Materialien 1986
Bisserl komisch
Verfassungsschutz
Bayrische Ermittler bemühen sich einen V-Mann des Verfassungsschutzes, der Bomben- und Brandanschläge gestanden hat, als wirren Einzeltäter hinzustellen.
Die Beamten im Münchner Polizeipräsidium wussten zuerst nicht so recht was sie mit dem geständigen jungen Mann anfangen sollten. Erst wurde das Landeskriminalamt befragt, dann schließlich ein Hauptkommissar von der Staatsschutzabteilung des Polizeipräsidiums hinzugezogen.
Denn Manfred Scheffer, 28, der sich am 13. Juni den Behörden gestellt hatte, bot brisante Berichte. Er habe, unter dem Tarnnamen „Aktion 83“, vor drei Jahren in München und Umgebung ein Kaufhaus, einen Supermarkt, eine Sparkassenfiliale und einen Bauwagen in Brand gesetzt, dazu noch eine Bombe im Justizgebäude an der Nymphenburger Straße versteckt – angestiftet und bezahlt, so Scheffer, vom bayrischen Landesamt für Verfassungsschutz.
Dort war längst bekannt, dass da was hochkommen würde. Seit Ende Mai, so ein Verfassungsschützer, herrschte „helle Aufregung“ im Amt; jeden Montagmorgen seien zahlreiche Kollegen zu den Kiosken geeilt, um sich die frische Ausgabe des SPIEGEL zu holen.
Der SPIEGEL nämlich, das war den Verfassungsschützern nicht verborgen geblieben, recherchierte seit Ende vergangenen Jahres auf den Spuren des V-Mannes Manfred Scheffer. Der hatte sein Geständnis, an Eides Statt, im Münchner Redaktionsbüro schon einmal zu Protokoll gegeben.
Darin berichtet Scheffer, er habe, unter Anleitung der Verfassungsschutzbeamten Josef Rauscher und Siegfried Stuck, Molotow-Cocktails geworfen und Bekennerbriefe verfasst – ein Krimineller im Staatsauftrag. Der Spitzel sollte sich dadurch, so Scheffers Schilderung, in der einschlägigen Szene legitimieren und mögliche Nachahmungstäter aufspüren.
Das Geständnis des V-Mannes, der vielerlei Details über Tatorte und Bekennerbriefe beisteuerte, überzeugte auch die Staatsanwälte: Sie nahmen Scheffer, der unter dem Decknamen „Donner“ als Agent provocateur gearbeitet haben will, am 14. Juni in Untersuchungshaft. Doch wundersam: Seit er in Stadelheim einsitzt und der SPIEGEL vorige Woche den Bericht („Alle reden von Mollies, wir haben sie“) veröffentlicht hat, rudert Scheffer zurück.
Zuerst schwächte er plötzlich ab, der Verfassungsschutz habe ihn nicht angestiftet, sondern von den Taten nur „gewusst“. Dann behauptete er, die bayrischen Geheimdienstler hätten sich „vielleicht hinterher gedacht“, dass er der Urheber von fünf Brand- und Bombenanschlägen sei. Der Leitende Oberstaatsanwalt Otto Heindl schob nach, der Geständige habe aus „Geltungsdrang und Minderwertigkeitskomplexen gehandelt, er kämpfe mit Alkoholproblemen und müsse psychisch untersucht werden.
Der Brandstifter – ein wirrer Einzelkämpfer? Diese Version kommt dem Verfassungsschutz, der die Vorwürfe als „absolut absurd“ bezeichnete, und dem verantwortlichen Innenminister Karl Hillermeier, dessen Stuhl seit dem verunglückten Einsatz der Polizei bei den Pfingstkrawallen an der geplanten Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf wackelt, überaus gelegen. Der Freistaat steht ohnehin im Verdacht, dass er sich selber Vorwände schafft, mit rüder Polizeigewalt gleichermaßen gegen Ökopaxe und Chaoten vorzugehen. Wurde der V-Mann Scheffer in U-Haft massiert, haben ihn die Vernehmer mit Strafmilderung gelockt?
Dass Scheffer die eingestandenen Anschläge tatsächlich begangen hat, zieht auch Ankläger Heindl nicht mehr in Zweifel. Und dass Scheffer zur selben Zeit engste Kontakte zum Verfassungsschutz, vor allem zu seinem V-Mann-Führer Siegfried Stuck, unterhielt, dafür liegen zahlreiche Beweise vor; auch der ermittelnde Kriminalhauptkommissar Josef Illing geht davon aus, dass Scheffer und Verfassungsschutz zusammengearbeitet haben. Illing: „Das wird wohl so sein.“
So konnte Scheffer detailreich eine Wohnung beschreiben, die der Verfassungsschutz für konspirative Treffen in einem Apartment-Block in der Landsberger Straße 425 angemietet hatte: „Der Raum ist vielleicht 25 Quadratmeter groß. Großes Fenster, grüne Vorhänge. Tüllgardinen. An der Fensterfront steht ein Schreibtisch, zwei Stühle, dann ist da eine Kaffeemaschine drin, Kühlschrank, zwei Sessel und ein Telephon.“
Die Adresse wurde im Frühjahr, nachdem die Geheimdienstler von Recherchen erfahren hatten, eilends geräumt. „Den Mieter“, erinnert sich heute die Hausverwalterin Tina Rotter, „habe ich nie zu Gesicht bekommen, das war alles a bisserl komisch.“ Zum Auszug seien dann „alle möglichen Männer“ gekommen, einer habe das Abnahmeprotokoll unterschrieben – sein Name: Siegfried Stuck.
Verfassungsschützer Stuck war es auch, der seinem Spitzel Scheffer alias Donner, noch Ende Oktober 1985, zwei Jahre nach den Anschlägen, neue Aufträge erteilte. Der Verfassungsschützer wollte seinen V-Mann auf die Sponti-Szene im Münchner Stadtteil Haidhausen ansetzen, er sollte einen Info-Laden der Linken ausspähen. Stuck telephonisch zu Scheffer: „Da ginge schon was. Gestern abend war eine Riesenveranstaltung im Info-Laden, das wäre ein guter Aufhänger. Der Anschluss muss jetzt von Ihnen kommen.
Wenige Tage später gab es ein Treffen im Münchner Cafe „Peterhof“. In beiger Jacke, gedeckter Hose und hellbraun geringelten Socken saß Bartträger Stuck damals, vom SPIEGEL beobachtet, seinem Mitarbeiter gegenüber. Neue Order laut Scheffer: Er sollte sich in die Regensburger „Biwak“ einschleichen eine Bürgerinitiative gegen die Wackersdorfer Atomfabrik.
Dass dort, am Bauzaun, tatsächlich V-Leute in Stellung gehen, musste vorige Woche das bayrische Innenministerium einräumen. Ein „Informant aus der Chaotenszene“, so stellte sich heraus, hatte dem Verfassungsschutz ausführlich berichtet. Und Bürgerinitiativen wie die „Ärzte und Psychologen für Frieden und Abrüstung“ glauben schon lange zu wissen, dass in Wackersdorf „bezahlte Provokateure“ am gewalttätigen Werk sind.
Die brauchen Bestrafung wohl nicht zu fürchten. Dass sich der weißblaue Geheimdienst schon mal einsetzte, wenn Schützling Scheffer in Kalamitäten war, dämmerte offenbar auch Münchner Staatsanwälten. So war der V-Mann im Juni 1983 erwischt worden, als er in der Sandstraße einen Bauwagen in Brand steckte. Trotz eindeutiger Beweise in dem Fall (Aktenzeichen 267 Js 42959/83) setzten die Behörden Scheffer überraschend schon nach zwei Tagen wieder auf freien Fuß. Die Ermittlungen wurden noch nicht einmal drei Wochen später „mangels Tatnachweis“ eingestellt. Zu Beginn des Jahres allerdings, als der SPIEGEL den merkwürdigen Umständen nachging, wurde das Verfahren wiederaufgenommen.
In geheimer Sitzung soll sich der Sicherheitsausschuss des Landtages diese Woche mit dem Spitzel und seinen V-Mann-Führern befassen. Dabei wird, kündigt der bayrische SPD-Spitzenkandidat Karl-Heinz Hiersemann an, nicht nur über die Straftaten geredet. Ausgeleuchtet werden müsse auch, wie denn der überraschende Sinneswandel Scheffers in seinen Aussagen zur Rolle des bayrischen Verfassungsschutzes zu erklären sei.
Wie so etwas gehen kann, schilderte ein neuer Zeuge. In Nürnberg stand der Tauchlehrer Udo Faust, 35, wegen Körperverletzung vor Gericht. Als der Richter ein langes Register von Vorstrafen – unter anderem wegen Sachbeschädigung, Störung von Versammlungen und Steinwürfen auf Polizisten – verlas, begehrte der Angeklagte auf: Das brauche er sich nicht vorhalten zu lassen, „das waren Straftaten, die ich als V-Mann des Verfassungsschutzes beging.
Ihm sei versprochen worden, so Faust, die Delikte würden aus dem Strafregister getilgt.
Der Spiegel 29 vom 14. Juli 1986, 75 f.