst 1983 trafen sich einige Menschen in Frankfurt am Main, um über eine Aktion zur Unter-
stützung der zur Zeit hundertvierzig politischen Gefangenen in BRD-Gefängnissen zu beraten. Es entstand der Aufruf „grüsse an politische gefangene“.3 Bis April 1984 wird er in der ganzen Repu-
blik und auch in München diskutiert4, mehr als hundertundfünfzig Initiativen, Zeitungen und Ein-
zelpersonen unterstützen das Projekt. In München sind dies u.a. die Besuchergruppe München, die Bezugsgruppe „Rattenpack“, die Freie Arbeiter-Union (FAU), die Psychiatriezeitung Türspalt, das Netzwerk Psychiatrie e.V., die Schwulenbuchhandlung Sodom, der Elektroladen Sponton, die Bezugsgruppe der autonomen Antiimperialist/inn/en, die BWK Ortsgruppe, die Schülerzeitung Spion und die Antiimperialistische Initiative. Die Unterstützung der „Grußaktion“ wird schon bald zum Straftatbestand und in Durchsuchungsbeschlüssen genannt. Im Blatt 263 vom 6. Januar 1984 befindet sich der Aufruf für die „Grußaktion“ als Beilage. Im Blatt selbst heißt es: „Zur freundli-
chen Kenntnisnahme. Dieser Ausgabe des Blattes ist zum ersten Mal in der Geschichte unserer Zeitung eine Beilage angeheftet. Es handelt sich um einen Aufruf: Grüsse an politische Gefangene. Wir bitten um freundliche Kenntnisnahme des Inhalts.“ Am 19. Februar stürmen zehn Beamte des LKA München die Redaktion in der Georgenstraße 123 und durchsuchen sie. Gegen den presse-
rechtlich Verantwortlichen wird ein Verfahren nach § 129a eingeleitet.5

Einunddreißig angeblich randalierende Punks werden am 4. Februar festgenommen.

Am 7. Mai lautet das Urteil in Stuttgart-Stammheim gegen Peter-Jürgen Boock drei mal lebens-
länglich und 15 Jahre. Am 21. Mai hängt an einer Brücke über dem Mittleren Ring um 5.30 in der Frühe ein Transparent mit der Aufschrift „Rebmanns Rache an Peter Boock bedroht alle“.6

13. Juli: „Leben in und gegen die Mega-Maschine München“, Veranstaltung im Wirtshaus im Schlachthof, Zenettistraße 9.


Plakatsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

Am Sonntag, 29. Juli, findet eine Demonstration gegen Zensur, Haussuchungen, § 129a … statt, die am Sendlingertor-Platz um 17 Uhr beginnt. Siehe „Kinder“.

Mitglieder der Angehörigen-Gruppe der politischen Gefangenen in der BRD ketteten sich im Juni 1983 vor dem Münchner Justizministerium an und verteilten an Passanten eine Erklärung zur Si-
tuation der Gefangenen. Sie forderten, dass der seit acht Jahren in Einzelisolation sitzende Bernd Rössner nach Celle in eine Gruppe von RAF-Gefangenen verlegt wird. Mit Hilfe des Paragraphen 129a erhebt jetzt die Staatsanwaltschaft München auf Betreiben der Bundesanwaltschaft beim Oberlandesgericht München Anklage gegen fünf Angehörige wegen „Unterstützung der RAF“.

(zuletzt geändert am 25.12.2020)


1 Siehe „Spion gegen Spion“ von den Marx Sisters und Brothers.

2 Siehe „Justiz“.

3 Angehörigen-Info 14/1983, 31 ff.

4 Siehe „erfahrungen eines genossen aus dem münchner grußplenum“.

5 Siehe „Sicherlich nicht zum ersten …“ von Loach Grönländer.

6 freiraum. Zeitschrift der Anarchistischen Föderation Südbayern 3 vom Juni 1984, 3.