Materialien 1985

Nachwehen

Demonstrationsverbote

In München herrschte die nächsten Wochen ein von Gauweiler erlassenes und vom Verwaltungsgericht abgesegnetes Demonstrationsverbot. Haidhausen war belagert, das Demonstrationsrecht aufgehoben. Eine für den 19.10. und eine für den 30.11. angemeldete Demonstration wurden trotz verschiedener Anmelderinnen mit der letztlich selben Begründung verboten.

In den Begründungen des Kreisverwaltungsreferats hieß es, »Frau S. gehöre der ,autonomen Linken’ an und wäre längere Zeit in Kontakt mit einer Person gewesen, die der ,linksterroristischen Szene’ zuzuordnen sei. Die ,sog. autonome Linke’ sei eine militante linksextremistische Gruppierung, die hauptverantwortlich dafür sei, dass seit dem Tod von G. Sare 25 gewalttätige Demonstrationen stattfanden.

In der fast identischen Begründung der 2. Verbotsverfügung heißt es, dass die Kundgebung als Ersatzveranstaltung geplant sei und nicht vom Anti-Strauß-Komitee durchgeführt werde, sondern von Autonomen.

Zitat: »Die wahre Führung der geplanten Versammlung liegt demnach bei Mitgliedern der sog. autonomen Linken, einer militant linksextremistischen Gruppierung, die …

Die Kundgebung am 30.10. wurde vorn Stadtrat erlaubt, nachdem die Grünen einen Dringlichkeitsantrag gestellt hatten. Kaum jemand wusste davon. München im Herbst 1985 …

Prozesse

Anfängliche Taktik der Staatsanwaltschaft, vertreten durch Hr. Meier-Staudt, war es, durch Schnellverfahren die Nachbereitung schnell vorn Tisch zu wischen, sowie eine politische erst gar nicht aufkommen zu lassen.

Das einzige Schnellverfahren lief auch dementsprechend schlecht. Ein Österreicher, dem ein Flaschenwurf in der Balanstraße um ca. 21.15 Uhr vorgeworfen wurde, bekam 6 Monate Haft auf Bewährung. In der Regel wird im Schnellverfahren ein Geständnis vorausgesetzt. Das kam denn auch und außerdem ein vollkommen unnötiger Rechtsmittelverzicht seitens des Angeklagten.

Zwei andere Jugendgerichtsverfahren endeten mit ein- bzw. dreiwöchigem Arreststrafen, die durch die U-Haft als abgegolten angesehen wurden. Verhandelt wurden »Straftaten«, die sich in der Pariserstraße während der Räumung abgespielt hatten. Über die Art und Güte der Ermittlungstätigkeit von Polizei und Staatsanwaltschaft gaben und geben die Verfahren gegen M.B., H.M. und B.B. reichlich Aufschluss.

Während M.B. ein Flaschenwurf angelastet wurde, der zu diesem Zeitpunkt nicht geschehen sein konnte, wirft Staatsanwalt M.S. den Angeklagten H.M. und B.B. exakt den gleichen Flaschenwurf vor.

Das Paradoxe an der justizmäßigen Nachbereitung ist, dass H.M. später als B.B. festgenommen wurde (ca. 5 Minuten), aber eine halbe Stunde früher eine Flasche auf das Führungsfahrzeug des SEK geworfen haben soll, obwohl beide nach Aussage der Greifkommandos sofort im Anschluss an die angeblichen Würfe festgenommen wurden. Fest steht, dass auf dieses SEK-Fahrzeug nur eine einzige Flasche geworfen wurde.

Aufgrund der Aussagen der »übereifrigen Streifenpolizisten« wurde H.M. zu 160 Tagessätzen a 10 DM verurteilt.

Im kürzlich abgeschlossenen Prozess gegen B.B. hatte der »unwissende« (?) Staatsanwalt in der Anklageschrift einen Flaschenwurf auf das Polizeiauto mit der Nr. M-389 hervorgezaubert, vollkommen konträr zu den Aussagen der Polizeibeamten, die als polizeiliches Kennzeichen für das SEK-Führungsfahrzeug M- EU 2747 angegeben hatten. Verblüfft musste er seinen Irrtum eingestehen, der die völlige Orientierungslosigkeit der zum Handlanger der Polizei degradierten Staatsanwaltschaft offensichtlich machte.

SEK-Einsatzleiter Nefzger machte den Irrtum erklärlich: Das Führungsfahrzeug war für diesen Tag mit einer besonderen Nummer ausgestattet worden. Die Dienstnummer des Fahrzeugs ist aus verwaltungstechnischen Gründen M-389.

B.B. wurde wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu 90 Tagessätzen a 15.- DM verurteilt.

Die eigentliche Leitung in den Prozessen hat ein grauhaariger Oberziviler, den man bereits von der Pariserstraße her kennt. Er hält während der Prozesse alle Polizeizeugen auf dem Laufenden und gibt ihnen letzte Instruktionen. Tauchen unerwartete Schwierigkeiten auf, trifft er sich schon mal mit Maier-Staudte auf dem Klo zwecks Absprachen. So funktionieren die Polizeizeugen in aller Regel im Prozess ausgezeichnet. Mindestens zwei haben den »Angeklagten« erkannt. Es geht bei den Prozessen um Verurteilungen und nicht um Aufklärung.

Ein bayerischer Richter lohnt die polizeiliche Tätigkeit, verurteilt dann zu im Bundesdurchschnitt milden Strafen, getreu der sogenannten bayerischen Linie. Eine politische Aufklärung des Geschehens wird plump und ohne Federlesens abgewürgt. So wurden sämtliche von Rechtsanwälten in Prozessen gegen vermeintliche Flaschenwerfer gestellte Beweisanträge, die darauf abzielten, den polizeilichen Einsatzleiter Koller als Zeugen vor Gericht zu bringen, abgeschmettert.

An diesem Zustand werden aller Voraussicht nach auch die zahlreichen Strafanzeigen, die gegen Polizeipräsident Häring, Einsatzleiter Koller, dem Polizeioberen Schweinoch u.a. gestellt wurden, nichts ändern. Allenfalls eine funktionierende Öffentlichkeit und Bewegung von unten wären in der Lage, diesen Machtblock zu sprengen.


Ein bayerisches Lehrstück. Fotodokumentation Demonstration gegen die WAA in München 12.10.85 und Bauplatzbesetzung Wackersdorf 14.12.-16.12.85, München 1986, 64 f.

Überraschung

Jahr: 1985
Bereich: Atomkraft

Referenzen