Materialien 1985
Pressegeschichten
Die Informationspolitik des Polizeiapparats, die sich in der Presseberichterstattung nach dem 12.10. niederschlug, war geprägt von einer Anzahl gezielter Falschmeldungen. Das Polizeipräsidium als Desinformationszentrale. Hartnäckigstes und zugleich infamstes Gerücht war die Geschichte, mit der von Punkern verwüsteten Wohnung eines Türken in der Pariserstraße 12.
Bereits um 23 Uhr des 12.10.85 tauchte diese »Nachricht« in den Nachrichten des BR auf. Sämtliche Montagszeitungen berichteten darüber. In der SZ hielt sich die Nachricht bis Mittwoch undementiert, obwohl spätestens Montag vollkommen klar war, dass diese Geschichte frei erfunden war. Noch am 25.10.85 erklärte Polizeipräsident Häring, dass die verwüstete Wohnung nicht zuletzt Anlass sprich: Vorwand des polizeilichen Einschreitens war. Dabei hatte Häring bei einem abendlichen Gelage im Restaurant Osteria in der Schellingstraße gegenüber einem BILD-Redakteur eingestanden, dass Fehler gemacht worden seien. Ausgestaltet mit reichlich Spesengeld zog der Journalist Häring nach mehreren Runden Whisky die Pannen aus der Nase. Er soff Häring unter den Tisch und machte aus der Sauferei ein erstes exklusives Interview:
BILD: Was ist mit dem Polizisten, der angeblich einen Kieferbruch erlitt?
Häring: Ich wollte ihn besuchen. Meine Leute sagten mir, dass er gerade auf dem Operationstisch liegt. Dann wieder hieß es: ,Er ist beim Röntgen.’ Bis ich die Wahrheit erfuhr – kein Kieferbruch – war der Beamte schon wieder entlassen. Dass ich so schlecht informiert wurde, gibt garantiert ein Nachspiel.
BILD: Stimmt es, dass ein Beamter in Zivil von uniformierten Kollegen durch Knüppelhiebe verletzt wurde?
Häring: Wie es zu diesem Vorfall kam, wird intern untersucht.
BILD: Was ist mit dem Beamten, der drei Pressefotografen Tränengas in die Augen sprühte?
Häring: Wir kennen den Beamten, gegen ihn wird ermittelt. (BILD, 18.10.85)
Die Polizeipressestelle wusste von Härings abendlichen Amüsements nichts. BILD lügt, war die Parole am nächsten Tag. Häring war stocksauer.
Keine Peinlichkeit bzw. Panne unterlief bei der Fernsehberichterstattung. Meyer-Bülow, ein freier Mitarbeiter des BR, lieferte die gewünschten Falschmeldungen gleich reihenweise und geschickt verpackt. Die Geschichte mit den angeblich beschlagnahmten Beil der bewaffneten Demonstranten war schon famos. Das musste auch Hr. Wolf, ebenfalls freier Mitarbeiter des BR, feststellen, als er – mit der Nachbereitung der Haidhauser Geschehnisse beauftragt – eine Propagandalüge nach der anderen wie Seifenblasen zerplatzen sah.
Nachdem er den gewünschten Bericht nicht liefern konnte, blies BR-Polit-Chefredakteur FeIler die ganze Sache einfach ab, verhängte eine Nachrichtensperre und schloss die Materialien weg. Eine Anfrage bei der Polizei bezüglich des Beils blieb unbeantwortet. Herr Wolf bekam Schwierigkeiten mit seinem liberalen Weltbild. Den Kummer spülte er sich auch in der Schellingstraße hinunter, allerdings im »Schellingsalon«.
Ein bayerisches Lehrstück . Fotodokumentation Demonstration gegen die WAA in München 12.10.85 und Bauplatzbesetzung Wackersdorf 14.12.-16.12.85, München 1986, 37.