Materialien 1985

Der letzte Terrorist?

Affäre in München: Bierbichler, Botha und die CSU

Letzte Woche bekam der Direktor des Bayerischen Staatsschauspiels, Frank Baumbauer, Post aus dem Kultusministerium. Dann ging er zum Rechtsanwalt.

Am Abend trat einer seiner Mitarbeiter vor den Vorhang und teilte dem „lieben Publikum“ mit, letzte Woche hätten Schauspieler dieses Theaters gegen die Verhaftung des deutschen Pfarrers Gottfried Kraatz protestiert, der in einem südafrikanischen Gefängnis sitzt, weil er zwei Farbige beerdigt hat. Diese Aktion sei vom Ministerium untersagt. Der Protest fand an diesem Abend nicht mehr statt: „Wir müssen befürchten, unsere Arbeitsmöglichkeiten zu verlieren.“

Der Ärger begann, als der Schauspieler Sepp Bierbichler während einer Vorstellung von Herbert Achternbuschs „Gust“ die Bühne verließ, um der Bayerischen Staatsregierung die Meinung zu sagen. Die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung hatte südafrikanische Spitzenpolitiker nach München eingeladen. Bierbichler hat seiner Empörung darüber Luft gemacht, und zwar bayerisch-deftig auf die größtmögliche Wirkung bedacht. Inzwischen hat er sein Verhalten begründet, einen offenen Brief verfasst, elf Seiten lang. „Und weil Politik nicht nur in kleinsten, sondern in allen Bereichen des menschlichen Lebens auftaucht, kann sie auch vor dem Theater nicht haltmachen. Ich meine, Theater muss – so wie Heiner Müller das ausdrückt – subversiv sein gegen das Desinteresse und das gefährliche Gefühl allgemeiner Zufriedenheit.“ Schon lange ist Bierbichler Mitglied der Anti-Apartheids-Bewegung.

Politischer Protest, lässt das Ministerium wissen, überschreite den „Wirkungskreis“, den man einem Theater und seinem Direktor einräume. Baumbauer berichtet, er sei durch diesen Brief, der juristisch als eine Anordnung zu verstehen sei, auch aufgefordert worden, dem Ministerium Na-
men der Protestierer und ihrer Hintermänner zu nennen, in der Sprache des Bayerischen Minister-
präsidenten: Ross und Reiter. Sollte sich der Protest wiederholen, könne man beide loswerden, Pferd und Mann. Dann könne man sie nämlich kündigen. Wen? Die Apartheidsgegner.

Baumbauer will keiner Forderung dieses Briefes nachkommen, muss aber wohl mit der Hartnäk-
kigkeit bayerischer Politiker rechnen. Sie tragen immer noch hochgekrempelte Ärmel und haben durch den Föhn einen schweren Kopf. Ihre Vorstellung von Politik ist sehr urtümlich, daraus machen sie keinen Hehl. Wen sie für einen Wilderer halten, der wird gejagt. Vor allem, wenn es einer ist wie Sepp Bierbichler, der selber die Ärmel hochgekrempelt trägt. Das könnte, denken sie vielleicht, eigentlich einer von ihnen sein: ein reicher Bauernsohn, der in ihrem eigenen Idiom kontern und mit der Faust auf den Tisch hauen kann. Der wird erst recht als Verräter erlebt, weil er „von da“ ist.

Außerdem ist er nicht nur ein großer Schauspieler, sondern unangenehm mutig. Um gehört zu werden, hat er „Gust“ an einer spektakulären Stelle unterbrochen. Der alte Bauer schimpft gerade auf die Regierung: „Der letzte Terrorist ist mir lieber als der erste von der CSU.“ Der Satz, den Achternbusch aus einem Tonbandprotokoll übernommen hat, aus einem Gespräch mit dem echten Gust, seinem Großonkel, ist der CSU schon seit der Uraufführung des Stücks ein Dorn im Auge.

Bierbichler hat den Satz in seiner Protestrede wiederholt und auf Südafrika bezogen. In seinem Brief zitiert er den Affront nur noch so: „D. l. T. i. m. l. a. d. e. v. d. CSU.“ Dem Ensemble schreibt er: „Ich garantiere Euch: Das Verbot des Ministeriums wäre immer gekommen, weil die die Sache als solche nicht brauchen können und auch nicht die von uns gewählte Form. Wenn wir aber den Vorgaben der Zensoren nachgeben, dann sind wir als Theater tot. Wer aber will schon an einem toten Theater spielen?“

Theater sind Orte des Widerspruchs, keine Museen. Das hat man auch in den Theatern fast schon vergessen. Nicht nur auf Bothas Schreckensherrschaft, sondern auch auf diesen Notstand hat uns Bierbichler aufmerksam gemacht. Wenn es bei dem Verbot der Aktion bliebe oder gar zu Kündi-
gungen käme, wäre das ein Skandal. Aber wann hat sich die CSU schon vor einem Skandal ge-
drückt?

Helmut Schödel


Die Zeit 50 vom 6. Dezember 1985.

Überraschung

Jahr: 1985
Bereich: Kunst/Kultur

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