Materialien 1959

Betrachtungen über einen Bart

„Der Bart erhöht die Würde!“

Ja, es ist hier die Rede von dem bayerischen Landwirtschaftsminister Dr. Dr. Hundhammer; er soll uns heute wieder einmal der Rede wert sein.

Da hat uns, ihn und mich, vor über einem Jahr ein hohes Gericht vor die forensische Schranke ge-
laden, damit jeder das Weiße im Auge des anderen sehen könne. Bis dahin kannte ich das Erschei-
nungsbild des großen Staatsmannes nur aus Karikaturen und aus Fotos. Heute weiß ich, dass mit dem Ausdruck „fotogen“ genau gemeint ist, nämlich, wenn einer, abgelichtet, mehr hergibt, als an ihm eigentlich dran ist,

So harrte ich, auf dem Gerichtsflur stehend, der Erscheinung; ich harrte des grobknochigen Raspu-
tin, des finsteren Hagen am Hofe unseres Erzbischofs, harrte der glühenden Augen und des ge-
sträubten Bartes – ich harrte des flammenden Christen Alois!

Und er erschien mir: Eine Gruppe erwachsener Männer schritt heran – der allerkleinste unter ihnen war bebartet. Das war er, der Alois – klein, aber nicht hässlich.

Vor dem hohen Gericht saßen wir Stuhl an Stuhl, geradezu Schulter an Schulter. Wir trugen jeder das Seinige vor. und wenn der Hundhammer seine schöne Chorstimme erschallen ließ, konnte ich ihn mir genau anschauen.

Er hat eine hübsche Stirn, eine nette Nase, er muss einmal ein hübscher Bauernbub gewesen sein. Das Genick zeigt, dass er in gutem Futter steht, und der saubere Scheitel weist auf den Ordnungs-
sinn des ehemaligen Zahlmeisters deutlich hin.

Und nun, Leute, der Bart, der viel besungene, drohende Bart des Glaubenseiferers! Ach, er ist,
aus der Nähe gesehen, bravbürgerliche Wolle, er bedeckt das halbe Antlitz, aber es ist gut gehegt.

Es hat einmal einer Betrachtungen über den Bart angestellt und herausgefunden, dass er immer Unsicherheit verdecken müsse. Die Geschichte beweise, so meinte der, dass sich vornehmlich abhängige oder staatlich noch nicht gefestigte Völker Bärte stehen ließen; der Bart verdecke das noch unbeherrschte Mienenspiel und sollte daneben wenigstens Furcht einflößen, Erst wenn solche Völker zu herrschenden Völkern geworden, wenn sie selbstbewusst geworden waren, nahmen sie das Schabemesser an.

Wenn das eingangs angeführte Zitat meint, dass der Bart die Würde erhöhe, so meint es nicht die Würde des Ansehens, sondern die des Aussehens: je geringer einer sein Ansehen der Gesellschaft gegenüber anzusetzen wagt, je mehr es ihm also an gesundem Selbstvertrauen mangelt, um so mehr wird er mit seinem Aussehen Wirkung und windbeutelnd Furcht erzielen wollen. Wer Bart trägt, hat’s nötig!

Der Bart, das sind die Schämhaare der Persönlichkeit!

Als der Dr. Hundhammer noch Kultusminister war und zum 70. Geburtstag des Professors Haas vor einer illustren Gesellschaft eine Rede von sich geben sollte, musste ihm auf seinem Weg zum Rednerpult ein Saaldiener vorausgehen.

Einige Mediziner unter den Zuhörern haben sich hinterher über diesen Vorgang eingehend unter-
halten und die Frage aufgeworfen, ob der mögliche Patient an einer Phobie, einer Agoraphobie, zu deutsch: an Platzangst, leide.

Nun, wenn man sich sein schellenlautes Christentum vor Augen hält, sich der „schamlos vorder-
gründigen Selbstdarstellung“ auf dem Einband seiner Biographie erinnert, wenn man jene Schäm-
haare hinzurechnet, so dürfte bei sorgfältiger Abwägung durch einen Fachkundigen wahrscheinlich weniger ein Gewaltiger als vielleicht ein vorzeitig jung gebliebener Ministrant herauskommen.

Schließlich lehrt die einfachste Regel der Menschenkenntnis: Wer stets von seinen Tugenden spricht, besitzt gerade diese Tugenden in Wahrheit nicht; und was einer am anderen haßt, um
das beneidet er ihn.

Vielleicht hat der Hundhammer-Bub seinerzeit zu viel studiert, vielleicht hat sein Bauernköpferl die zwei Doktortitel nicht verkraftet. Vielleicht wäre er, wenn schon einmal ein verhinderter Kap-
lan, besser ein Mohrenmissionar im dunklen Afrika geworden. Dort kann so einer die Heiden noch leichter zu Paaren treiben als in der Bundesrepublik, obgleich es hier viel mehr gibt.

Ich bin von dieser Gerichtsverhandlung enttäuscht nach Hause gegangen, ich fühlte mich um den Gegner betrogen, denn jener war gar keiner.

Das war ein Bart auf zwei Haxen.

Olaf Iversen


Simplicissimus 17 vom 25. April 1959, 258.

Überraschung

Jahr: 1959
Bereich: CSU