Materialien 1984

Mußgnung verordnet der NPD eine Tarnung

Einblicke auf dem Parteitag/Hunderte Münchner Antifaschisten riefen Nazis raus!

20 Jahre nach ihrer Gründung veranstaltete die neonazistische NPD am 3. und 4. November in München ihren 18. Bundesparteitag. 260 Delegierte und rund 600 weitere Anhänger als Gäste wollten der Öffentlichkeit zeigen, dass sich die NPD nach einem langen Mitglieder- und Wählertief wieder gefangen hat, ihr „politischer Wiederanstieg gesichert ist“ und „diese neuformierte und konsolidierte NPD sich Jahr für Jahr nach vorne kämpfen wird“. So Parteivorsitzender Mußgnug in seiner Parteitagsrede.

Der Parteitag war den ganzen ersten Tag über von massiven Protesten Hunderter Münchner Antifaschisten begleitet. Unsere Münchner Kreisorganisation hatte eine Gegenkundgebung initiiert, auf der Landesvorsitzender Oskar Neumann zum Widerstand gegen den hochkommenden Neofaschismus aufrief. Auch Stadtrat Gerd Baumann, Gewerkschaftssekretär Torsten Heinsohn und Pfarrer Michael Göpfert warnten auf der Kundgebung vor der Gefahr, die von der NPD und anderen neonazistischen Gruppierungen ausgeht.

Ist die NPD wieder im Kommen? Bei der Europawahl am 17. Juni 1984 hatte sie knapp 200.000 Stimmen erhalten, das Ergebnis damit gegenüber vorangegangenen Wahlen mehr als verdoppelt. Dies ist zum einen sicher der Wende nach rechts unter der Kohl-Regierung zuzuschreiben. Zum anderen aber hat sich die Partei tatsächlich in dem Sinne konsolidiert, dass die Führung unter Mußgnug und Seetzen die Mitglieder ziemlich vollständig in den Griff bekommen hat. Der Griff war und ist rigoros. Gab es noch im Vorjahr Teile von Altnazis und jungen NPDlern, die offen oder versteckt dem Terroristenführer Kühnen ihre Sympathie bekundeten und Wehrsportgruppenführern wie Hoffmann Gelder zusteckten, so soll dies jetzt der Vergangenheit angehören. Das seien neonazistische Kindereien und Spinnereien, die das „düstere Zerrbild in der Öffentlichkeit aufrechterhalten“, wetterte Mußgnug und fügte warnend hinzu, der Parteivorstand werde dies auf keinen Fall mehr hinnehmen. In jedem solcher Fälle würden „Undisziplinierte und Unbelehrbare“ aus der Partei „hinausbefördert“. Die Öffentlichkeitsarbeit müsse „vernünftig und modern“ geleistet werden.

Doch so modern ist dieser seit Jahren angestrebte Schwenk nicht. Die Hitlerpartei hatte 1924 bis 1926 einen ähnlich taktischen Schwenk vollzogen. Bis dahin waren die Anhänger jahrelang im putschistischen Sinne gegen den Parlamentarismus aufgehetzt worden. Als der Putschversuch dann am 9. November 1923 vor der Münchner Feldherrenhalle zusammengebrochen war und Hitler selbst kurzzeitig im Gefängnis saß, begann die Neuorientierung auf einen Legalitätskurs, den Hitlers Paladin Rosenberg zuerst ansteuerte und dem sich Hitler dann mit den Worten aus dem Gefängnis anschloss: „Wenn ich meine Tätigkeit wiederaufnehme, werde ich eine neue Politik befolgen müssen. Statt die Macht mit Waffengewalt zu erobern, werden wir zum Verdruss der katholischen und marxistischen Abgeordneten unsere Nasen in den Reichstag stecken. Zwar mag es länger dauern, sie zu überstimmen als sie zu erschießen, am Ende aber wird uns ihre eigene Verfassung den Erfolg zuschieben. Jeder legale Vorgang ist langsam.“

Rosenberg ergänzte dies so: „Unsere Wahlbeteiligung ist eine Interimserscheinung …, welche in dem Augenblick verschwindet, da sie ihre Hauptaufgabe, die Freimachung unserer Bewegung, erfüllt hat.“ Die Hauptaufgabe liege im „Schärfen des Instruments, nicht im Herumfuchteln mit einem schartig gewordenen Schwert“. Wer dies nicht begreife, sei engstirnig und zeige Mangel an tieferem politischen Instinkt. NPD-Vorsitzender Mußgnug hat dies auf dem Parteitag jetzt wieder mit etwas anderen Worten, aber sinngemäß in derselben Denkrichtung ausgesprochen. Die Öffentlichkeit soll über die wahren Absichten getäuscht werden.

Dass sich in der NPD an der neonazistischen Grundeinstellung nichts geändert hat, zeigen einige Vorgänge auf dem Parteitag. Eine Delegierte vom Münchner Kreisverband erklärte in ihrer Begrüßung im Auftrage des Gastgeberverbandes voller Stolz, dass vom Tagungsort Schwabing aus „Ereignisse ihren Anfang genommen haben, die die Welt veränderten“. Das war doch der Putschversuch mit dem Marsch auf die Feldherrnhalle 1923. Die Frau erhielt für diesen Hinweis großen Beifall.

Ein „Freund aus Flandern“, wie ihn Tagungspräsident und stellvertretender NPD-Vorsitzender Bachmann nannte, meinte in seiner Begrüßungsrede, seine flämischen Nationalisten würden so kämpfen wollen wie die irischen Nationalisten, und so sollten alle „europäischen Volksnationalisten“ kämpfen, auch die NPD, und dann wörtlich: „Die Flamme, die in Euch brennt, wird eines Tages zu einem neuen großen Feuer.“ Das Feuer war bekanntlich bei den Hitlerfaschisten ein mystisches Lockmittel. Vom Sonnwendfeuer und Feuerreden zu den Feuerbränden des zweiten Weltkrieges.

Ein Trupp junger Nationaldemokraten war am Morgen des Parteitages um den Häuserblock des Tagungslokales (Schwabingerbräu) gezogen und hatte gegrölt: „Die rote Front – schlagt sie zu Brei – SA marschiert – Achtung – die Straße frei!“ Im Saal waren sie dann wieder als Parteitagsgäste und beklatschten die Rede ihres Vorsitzenden.

Aggressiv gebärdete sich auch – ihr Bundesführer Thomas Salomon am Rednerpult. In geradezu wilder Besessenheit machte er die DDR zum Erzfeind, brüstete sich, in Westberlin ein Blatt namens „Mauerspringer“ herausgegeben zu haben, das aber leider nicht angekommen und angenommen worden sei. War er damals noch eine Art Westberliner Kühnen, so liegt er jetzt voll auf Mußgnug-Linie: Kühnen-Sympathisanten hätten in der NPD-Jugendorganisation nichts verloren; das Problem Kühnen gebe es nicht mehr, seit er Vorsitzender sei. Das werde so bleiben. Doch seine innere Geistesverfassung konnte der Bundesjugendführer trotz des neben ihm sitzenden Taktikers Mußgnug nicht verleugnen. Es trieb ihn einfach dazu, zum Abschluss seiner Tirade noch zu sagen: „Über die Demonstranten da draußen hat vorhin jemand im Saal gemeint, die gehörten alle in den Knast. Ich habe dem nicht widersprochen.“

Die politische Hauptstoßrichtung der NPD sieht Parteivorsitzender Mußgnug in der „Neuschaffung eines deutschen Nationalstaates in seinen historischen Grenzen“. Das hieße aber doch, die DDR einverleiben, polnische, sowjetische und tschechoslowakische Territorien einverleiben, ja, nach den Worten des österreichischen Gastredners Bruno Haas, auch Österreich einschließlich Südtirol wieder einverleiben, denn unter großem Beifall aller Delegierten und Gäste verkündete er, dass das Südtirol-Problem noch nicht gelöst sei und dass der Tag kommen müsse, „wo auch bei uns wieder nicht nur deutsch gesprochen, sondern auch deutsch gefühlt, gesungen und gehandelt wird“. Innenpolitisch will die NPD, dass wieder eine „starke Gemeinschaftsidee“ vorherrsche, eine „sittliche Gemeinschaftsordnung“, und „in ihrem Mittelpunkt der Staat als Wahrer des Ganzen“. Volksgemeinschaft, ich hör’ dir trapsen.

Darüber hinaus aber bleibt zu fragen: Wer bestimmt diese Gemeinschaftsordnung? Was ist sittlich? Wer ist sittlich? Wer bestimmt, wer sittlich ist? Der NPD-Staat? Darauf gab es von Mußgnug keine Antwort. Der Parteivorstand hatte praktisch gezeigt, wie die NPD-Ordnung auszusehen hat: Die Tagesordnung wurde ohne Debatte umgeworfen. Die vorgesehene Programmdiskussion wurde auf das nächste Jahr verschoben. Es blieben Schlagworte im Raum wie „Deutschland den Deutschen“ und „Ein Herz für Deutschland“. Doch wer will damit angesichts der Realität von zwei deutschen Staaten Politik machen können?

Hermann Müller


antifaschistische rundschau. Mitgliederzeitschrift der VVN-Bund der Antifaschisten 12 vom Dezember 1984, Frankfurt am Main, 7 f.