Materialien 1984

erfahrungen eines genossen aus dem münchner grussplenum

zur grussaktion

die „grußaktion an politische gefangene“ war für mich ein wendepunkt in meiner politischen geschichte.

früher war ich ziemlich aktiv in der friedensbewegung: auf einer moralisch-gewaltfreien und abstrakten ebene, d.h. auch, dass mein politischer anspruch und mein handeln eigentlich wenig konkreten bezug zu meinem übrigen, „privaten“ leben hatte.

auf grund eigener erfahrungen mit staat und bullen und auch durch diskussionen über z.b. krefeld, haig-demonstration, hausbesetzerszene und über die solidarität mit den befreiungsbewegungen der 3. welt (die frage, warum die kämpfen und wir sie auch verbal unterstützen, aber trotzdem hier, wo die nato-politik wesentlich mitbestimmt wird, uns eine veränderung innerhalb des systems vorstellen können bzw. uns auf die spielregeln des staates einlassen und passiv um „frieden“ bitten) – das hat auch sehr viel mit dem gefangensein in bürgerlichen zusammenhängen und konventionen zu tun, und der angst, dort rauszufallen – habe ich angefangen die friedensbewegung kritisch zu sehen und mich mit widerstand und revolutionärer gewalt äuseinanderzusetzen. zunächst habe ich mir alleine theoretisch die sachen über widerstand und bewaffneten kampf rangeholt: raf-texte, geschichte des bewaffneten kampfes in der brd, befreiungsbewegungen; und außerdem habe ich mich sehr intensiv mit den haftbedingungen beschäftigt: durch das alles habe ich mich natürlich politisiert, kamen neue vorstellungen und einschätzungen.

was ich nicht hatte, war eine konkrete vorstellung von kampf bzw. wo der konkrete bezug zu mir da ist, was ich machen will.

durch die auseinandersetzung habe ich natürlich nach allem, was damit zu tun hatte, gesucht. so bin ich dann eben auf das vorbereitungstreffen für die grußaktion gegangen. es waren viele leute da – habe niemand gekannt – und es hat mir gleich gefallen, wie die leute miteinander geredet haben, wie diskutiert wurde: es wurde nicht einfach dahergeredet, sondern man hatte einen begriff von dem, was man sagt und will, es gab konkrete fragen.

an der grußaktion und natürlich über die diskussionen und leute, die ich neu kennengelernt habe, hat sich für mich einiges entwickelt: ich wurde mir klar, dass ich die auseinandersetzung mit den gefangenen will, die diskussion über bewaffneten kampf und eine gemeinsame politische praxis. durch die diskussion über die zusammenlegungsforderung bekam ich einen genaueren begriff über die haftbedingungen und den geschichtlichen und politischen zusammenhang mit dem kampf und der situation.

die stationen von diskussionen, das packen und losschicken der pakete, und dann eben die aufarbeitung: antwort – briefe lesen, wo ist was reingekommen, welche begründungen für die ablehnung gibt es, welches system steckt dahinter, was haben wir erreicht. z.b. kam eben bei den gefangenen aus der raf kaum etwas durch: es ist klar, dass, gerade weil das hauptziel der grußaktion, nämlich die verschärfung der isolation und das fortschreitende faktische kommunikationsverbot aufzubrechen, kaum erreicht wurde, und mit die situation und die fakten einfach noch klarer geworden sind, es notwendig ist, weiterzuüberlegen, was zu machen ist, wie die zusammenlegung durchzusetzen ist …

… bei mir hat sich dann durch die ganzen diskussionen eine über den zeitraum der grußaktion hinausgehende auseinandersetzung entwickelt. die direkte auseinandersetzung mit den gefangenen war also für mich eine folge der grußaktion und zwar eine, die für mich sehr wichtig ist und die ich auch wollte.

ein weiterer punkt, wo sich bei mir einiges getan hat – die notwendigkeit der zusammenlegung und die auseinandersetzung zwischen gefangenen und widerstand, die haftbedingungen, die auf die vernichtung der politischen identität der gefangenen abzielen, auf die völlige verfügungsgewalt des staates über die gefangenen und die zerschlagung der widerstandsstrukturen und der suche nach einer gemeinsamen politischen praxis – sind die prozesse in stammheim und düsseldorf und die erklärungen, die ich von den gefangenen dort gehört habe.


aufarbeitung der grussaktion an alle politischen gefangenen, o.O. (1984), 27 f.

Überraschung

Jahr: 1984
Bereich: Militanz

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