Materialien 1987

Jahrelange persönliche Erfahrungen in einer Kleinstadt, die ihre Vergangenheit nicht ertragen kann

Als wir den Preis aus der Hand des Bundespräsidenten erhalten hatten, da kamen nach der ersten Zeitungsveröffentlichung und nach der Ausstrahlung unseres 45-minütigen Dokumentarfilmes »Vier Jugendliche auf der Spurensuche« die ersten Reaktionen.

Von Unbekannt wurde uns zunächst ein Flugblatt mit folgendem Text zugesandt: »An alle Juden und Judenknechte! Wartet, wartet nur ein Weilchen, dann kommt POL POT auch zu euch, … Wa-
rum steht dieses Lager leer? Es gibt doch wieder massenhaft Juden und sonstiges Ungeziefer in Deutschland. DEUTSCHE POL POT ARMEE«

Als Tutor erhielt ich zahlreiche Anrufe in meiner Dienststelle und auch zu Hause, die mich wissen ließen, ich sei »ein Judenstinker«, ich solle schleunigst das Land verlassen, ich solle in die DDR gehen, dort sei ich bei Honecker am besten aufgehoben. Ich wurde anonym als »Dreckschwein« bezeichnet, das schweigen und sich nicht in Dinge mischen solle, die es nicht kenne.

Am 13.9.1983 regten die Schüler bei der Gemeinde Kaufering – wo einst das erste Lager des KZ-Kommandos Kaufering/Landsberg errichtet wurde – an, dass doch ein Gedenkstein für die Opfer aufgestellt werden solle. Daraufhin erschien der zunächst nur recht national klingende Leserbrief des Herrn Lehner vom 14.9.1983. Wir vermuteten einen älteren Herrn, der eben seine Soldaten-
ehre befleckt sah.

In den folgenden Jahren zeigten sich die wirklichen Absichten dieses Leserbriefschreibers. Er ist Besitzer einer Reichswehrsportmaschine mit NS-Emblemen, die im Landkreis Landsberg ord-
nungsgemäß zugelassen ist. Mit dieser Maschine ist er ständig auf Europatour, trifft sich mit ehe-
maligen Soldaten und berichtet von seinen Reisen auf den Spuren Rommels in der »Landsberger Zeitung«. Er ruft in der Schule an und fordert vom Direktor, dass dieser den Unterricht des Herrn Posset überwache, der die Kinder falsch und gegen die Deutschen erziehe.

Herr Lehner ist Mitglied der CSU in Utting. Ein Beispiel für seine vielen Publikationen:

»TRACTAT WIDER DAS HISTORISCHE INQUISITIONSTRIBUNAL ZU LANDSBERG IM 20. JAHRHUNDERT – Ob CSU-, SPD- oder FDP-Wähler, es reicht ihnen langsam! Landsberg KZ-Stadt, Stätte der Naziverbrechen, Ort der Menschenvernichtung? Schluss mit den fragwürdigen Methoden von Verdächtigungen, Verleumdungen und Anzeigen durch Mitglieder einer Lands-
berger Bürgervereinigung, bei der Erforschung von Zeitgeschichte. Wir brauchen keinen neuen „Wallfahrtsort“ für deutsche Schuld. Wir brauchen geschichtliche Forschung, die aus dem Selbst-
bewusstsein einer jahrzehntelang funktionierenden Demokratie heraus arbeitet, offen für alle Impulse und vor allem vielfältig, ja sogar kontrovers! Wir wollen unsere ganze Geschichte mit Licht und Schatten, aber nicht das ewige Bohren in einem gesamtgeschichtlich gesehen kurzen, wenn auch noch so schlimmen Zeitabschnitt von 12 Jahren. Stadt und Landkreis blicken auf eine vielhundertjährige und wechselvolle Geschichte zurück. In diesem geschichtsträchtigen Raum des bayerischen Alpenvorlandes hat sich eine kreative und wertorientierte Bevölkerung über Jahrhun-
derte entwickelt. Ihre Fähigkeiten und Eigenschaften haben Landkreis und Stadt ein Erschei-
nungsbild gegeben, das den Freistaat Bayern bereichert. Landsberg hat es nicht verdient, von einer Minderheit agierender Kräfte zu einer „Schädelstätte“ abqualifiziert zu werden.«

Der örtliche CSU-Abgeordnete Dr. Thomas Goppel gratulierte den Schülern in folgender Weise:

»Verehrte junge Preisträger(innen), mit großer Freude (und natürlich ein klein wenig Stolz) habe ich registriert, dass Landsberg Furore gemacht hat in einem Bereich, in dem das durchaus nicht alltäglich und selbstverständlich ist: Bei einem Wettbewerb zur jüngeren deutschen Geschichte, ihren Hintergründen und dem Bemühen um ihre Aufarbeitung. Landsberg ist im Laufe der Jahre für viele Überraschungen gut gewesen; nach nicht gerade wenigen Meistern im Sport holen Sie heuer zum zweiten Male einen Preis für Geschichte in unseren Landkreis. Nicht zuletzt gelang Ihnen das sicherlich dank der versierten Anleitung Ihres Tutors Anton Posset. Ich will offen ge-
stehen. dass ich nicht zu den Zeitgenossen gehöre, die begeistert sind, wenn sie hören, dass Auf-
sätze in erster Linie der Geschichtsbewältigung dunkler Zeiten dienen sollen. Bekommt man dann aber mit, mit welcher Akribie und (dass die Zeitungsberichte stimmen, davon gehe ich aus) An-
strengung zur Objektivität Sie sich der schwierigen Aufgabe angenommen haben, einen Zeitab-
schnitt deutscher Geschichte zu untersuchen, der zwar schon Geschichte ist, aber objektive Ge-
schichtsbetrachtung doch nur schwer zulässt, dann muss ich die Bedenken zurückstellen und Ihnen ein Kompliment machen.«

Seine letzte Wahlbroschüre ließ er sich von Herrn Lehner gestalten.

Eine Ausstrahlung unserer Rundfunk-Dokumentarsendung in Baden-Württemberg zieht weite Kreise; Schreiben, die unsere »Unausgewogenheit« verlogen beklagen, kommen nun auch von dort. Dann erreichen uns Broschüren aus ganz Deutschland, über die Auschwitzlüge und den Terror an den Armen und Unschuldigen, die nach dem Krieg in Landsberg hingerichtet wurden.

»The American Mercury POB 1306, R 90505, Torrance-Clf.

LANDSBERG!
Dein Name durch den Äther zittert,
verhängnisvoll und reich an Glut
vom Siegerhass zutiefst erschüttert,
getränkt mit bestem deutschen Blut.

Am Galgen wussten Patrioten
zu sterben für ihr Vaterland,
ein Lorbeerkranz schmückt diese Toten,
im Geist – mit Liebe, Herz und Hand.

Sie gaben ihrer Muttererde
durch ihren Tod die rechte Saat,
dass einst ein ganzes Deutschland werde
geeint im Glauben und der Tat.

So hat uns LANDSBERG viel zu geben
als Wendepunkt mit seinem Sinn
auf dass wir auch bewusst erleben
die Weltenwende – ihr Beginn!

Längst liegt der Geist der Alliierten
durch ihre Machenschaften bloß,
dass selbst bei den durch sie Verführten
nur Lehrer Posset bleibt als „groß!“«

Briefe dieser Art gingen an die umliegenden Gemeinden und erreichten schließlich Kollegenkreise und die Schule.

Am 14.3.84 wurde an die Kolleginnen und Kollegen der beiden Gymnasien in Landsberg, die Schü-
lermitverwaltung, die Elternbeiräte (meine Frau ausgenommen) und an die Schulleitung ein wei-
teres hetzerisches Schreiben versandt. Keiner meiner Kollegen, kein Direktor benachrichtigte mich, über den Bürgermeister einer Nachbargemeinde erhielt ich schließlich Kenntnis davon …

Der mit Herrn Lehner augenscheinlich zusammenarbeitende Herr Späth bedroht mich aus Für-
stenfeldbruck seit 1984 mit seinem Schreiben. Er schreibt auch an alle Stadträte, von denen mich hin und wieder einer benachrichtigt. Eines dieser Schreiben liegt in den Personalunterlagen mei-
ner Schule. Ich habe es am 29.7.87 bei einer Akteneinsicht zum ersten Mal dort gesichtet:

»23.12.84 Teurer Herr Posset! Leider warte ich noch immer vergebens auf Ihren Gegenangriff mir gegenüber, denn mein per „Annahme verweigert“ zu mir zurückgekehrter Brief an Sie strotzte doch nur so von lauter Lügen! Oder etwa nicht? Wurde er Ihnen von Ihren Kumpels immer noch nicht zum Lesen vorgelegt, wenigstens per Fotokopie? Das wäre aber sehr schade, denn Sie könnten allerhand daraus lernen! Dabei hatte ich Ihnen doch bereits in meiner Anfrage an Sie vom 10.6.84 geschrieben, … man könnte versuchen, Sie über die VVN zum Erhalt des „Sefton Delmer-Ordens“ vorzuschlagen, was Sie anscheinend sehr begrüßt hätten. Und die Aussicht auf einen solchen Or-
den ließ Sie anscheinend den Tatsachen gegenüber völlig erblinden, denn dass dieser Sefton Del-
mer, der bekanntlich als Churchills Protegé Chef des Lügensenders „Radio Calais“, also einer der größten, bis heute immer noch nicht übertroffenen Schurken des II. Weltkrieges gewesen ist, der gleich nach Kriegsende über seine dortige Lügnertätigkeit stolz und zynisch erklärt hat: „Keine Lü-
ge war uns zu gemein, um sie nicht gegen Deutschland zu verwenden!“, wussten Sie das als „Histo-
riker“, wie Sie sich doch gerne selber nennen, wirklich nicht? Das lässt aber tief blicken! Trotzdem: Bleiben Sie weiter „tapfer und unbeugsam“ beim weiteren Herumziehen des deutschen Volkes im Dreck, nach der Parole „Viel Feind, viel Ehr!“ Mit entsprechender Ausdauer werden Sie schon noch ein paar Kumpels finden, welche Ihnen dabei die Stange halten, damit sie nicht ab- und Ihnen auf den Kopf fällt. S. Späth«

Welche Geisteshaltung sich hinter dem ganzen verbirgt, das zeigt eine Leserzuschrift dieses Herrn Späth vom 18.10.87 an den »Spiegel«:

»Meinen herzlichen Glückwunsch zum Abschuss des CDU-Politikers Uwe Barschel, den Ihr mit Eurer echt jüdischen Augstein-Hetzerei in den Tod getrieben habt! Ausgerechnet Ihr Hetzapostel macht in Ethik und „Moral“, tut so, als ob Ihr aus Anstandsgründen mit Euren Dreckfingern auf andere zeigen müsstet, Ihr Drecksäue, Ihr einmaligen (Siegfried Späth – Fürstenfeldbruck)«

Auf Anregung des Ministerpräsidenten Strauß entsteht 1984 aus den Wettbewerbsteilnehmern und sieben anderen Mitbürgern eine Bürgervereinigung »Landsberg im 20. Jahrhundert« zur Erfor-
schung der Zeitgeschichte und Erhaltung der KZ-Erdbunker Kaufering VII.

Der Landsberger Oberbürgermeister Hans Hamberger, der uns kurz nach der Preisverleihung noch ausgezeichnet hatte und sogar eine Reichskristallnachtfeier 1983 besuchte, offenbart laut einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 13.7.1984 seine wahre Geschichtsauffassung: »Die For-
schungsarbeit sei keine spezifisch Landsberger Sache«, glaubt das Stadtoberhaupt, »weil es nicht auf die Geschichte der Stadt bezogen ist, sondern auf die Konzentrationslager, die damals unter dem Namen Kaufering liefen. Ein »KZ-Landsberg«, weiß Hamberger, »hat es nie gegeben«. So drängt sich dem Oberbürgermeister die Frage auf, »ob das alles der Völkerverständigung dient, wenn das immer wieder aufgewärmt wird«.

Richtig ist, dass es sogar ein KZ-Lager Landsberg – nicht auf Landsberger Grund – in Penzing mit 350 französischen Widerstandskämpfern gab. Die Nationalzeitung vom 3.8.84 lobt denn auch Hamberger, während Ministerpräsident Strauß gescholten wird.

Als die Denkmalsfähigkeit der KZ-Erdbunker auf Initiative der Bürgervereinigung anerkannt wur-
de, zeigte die Diskussion im Landsberger Stadtrat, dass man die Arbeit der Bürgervereinigung fürchtet. Deutlich sagte dies der unabhängige Stadtrat Rößle: »ln Landsberg besteht bei vielen Leuten die Befürchtung, dass da draußen eine negative Gedächtnisstätte entsteht.« Dieser Stadtrat, von Beruf Amtsrichter, zeichnet mit anderen verantwortlich für eine Darstellung meiner Person in seinem »Lumpenkurier« vom Fasching 1986: »Personalien: In Anerkennung seiner unermüdli-
chen Bemühungen, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit von Dachau abzulenken und auf Landsberg zu konzentrieren, hat die Stadt Dachau dem bekannten Historiker des 20. Jahrhun-
derts, Anton Posset, die Ehrenbürgerwürde angetragen.«

Nach Jahren der Angriffe von allen Seiten ist dies alles auch weit in den schulischen Bereich ein-
gedrungen, z.B. so: Als sich an einer Tafel ein David-Stern mit der Aufschrift »Disco-Dachau« in einer Oberstufenklasse befindet, wird mir erklärt, das sei gegen mich persönlich gerichtet.

Ich werde den begonnenen Weg der Aufklärung fortsetzten und glaube auch weiter daran, dass doch noch eines Tages Vernunft und Einsicht siegen, und dass man erkennt, dass dieses Durchbre-
chen der Schweigespirale uns hilft, mit der Wahrheit leben und vor der nachkommenden Genera-
tion bestehen zu können, auch wenn dies für mich zu den schmerzhaftesten Erfahrungen im menschlichen Bereich führte. Man kann um seine Person Angst haben, weil doch einmal »ein Ver-
rückter« zuschlagen könnte. Vorerst muss ich mit einer Ablehnungsfront in der nächsten Umge-
bung leben, und auch um meine berufliche Zukunft bangen.

Neue Kraft gibt die Anerkennung unserer Aufklärungsarbeit durch viele Stimmen von außen, na-
tional und international, wie die persönlichen Dankesworte des israelischen Staatspräsidenten Chaim Herzog oder des israelitischen Botschafters in Bonn Jitzak Ben-Ari. Auch der Präsident der israelischen Lehrergewerkschaft Dr. Shalom Levin hat unsere Arbeit gewürdigt und die Hoffnung ausgesprochen, dass auch in der näheren Umgebung in Bayern und Deutschland diese Forschun-
gen an Bedeutung gewinnen. Wir werden weiter arbeiten, Mitstreiterinnen und Mitstreiter sind herzlich willkommen.

Kontaktadresse der Bürgervereinigung: »Landsberg im 20. Jahrhundert« c/o Anton Posset, Pap-
pelstraße 8, 8910 Landsberg


Die Demokratische Schule. Verbandsorgan der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Landes-
verband Bayern vom Dezember 1987, 5 f.

Überraschung

Jahr: 1987
Bereich: Gedenken

Referenzen