Materialien 1987
DFV-Stellungnahme zur CSU-Heimatideologie
Der DFV, Ortsgruppe München, wendet sich gegen das Ansinnen des bayerischen Kultusministers, den bayerischen Schulen zum Schuljahr 1987/88 das Schwerpunktthema „Heimat“ anzuempfehlen. Wie sollen bayerische Schülerinnen und Schüler „Heimat“ als positiven Wert empfinden, wenn sie gleichzeitig die folgenreichen Eingriffe in die Natur und die Veränderungen in der Gesellschaft Bayerns mit ansehen müssen? Die von der bayerischen Staatsregierung zu verantwortenden Großprojekte wie der Rhein-Main-Donau-Kanal, die Atomkraftwerke, die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf und die zunehmende Verdichtung des Straßennetzes zeigen nur im Großen die Vernichtung gewachsener Landschaften. Der Rückgang des Artenreichtums von Pflanzen und Tieren bezeugt die Einbrüche in den Naturhaushalt. Und wie verträgt sich die Förderung der Agrarfabriken samt Großtierhaltung durch die in Bayern verantwortliche CSU mit einem Heimatbegriff, zu dem die Verbundenheit der Menschen mit ihrem Dorf, ihrer Nachbarschaft und ihrem ländlichen Umfeld gehört? Immer mehr Bauern, von denen viele seit Generationen auf ihren Höfen sitzen, müssen um ihre Existenz bangen und sehen für sich keine Zukunft mehr. In der Oberpfalz verlieren Tausende Arbeitnehmer in der Stahlindustrie ihren Arbeitsplatz, was in der Folge zur Existenzvernichtung vieler mittelständischer Betriebe führt, für die es keine Alternative in ihrer Umgebung gibt.
Zugleich brüstet sich die CSU in ihren Wahlprospekten damit, Südbayern und insbesondere den Raum München zum Zentrum der High-Tech gemacht zu haben, mit der Folge, dass immer mehr nichteinheimische hochqualifizierte Arbeitskräfte angelockt wurden, während vor allem im mittelständischen Bereich Existenzzusammenbrüche und Arbeitslosigkeit erzeugt wurden. Der Anstieg der Mieten im Großraum München führte zugleich zu steigender Obdachlosigkeit von sozial Schwachen.
In diesem Zusammenhang kann der von der CSU vertretene Heimatbegriff nur als grober Anachronismus verstanden werden, dem die tatsächliche Grundlage entzogen wurde. Mit der Verschleierung der sozialen Umbrüche möchte die bayerische Staatsregierung offensichtlich ihre mangelnde Glaubwürdigkeit vor allem bei der Jugend zurückgewinnen und dem Verlust der Wählerstimmen in den ländlichen Gebieten entgegenwirken.
Der DFV schlägt vor, an den bayerischen Schulen die Unterschiede zwischen dem Text der bayerischen Verfassung und der sozialen Wirklichkeit untersuchen zu lassen. Würde nämlich die bayerische Staatsregierung ihre ganze Kraft auf die Einhaltung der Verfassungsartikel richten, wonach z.B. jedem Bewohner Bayerns das Recht auf eine angemessene Wohnung und auf einen Arbeitsplatz ebenso garantiert wird wie ein wirksamer Schutz der Natur, erübrigten sich verlogene Appelle an harmonisierende Heimatgefühle.
Freidenkerinfo. DFV Ortsgruppe München vom 1. September/31. Dezember 1987, 13 f.