Materialien 1985

Zum 30jährigen Betriebsjubiläum ...

der Bundeswehr gab es am 5. November auf dem Odeonsplatz einen feierlichen Zapfenstreich. Das ist eine ästhetisch sehr reizvolle seltsam anmutende Veranstaltung, bei der zu streng formaler Musik ausgewachsene Männer sich wie Kasperlpuppen benehmen, um dem Chef dieses Staates ihre Treue zu erweisen.

Leider trägt dieses Affentheater einen missverständlich obszön anmutenden Namen, so dass schon von daher mit Zwischenfällen, hervorgerufen durch papistische Extremisten, gerechnet werden muss. Diese Gruppierungen beziehen sich auf eine in der Fachliteratur umstrittene Auffassung, nach der sich das Wort „Zapfenstreich“ vom altfränkischen „Zuipfelstreicheln“ ableitet. Diese in Landsknechtskreisen ehemals weit verbreitete Tradition des Zipfelstreichelns wurde bis in die Gegenwart streng verfolgt. Wie problematisch der Brauch ist, zeigt die kürzlich entbrannte Diskussion, ob ein Minister seinem General Kiesling an die Kanone langen darf. Diese Auffassung ist aber, wie gesagt umstritten, und die befürchtete Selbstverbrennung einer Marienerscheinung blieb ebenso aus wie die Drohung einer Hausfrauen-Wehrsportgruppe, sich zu den Waffen zu melden. Dieses gräuliche, sicher von langer Zersetzerhand vorbereitete Fehlen jeder Störer stellte den Einsatzleiter der Pozilei vor arge Probleme. Hatte derselbe doch nach erprobten agressionspädagogischen Methoden (Schichtdienst, 24 Stunden ohne Futter, Staatsbürgerkunde und vor dem Einsatz eine Extraportion RUM!) seine Leute bis zur Gemeingefährlichkeit mit Diensteifer gewappnet.

Nun, ohne Gegner drohte das ganze aufgestaute Pflichtgefühl außer Kontrolle zu geraten und in einer einzige riesigen Woge der Gewalt über den armen Soldaten zusammenzubrechen. In letzter Sekunde konnte das Verhängnis durch die Erlaubnis zu Festnahmen abgewendet wurden. (24 Festgenommene)


Spion. Zeitung für München 38 vom Dezember 1985, 18.

Überraschung

Jahr: 1985
Bereich: Bundeswehr

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