Materialien 1985

Nicht schon wieder!

Am Samstag, den 19. Oktober sollte eine Demonstration gegen den Polizeiterror stattfinden, wegen der Räumung des Straßenfests eine Woche zuvor. Is aber vom Kreisverwaltungsreferat untersagt worden, die Demonstrationsleiterin hätte angeblich Kontakte zum terroristischen Umfeld undsoweiter und überhaupt. Was aber viele nicht wussten und andere sich nicht unbedingt gefallen lassen wollten.

Etwa 200 Leute hatten sich am Treffpunkt Pariserstraße versammelt. Per Megafon hat einer durchgesagt, die Sache sei abgeblasen, doch die Leute hatten auch nicht unbedingt Lust, jetzt nach Hause zu gehen. Die Kreuzungsdemo wurde erfunden: Immer bei Grün auf die andere Seite gehen und Aufruhr, Widerstand etc. anstimmen. Dann flüsterte man sich zu: Spontandemo. Schwanseestraße. Dort trafen sich dann etwa 75 Leute, ein Teil ging erstmal in ’ne Kneipe, der Rest wartete draußen, Polizei und BGS standen hundertschaftsweise in der Gegend rum.

Um zehn nach fünf ging’s los, Richtung Stadelheim, dessen Haupteingang etwa 150 Meter entfernt war. Alles friedlich, Sprechchöre. Wir waren gerade 100 Meter (auf’m Gehsteig) gelaufen, als eine ganze Kolonne BGS-Wannen auf der Straße vorfuhr, anhielt, die Cops sprangen raus, die Leute rannten weg, Cops hinterher. Fast alle wurden in einer kleinen Seitenstraße zusammentrieben, ein Kreis drum und im Lauf von Stunden in die Ettstraße eingefahren. Die Cops griffen recht brutal zu, zwei Leuten wurde von einem Zivilpolizisten massiv CS ins Gesicht gesprüht, einer wurde von einem (Polizei-)Sani behandelt.

Natürlich waren einige Leute auch etwas sauer und gingen nicht gerade freiwillig mit, weshalb die Cops vermutlich noch einige Strafanzeigen wegen Widerstand stellten. In der Ettstraße machten sich dann einige ihrer Wut Luft, indem sie die Sammelzelle etwas demontierten und Teile vom Mobiliar aus kaputten Fenstern auf den Hof schmissen, was dort einige Beulen in Wannen verursachte.

Insgesamt sind 53 Leute festgenommen, erst am nächsten Tag wurden 48 wieder freigelassen, gegen 5 wurde Haftbefehl beantragt, aber (vermutlich) abgelehnt. Etwa 25 entgingen diesem Schicksal, weil sie (wohl nicht ohne Absicht) mit etwas Abstand hinter der Hauptgruppe der Demo herzockelten, darunter der Verfasser dieser Zeilen. Die Cops waren wie üblich vordringlich hinter denen her, die davonrennen.

Man darf festhalten, das die Sache im Prinzip eine Spontandemo war (und sowas ist legal), die mit der untersagten Sache von der Pariserstraße wenig zu tun hatte. Das Gegenteil zu behaupten und die ganzen Leute als „unerlaubte Ersatzveranstaltung“ wegen „Verstoß gegen das Versammlungsgesetz“ einzufahren, ist ziemlich weit hergeholt.

Schluss: Die Polizei in München scheint eine neue Linie zu fahren. Früher gingen Spontandemos meistens noch durch, von Ziviprovokationen u.ä., abgesehen. Früher wurden einzelne Leute abgegriffen, die angeblich was getan hatten, was auch heute immer wieder passiert, z.B. WAA-Demo.

Neu ist, dass wegen totaler Geringfügigkeiten ganze Versammlungen komplett abgegriffen werden. Bei unangemeldeten bzw. spontanen Sachen äußerste Dehnung des gesetzlich Möglichen, bei ordnungsgemäß angemeldeten (Straßenfest) eine kleine Provokation, eine Bierflasche reicht, Provokateure der Polizei dürften wieder Hochkonjunktur haben.

Vermutlich hat das seine Ursachen in den „Zuständen“, die nach Günter Sares Tod in der ganzen BRD entstanden und vor denen sie in München offenbar ziemlich Angst haben. Und vor allem geht es wohl auch darum, den Widerstand, der sich dem WAA-Projekt und überhaupt dem System entgegenstellt, zu unterdrücken und zu kriminalisieren.

Sie müssen ziemlich Angst vor uns haben. Immerhin schon etwas.


Spion. Zeitung für München 37 vom November 1985, 9.

Überraschung

Jahr: 1985
Bereich: Atomkraft

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