Materialien 1986

Eisner-Denkmal: CSU verfälscht Geschichte

WIR-Redaktion beim DGB München
Schwanthalerstraße 64
8000 München 2

Dr. Richard Hundhammer
Arnpeckstraße 3
8000 München 90

München, den 17. September 1985

OFFENER BRIEF

Sehr geehrter Dr. Richard Hundhammer!

Sind Sie Boxer oder was? WIR – die Redaktion des Magazins für Münchner Gewerkschafter – können uns Ihre „Rundschläge“ gegen den ersten Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern, Kurt Eisner, nicht anders erklären. Bar jeder geschichtswissenschaftlichen Kenntnis, setzen Sie Behauptungen in die Welt, die zum Haareausraufen sind:

 Sie behaupten, Eugen Leviné (1883-1919) wäre ein „entschiedener Mitstreiter Kurt Eisners gewesen“. Richtig ist, dass der KPD-Funktionär im März 1919 – also nach der Ermordung Eisners vom 21. Februar – nach München kam. Die beiden hatten auch vorher nie miteinander Kontakt.

 Sie wärmen den Phantasienamen „Eisner-Kosmanowski“ wieder auf, der von Geschichtswissenschaftlern längst widerlegt ist. Sie wissen sicherlich, dass Sie sich mit dieser Bezeichnung auf die gleiche Stufe mit Nazischergen sowie anderen antisemitischen Hetzern und Gegnern Eisners stellen, die ihn auch als „galizischen Juden“ denunzierten.

 Sie behaupten, Eisner hätte „als erste außenpolitische Tat ein Grußtelegramm an die sowjet-russische Regierung gerichtet“. Wo sind die Quellen dieses von Geschichtsforschern bisher nicht aufgespürten Details?

Eigentlich wollten WIR über diese seltsamen Behauptungen hinwegsehen. WIR dachten, sie stellten die Einzelmeinung eines verirrten CSU-Landtagsabgeordneten dar, der im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst hat. Aber zu unserem Entsetzen mussten WIR in verschiedenen Münchner Tageszeitungen andere „Tatsachen“ über Eisner von anderen CSU-Mitgliedern lesen:

CSU-Stadtrat Gerhard Bletschacher behauptet (laut SZ vom 27. August 1985): „Politiker, die Gewalt propagiert haben, dürfen nicht auch noch durch ein Denkmal verherrlicht werden.“ Eisner war aufgrund seiner Lebensgeschichte ein ganz und gar überzeugter Pazifist. Bezeugt ist seine Toleranz gegenüber Andersdenkenden. Bei der November-Revolution 1918 gab es kein Blutvergießen. König Ludwig III., der Repräsentant des gehassten monarchischen Systems, konnte München ungehindert verlassen.

 Vollkommen an historischen Fakten vorbei geht die Behauptung von CSU-Stadtrat Dr. Franz Forchheimer: Eisner stürzte „gewaltsam den SPD-Ministerpräsidenten Hoffmann“ (BILD vom 27. August 1985). Am 17. März 1919 – fast einen Monat nach der Ermordung Eisners – übernahm Johannes Hoffmann den Vorsitz der bayerischen Regierung.

Zu all diesem Treiben fällt uns nur der Vorwurf der Geschichtsverfälschung ein. WIR finden diesen schlampigen Umgang mit Tatsachen der Geschichte, den Repräsentanten der CSU hier betreiben, empörend und schade. Schade deshalb, weil zum Beispiel ein damaliger erbitterter Gegner von Kurt Eisner, der Abgeordnete der Bayerischen Volkspartei und Bauernführer Georg Heim (1865-1938), eine sehr differenzierte Einschätzung abgab: „Eisner lehnte den schrankenlosen Unitarismus (Einheitsstaat) ab, ob aus Klugheit, in Kenntnis der bayerischen Volksseele oder aus innenpolitischen oder parteipolitischen Gründen oder aus beiden zusammen, das sei dahingestellt. Jedenfalls freute mich die ganz entschiedene Stellungnahme Eisners, und ich erblickte in ihm einen Bundesgenossen.“

Kurt Eisner wollte die „Vereinigten Staaten von Deutschland“ – er war ein überzeugter Föderalist. Für diese Ideen, die mit dem föderativen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland 1949 Wirklichkeit wurden, stand der Sozialist Kurt Eisner. Auch dafür gebührt ihm ein unübersehbares Denkmal.

WIR freuen uns, dass der DGB München die Forderung des SPD-Stadtrats Alfred Lottmann nach einem würdigen Eisner-Denkmal unterstützt.

WIR hätten nichts dagegen, wenn Sie, Herr Dr. Hundhammer, einmal beim DGB-Bildungswerk die Stadtrundfahrt „Das andere München“ mitmachen würden, um Ihre Geschichtskenntnisse aufzufrischen.

Hoffentlich müssen WIR in der nächsten WIR-Ausgabe nicht berichten „Hundhammer k.o. – Denkmal genehmigt“ – sondern können verkünden, dass viele CSU-Stadträte den SPD-Antrag für ein Kurt-Eisner-Denkmal unterstützt haben.

Herr Dr. Hundhammer, sagen Sie o.k. zum ersten bayerischen demokratischen Ministerpräsidenten.

Mit freundlichen Grüßen
WIR-Redaktion,
i.A. Wolfgang Peschel


Wir. DGB Kreis München 4/1985, 8 f.

Überraschung

Jahr: 1986
Bereich: Gedenken

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