Materialien 1984
Der Schoß ist fruchtbar noch ...
Wer den NPD-Parteitag in München verfolgte, dem mussten sich die Haare zu Berge stellen ob der schallenden Ohrfeige, die jedem Demokraten und Antifaschisten damit erteilt wurde. Die CSU, die ja ohnedies beständig damit beschäftigt ist, den wachsenden Neofaschismus zu verharmlosen – voran unser „geliebter Landesvater“ Franz Joseph Strauß – verhielt sich still, was uns ja nicht mehr verwundern sollte, wenn man die politischen Freunde dieses Herrn kennt. Seine Freundschaften mit den Diktatoren in Chile, in Zaire, auf den Philippinen oder auch das offene Eintreten für die Rassisten in Südafrika sprechen für sich. Unser Ministerpräsident hat aus der Vergangenheit leider nichts gelernt, und das Attentat beim Oktoberfest konnte ihn offensichtlich nicht beeindrucken. Alles, was links von der CSU steht, wird als Ratten, Schmeißfliegen, Kommunisten und Nazis verteufelt, nur die wahren Nazis will er nicht erkennen. Es ist aber einfach um die Zeit schade, hier noch weiter auf die politische Moral des ehemaligen „Offiziers für wehrgeistige Führung“ einzugehen. Leute wie Franz Joseph Strauß setzen offensichtlich alles daran, den Faschismus wieder salonfähig zu machen.
Ich möchte hier aber nicht nur die CSU angreifen, denn auch die anderen Parteien in München boten ein schwaches Bild. Die Fraktion der SPD hat zwar zur Gegendemonstration aufgerufen, dann aber ihre Basis im Regen stehen lassen. Herr Kronawitter hat erst eine große Lippe riskiert, dann aber darauf verzichtet, selbst bei dieser Demonstration durch Anwesenheit zu glänzen. Lediglich der Stadtrat Gerd Baumann erschien als „Privatperson“, wie er selbst betonte. Die Gremien der Grünen haben ihre Basis auch schwer enttäuscht und bei den Ökologen erscheint mir die Sache besonders verwerflich. Die Fraktion hat nicht einmal zur Gegendemonstration aufgerufen. Das Stadtbüro war scheinbar überfordert, kurzfristig Handzettel zu drucken und eine Mahnwache während des gesamten Parteitages zu organisieren. Im Büro fand man lediglich einen Notizzettel mit dem Hinweis: NPD-Parteitag/Aktionen? – Wo blieben diese Aktionen? Ich musste mir von vielen Demonstranten die bittere Kritik gefallen lassen, was denn mit den Grünen sei – das ging an die Substanz!
Nun kommen wir aber mal zu der peinlichsten Sache dieses Parteitages. Unsere „Ordnungshüter“ standen dieser Angelegenheit ziemlich hilflos gegenüber und waren sichtlich überfordert; aber das ist ja auch nichts Ungewöhnliches. Der Einsatzleiter Meier von der PI 5 hat einmal mehr bewiesen, dass er unfähig ist. Einige Demonstranten versuchten zwischen 14 und 17 Uhr, Herrn Meier zu sprechen, da sie ihn auf Verstöße von Seiten der Nazis aufmerksam machen wollten und sie bekamen von den Polizisten immer wieder die Antwort, dass der Einsatzleiter nicht zu erreichen wäre. Es ist doch sehr verwunderlich, wenn der Verantwortliche ganze drei Stunden nicht auffindbar ist – oder? Vor den Augen des Herrn Meier liefen einige Nazis mit dem Hitlergruß durch die Feilitzschstraße und er registrierte nichts. Selbst als ihn ein Demonstrant darauf ansprach, hielt er es nicht für nötig zu reagieren.
Im Untergeschoss der U-Bahn liefen einige Nazis und sangen „ihre Hymne“: „Die rote Front, schlagt sie zu Brei. SA marschiert. Die Straße frei.“ Auch hier wurden Beamte darauf aufmerksam gemacht und es geschah nichts. Der „Süddeutschen Zeitung“ wurde erklärt, man habe zwar etwas wahrgenommen, aber könne nicht sagen was ! ! !
Dafür war unsere „Bullizei“ sehr intensiv damit beschäftigt, die Demonstranten, darunter auch viele Jugendliche ordentlich zu kriminalisieren. Punks wurden nach Nazi-Emblemen und Stickers abgesucht, wo doch jeder Schuljunge weiß, dass sie die letzten sind, die faschistische Ambitionen haben – welch eine Ironie. Am Sonntag haben sich noch ein paar Demonstranten eingefunden, die das Feld nicht so einfach aufgeben wollten. Die Polizei hat es nicht einmal mehr für nötig befunden, den Eingang abzuriegeln, da sie wusste, dass die wenigen Demonstranten vom Vortag so frustriert waren, dass kaum mehr etwas zu erwarten war. Nachdem sich die paar Leutchen spontan zu einer Mahnwache vor dem Eingang des „Schwabingerbräu“ zusammenfanden, war die Polizei auch hier sehr schnell bei der Sache und drohte mit Anzeigen wegen Landfriedensbruchs, obwohl der Eingang und auch der Verkehr in keiner Weise behindert war. Selbst unbeteiligte Passanten bestätigten den Beamten dies. Der Einsatzleiter zeigte daraufhin eine Überreaktion, die eines leitenden Polizeibeamten schlichtweg unwürdig ist. Auch hier wurde wieder verhaftet und angezeigt. Ich bekam eine Anzeige, weil ich die Feststellung traf, dass ich diesen Herrn Meier für unfähig halte. Ich frage mich nur, wo hier die Beleidigung auszumachen ist? Ich habe niemanden beschimpft, sondern lediglich nach zweitägigen Beobachtungen, eine subjektive Feststellung getroffen. Es ist aber kaum zu erwarten, dass dieser Herr Meier überhaupt versteht, was dies juristisch bedeutet. Zum Glück gibt es dazu ja schon einige Grundsatzurteile. Auf jeden Fall haben sich unsere Volksvertreter, insbesondere unser Saubermann Gauweiler, die Parteien und die Polizei ein demokratisches Armutszeugnis ausgestellt und allen, die im „Dritten Reich“ verfolgt und ermordet wurden, allen, die Angehörige verloren haben und allen Demokraten und Antifaschisten einen harten Schlag ins Gesicht gegeben. Die ausländische Presse hat sich darüber gefreut.
Günter
Freiraum. Anarchistische Zeitung 7 vom Dezember 1984/Januar 1985, Berlin, 19 f.