Materialien 1986
Gewerkschaftsbewegung auf der Anklagebank
Türkei: Unsere Solidarität ist gefordert
Gegen die Diskriminierung ausländischer Kolleginnen und Kollegen startete die DGB-Jugend erfolgreich die Aktion „Mach meinen Kumpel nicht an“, Doch ebenso wie unsere Solidarität innerhalb der Grenzen dieser Republik ist sie über diese Grenzen hinaus gefordert: In ihren Heimatländern sind Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter tausendfach von Verfolgung und Unterdrückung bedroht und betroffen.
Von der Polizei gefoltert, unter Kriegsbestimmungen vor Gericht gestellt sind derzeit mit über 70 Funktionären des türkischen Gewerkschaftsverbandes DISK auch die Organisations- und Gewerkschaftsfreiheit in der Türkei.
Die „Konföderation der revolutionären Arbeitsgewerkschaften“ DISK wurde im Februar1967 aus türkischen Einzelgewerkschaften und der Metallarbeitergewerkschaft gegründet. Bereits ein Jahr später zählte DISK 22 Mitgliedsgewerkschaften, die sich relativ kompromisslos mit 500.000 Mitgliedern für demokratische Rechte und für höhere Löhne einsetzten. Nach dem Militärputsch im September1980 wurden nach und nach Verfahren gegen Gewerkschafter eröffnet, – Eine Münchner Gruppe von amnesty international, die einen angeklagten DISK-Gewerkschafter betreut, berichtet dazu:
Zunächst wurde für 52 führende Funktionäre der DISK wegen Verstoßes gegen § 146 des türkischen Strafgesetzbuches (gewaltsamer Umsturzversuch) die Todesstrafe gefordert. Später wurden gegen alle Einzelgewerkschaften von DISK und gegen unabhängige Gewerkschaften Verfahren eingeleitet, in der Regel mit der Begründung: Führung und Mitgliedschaft in einem Verein, der die Gewaltherrschaft einer sozialen Klasse über eine andere soziale Klasse anstrebt (§ 141 türkisches Strafgesetzbuch). In der Zwischenzeit dürfte die Zahl der angeklagten Gewerkschafter auf insgesamt 3.000 angewachsen sein.
Im Januar dieses Jahres wurde die Anklage gegen DISK-Funktionäre, deren Zahl mittlerweile auf über 70 angestiegen ist, in Verstoß gegen § 141 geändert. Das bedeutet zwar eine Aufhebung der geforderten Todesstrafe, jedoch ist mit Gefängnisstrafen von 10 bis 20 Jahren zu rechnen. Die Urteile werden für diesen Sommer erwartet, und es steht zu befürchten, dass die Gewerkschaften in der Türkei nach Ablauf der Prozesse juristisch verboten werden.
Als „Verbündeter“ in Nato und Europarat ist die Türkei an die Menschenrechtskonvention ebenso gebunden wie an die Gewerkschafts- und Organisationsfreiheit. Doch neben den rund 3.000 Gewerkschaftern stehen auch etwa 15.000 Mitglieder aus Vereinen unter Anklage. In der Türkei sitzen Gewerkschaftsbewegung und Menschenrechte tausendfach auf der Anklagebank. Dem können wir nicht tatenlos zusehen.
red./J
Wir. DGB Kreis München 3/1986, 10.