Materialien 1985
Resümee
Das polizeiliche wie politische Konzept der Verantwortlichen war auf Spaltung und Kriminalisierung der AKW-Gegner angelegt. Spezielle Zielgruppen waren Punks und Autonome, die im Hinblick auf die Aktionen nach der Tötung Günther Sares exemplarisch ausgegrenzt werden sollten. Dazu war jedes Mittel recht.
Vorgestellter und tatsächlicher Ablauf der Polizeiaktion
Der polizeiliche Einsatzplan war in einem mehr als hundertseitigen Buch festgelegt. Haidhausen war polizeilich belagert und hermetisch abgeriegelt. Gegen oder um 21 Uhr sollte »die Straßenschlacht« beginnen. Pünktlich wurde der Verkehr gesperrt. Das SEK-Führungsfahrzeug mit Herrn Nefzger, Herrn Unger und Herrn Engelhorn stand bereit, den Einsatz einzuleiten. Doch da passierte die erste Panne: Die übereifrigen Streifenpolizisten brachen eigenmächtig in das Straßenfest ein. Diese Aktion wurde im Polizeifunk wie folgt dokumentiert: »Halt, wir sind noch nicht soweit!«
Koller meinte, auf Pannen angesprochen, normale Beamte hätten, ohne vom Einsatzplan zu wissen, eigenmächtig verfrüht eingegriffen. Das SEK-Führungsfahrzeug fuhr vor, Nefzger wollte sich mit einem uniformierten Beamten verständigen, sprich: den Einsatzbefehl absprechen. Eine Flasche flog. Acht Personen wurden von uniformierten und zivilen SEK-Greifen festgenommen. Uniformierte SEK-ler standen bereit, sammelten sich und schlugen los, stoppten aber Anfang der Balanstraße. Ihre Irritationen waren im Polizeifunk zu hören: Die Pariserstraße sollte an der Balanstraße von Bereitschaftspolizisten abgeriegelt werden. Die Beponesen waren aber noch nicht bereit gewesen. Die Mausefalle schnappte also nicht ganz zu. Die Randale, bzw. Schlacht war in der Pariserstraße geplant, aus der es durch die Abriegelung an beiden Seiten kein Entkommen geben sollte … Die Festteilnehmer sollten eingekesselt und dann etappenweise ins Polizeipräsidium verbracht werden.
Dafür waren auch die polizeilichen Formblätter vorgesehen, mit dem Festnahmegrund ,Landfriedensbruch« und dem Verwahrschein für die Haftanstalt, d.h. die Verhafteten sollten im Knast verbleiben. Dieser Plan ging nicht auf, weil sich die Festteilnehmer insgesamt nicht gewehrt haben, sondern vor der polizeilichen Übermacht geflohen sind.
Dabei hatte die Polizei an Vorsorge für die Straßenschlacht fast nichts vergessen:
Mindestens 1.500 Polizeibeamte aller Sparten hatten Haidhausen groß- und kleinräumig eingekesselt.
300 Haftplätze waren in den Haftanstalten Neudeck und Stadelheim freigemacht worden.
10 Ermittlungsrichter standen in der Ettstraße bereit (normalerweise in Extremfällen 2).
Massenweiser Einsatz von Zivilbeamten mit unterschiedlichen Aufgaben.
Ein Polizist, der als Zivilbeamter am 12.10. eingesetzt war, berichtete nach uns zugegangenen Informationen, dass er den Einsatzbefehl hatte, sich während der Versammlung zu vermummen, die Stimmung anzuheizen und Krawall zu machen.
Gegen 21.15 Uhr wurde ein punkig aussehender Mann beobachtet, der vor den heranstürmenden SEK-Einheiten fliehend mit einem Stein eine Fensterscheibe der Gaststätte »Flieger« einschlug. Der Mann trug eine Lederjacke mit Nieten. Hinten auf der Lederjacke stand »the damned«. Der Mann wurde von mehreren ebenfalls fliehenden Demonstranten beobachtet. Etwa 10 Minuten später traf ein inzwischen zurückgekehrter Straßenfestteilnehmer den »Steinewerfer« vor dem Lokal »Flieger«. Man kam ins Gespräch. Der ,Steinewerfer’ meinte, er wüsste noch Leute, mit denen man ,noch etwas machen könnte’. An der Weißenburger-/Balanstraße angelangt zog er seine Polizeiarmbinde heraus und begab sich zu einem Pulk herumstehender Zivilpolizisten. Der Steinewerfer und der sich als Zivilpolizist zu erkennen gebende Mann sind identisch.
Gegen 22.30 Uhr, als die Pariserstraße von Hunderten von Beamten abgesperrt war, wurden mehrere zivil gekleidete Personen beobachtet, die aus der Pariserstraße kommend sich Armbinden mit der Aufschrift »Polizei« überstreiften. Nach Aufmachung und Habitus sahen 2 von ihnen eher wie Punker aus. Andere Zivilbeamte hatten ihre Binden zusammengerollt am Arm, so dass sie schlecht zu lesen waren. Ein junger Mann (Kurzhaarschnitt, Lederjacke mit weißer Aufschrift) ging kurz darauf auf den abgeriegelten Teil der Pariserstraße zu. Er passierte den Polizeigürtel, wobei er sich vorher die Binde mit der Aufschrift »Polizei« abstreifte.
Der bei den Anfangsszenen festgenommene Demonstrant Walter Kopp, der erst von zivilen Kollegen zusammengeschlagen und dann liebevoll in ein Polizeiauto verbracht wurde, erschien am 12.10. gegen 21.45 Uhr in Begleitung von mehreren leicht verletzten Polizeibeamten in einer Münchner Klinik. Er trug eine schwarze Lederjacke und zerschlissene Jeans. Der etwa 30jährige Mann klagte über Kopfschmerzen. Im Rahmen der Behandlung zog er seine Lederjacke aus. Darunter trug er einen Revolver und Handschellen. Auf erstaunte Blicke des Personals hin gab er sich als Polizist zu erkennen.
Im Prozess gegen B.B. wurde dem SEK-Beamten Franz Mörtl das Übersichtsbild vorgelegt. Er hatte sich nicht nur als Tränengas-Sprüher, sondern auch als Greifer hervorgetan. Auf dem Foto erkannte er den SEK-Beamten Walter Kopp als Kollegen seiner Dienststelle wieder.
Ein bayerisches Lehrstück. Fotodokumentation Demonstration gegen die WAA in München 12.10.85 und Bauplatzbesetzung Wackersdorf 14.12.-16.12.85, München 1986, 60.