Flusslandschaft 1987
Gedenken
Bildhauer Jochen Sendler entwirft anläßlich einer Ausschreibung ein Denkmal für Kurt Eisner. Er schreibt: „Das von mir vorgestellte Denkmal besteht aus zwei Teilen. Die Säulenfigur, aus rötli-
chem Granit, ist aus einem Stück und 215 cm hoch. Diese Säule ist aus dem Münchner Kriegsschutt erhalten geblieben. Die Bodenplatte mißt 300 × 175 cm und wird aus schwarzem Granit gefertigt. In sie wird das gleiche Gitterraster von 35 × 35 cm eingesägt, wie es beim Verlegen der Bürger-
steinplatten entsteht. Die Schattenfigur ist poliert und ihr Umfeld wird gestockt. Der Schatten liegt ungefähr an der Stelle, wo Kurt Eisner ermordet wurde. Die sich aus der Säule befreiende und doch auch mit ihr verbundene Figur, die sich über den Schatten erhebt, soll für Denkmal und Mahnmal in einem stehen. Die vergoldete Inschrift am Halse des Opfers steht für Gedenktafel und Warn-
schild.“1 Die beim Wettbewerb angetretenen Künstlerinnen und Künstler sprechen sich mehrheit-
lich für Sendlers Beitrag aus. Diesem Votum widerspricht der Stadtrat. Schließlich favorisiert er eine Bodenplatte von Erika Maria Lankes, die 1989 anlässlich des 70. Todestages in der Kardinal-Faulhaber-Straße vor dem Haus Nr. 8 eingeweiht wird. Das Denkmal zeigt auf einer Stahlplatte die Umrisse Eisners, wie sie von der Polizei beim Auffinden eines Toten mit Kreide markiert werden. Darüber steht die Inschrift: „KURT EISNER, DER AM 8. NOVEMBER 1918 DIE BAYERISCHE REPUBLIK AUSRIEF, NACHMALIGER MINISTERPRÄSIDENT DES VOLKSSTAATES BAYERN, WURDE AN DIESER STELLE AM 21. FEBRUAR 1919 ERMORDET.“ Sendlers Denkmal steht seitdem jahrzehntelang im Biergarten des Wirtshauses am Hart in der Sudetendeutschen Straße. In der Ausstellung „7. November 1918. ‘Die Freiheit erhebt ihr Haupt’ — Gründung des Freistaats Bayern. Kurt Eisner 1. bayerischer Ministerpräsident“, die vom 5. November bis zum 19. Dezember 2014 im Münchner Gewerkschaftshaus zu sehen ist, wird das Modell von Sendlers Figur gezeigt. ver.di plant, das Denkmal auf dem Vorplatz vor den Büros aufzustellen.
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Am 10. Mai kommt es auch zum Gedenken an die schwulen KZ-Opfer im ehemaligen Konzen-
trationslager Dachau. Bis jetzt war es nicht möglich, in der Gedenkstätte ein Denkmal für die schwulen Opfer zu errichten.
Die Stadt Dachau stiftet 1987 einen Literaturpreis (50.000 ÖS) im Rahmen des Klagenfurter Autorenwettbewerbs „Ingeborg-Bachmann-Preis“; Klagenfurt und Dachau sind Partnerstädte. Nach Querelen zwischen Stifter und Jury hinsichtlich der Preisträgerentscheidung (zu gleichen Teilen an das Jüdische Dokumentationszentrum Wien und die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Antifaschisten) wird die Preissumme nicht ausbezahlt und der Preis zunächst wieder eingestellt.3 Die Verantwortlichen lernen aus dem Debakel: 2011 wird der Preis nur an Dachauer Bürger, in Dachau geborene Personen oder früher in Dachau wohnhafte Personen ausgelobt.
Die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK) fordert ein deut-
liches Denkmal für Deserteure an einem prominenten und zentralen Platz in München. Siehe „Bundeswehr“.
Am 26. September veranstalten Antifaschisten am Ort des Oktoberfestattentats eine Mahnwache, am Abend findet ein Fackelzug der Gewerkschaftsjugend statt.
Die Wahrheit über das KZ-Außenlager Kaufering-Landsberg, das größte Rüctungsprojekt des Jah-
res 1944/45, wurde nach 1945 verdrängt, verschwiegen, verheimlicht und verniedlicht. 1982 wurde der „Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte“ des Bundespräsidenten unter dem Titel „Alltag im Nationalsozialismus. Die Kriegsjahre 1939 – 1945“ zum 8. Mal ausgeschrieben. 6.000 Jugendliche sandten insgesamt 1.200 Arbeiten ein, unter ihnen mehrere Jugendliche, die mit der Unterstüt-
zung ihres Lehrers Anton Posset die Geschichte des KZ-Lagers Kaufering nahe Landsberg am Lech erforschten. Posset liess auch in den folgenden Jahren das Thema nicht mehr los. Er forscht weiter trotz einer Flut von Protesten und Beschimpfungen.4
Sonntag wird in manchen Familien ein Ritual gefeiert. Seit 1953 sendet das Fernsehen den belieb-
ten „Internationalen Frühschoppen“, eine Diskussionsrunde, die Werner Höfer im Kreise von Journalistinnen und Journalisten aus aller „Herren“ Länder bestreitet. Fatal, dass der Spiegel aufdeckt, dass Höfer seit März 1933 NSDAP-Mitglied war und zahllose Nazi-Artikel verfasste. Le-
serbriefe wie dieser fluten die Redaktion: „Ziehen Sie doch nicht nochmal dieses alte Kaninchen aus dem Hut, uns kommt ja das Gähnen. Wir lieben Werner Höfer. 34 Jahre hat er uns das Sonn-
tagsmenü mit Geist, Witz und Fairness angerichtet, wir konnten ihm zuhören, ihn ansehen und uns selbst ein Bild von seinem integren Charakter machen. Das allein zählt. – München – Gretel Rieger“5 Es hilft nichts, am 20. Dezember wird die letzte Folge von insgesamt 1.874 ausgestrahlt.
„Wir haben keine Geschichte mehr, die zu erzählen es lohnt, wir haben nur noch die Bücher, um den Fortschritt der Selbsttäuschung zu unterbrechen.“6
(zuletzt geändert am 28.4.2023)
1 Die Ausstellung „Die Freiheit erhebt ihr Haupt“ im Gewerkschaftshaus im Spätherbst 2014 zeigt diesen Erläuterungsbe-
richt in Kopie.
2 Schwules Museum, Berlin
3 Siehe „Eklat um Literaturpreis“ und „Es war einmal ein Dachauer Literaturpreis …“ von Walter Gierlich.
4 Siehe „Jahrelange persönliche Erfahrungen in einer Kleinstadt, die ihre Vergangenheit nicht ertragen kann“ von Anton Posset.
5 Der Spiegel 53 vom 28. Dezember 1987, 8.
6 Michael Krüger, Wieso ich? Eine deutsche Geschichte, Berlin 1987.