Materialien 1987

Spion-Prozess

Am Freitag, 6. Februar war „unser“ Prozess im Amtsgericht München. Thema war ein „Aufruf“ zu Wackersdorfer Blockadeaktionen und ein Leserbrief bezüglich Steinewerfen. Beides stand in der Ausgabe Nr. 48/Oktober 1986, woraufhin uns ein Strafbefehl über 1.800 DM zugeschickt wurde, gegen den wir natürlich Einspruch erhoben, weshalb es dann zur Verhandlung kam. Da beide Artikel eher satirisch waren, konnte natürlich auch der Verhandlungsverlauf nicht vollkommen humorlos bleiben:

Plädoiee:

„Diese Staatsanwaltschaft gewinnt man nicht mit winkeladvokatischen Tricks wie scheinbaren Distanzierungen, Textschwärzungen und scheinbarer Ausgewogenheit. Verdächtig ist ja allein schon der Name der Zeitung.

Aufruf zum Blockieren öffentlicher Einrichtungen ist verboten. Ebenso ist der Nicht-Aufruf – ‚Geht nicht zur Blockade’ – eine indirekte Aufforderung und ebenfalls strafbar. Und selbst, wenn der Spion in Zukunft schweigen würde, wüsste der ‚objektive’ Leser sofort, dass dieses Schweigen nur abwertend und staatszersetzend sein könne. In der Lesart der Staatsanwaltschaft käme heraus: Ich muss schweigen, denn sonst würde ich verfolgt, da der ‚Spion’ bekanntermaßen nicht staatstragend ist Deshalb muss mich der Staatsanwalt verfolgen. Eine solche Behauptung, durch demonstratives Schweigen umso beredter verbreitet, wäre zweifellos eine Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole.“

So schlug er vor, uns einfach alle 14 Tage, egal ob der Spion erscheint und was drinsteht, vorbeugend einen Strafbefehl zu schicken Schließlich forderte unser Anwalt unter dem Gelächter der über 50 Prozessbesucher, den Angeklagten angemessen abzuurteilen.

Dieser Argumentation konnten wir uns nicht verschließen:

1. Wir hätten erkennen müssen, dass die uns zugegangene Zuschrift bezüglich Blockaden, obwohl die keinen direkten Aufruf’ zu böses Taten enthielt, doch geeignet war, den öffentlichen Frieden und die Volksgesundheit und Franz Josef zu stören.

2. Bei der Behauptung, der sich mit Steinewerfen befassende Leserbrief sei eine ganz normale Dokumentationsform und außerdem eine Satire, handelt es sich um eine reine Schutzbehauptung. Reumütig räumen wir ein, dass unser Gedanke an ein Forum, wo alle schreiben können, was sie wollen, nur eine Ausgeburt unserer kranken und staatszerstörerischen Phantasie war. Für die Zukunft geloben wir, jeden Leserbrief, der etwas anderes als die fundamentale Gewaltfreiheit vertritt, nicht nur von unseren Lesern fernzuhalten, sondern auch noch mit Namen des Absenders den zuständigen, Staat schützenden Organen zukommen zu lassen.

Wir bedauern, durch unser Verhalten den UNSEREN Staat aufs übelste verleumdet, verunglimpft und gefährdet zu haben und betrauern die Steuergelder, die durch die Beschäftigung der Justiz mit uns verschwendet werden müssen. Wir distanzieren uns von uns.

Lang leben die Paragraphen 111, 129a und 130! Nieder mit der Pressefreiheit! Wir fordern die dreijährige Höchststrafe!

Vier Tage später verkündete Richterin Harmann das Urteil: 400 DM. (20 Tagessätze à 20.-). Ernstgenommen wurde unsere Feststellung, dass der Leserbrief wirklich nur eine Dokumentation war, doch der Aufruf, man solle nicht zur Blockade gehen … wenn wenigstens nur so widerstandslose symbolische Blockaden vor einem Kasernentor gemeint gewesen wären und nicht die Störung öffentlicher und privater Einrichtungen … und außerdem sei ja offensichtlich, dass der Spion gegen Atomkraft sei und damit sei die Absicht hinter dem Artikel klar.

Davon müssen wir uns natürlich distanzieren. Lang leben die WAA und ihre Produkte – Hoch die Staatsregierung!
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Auch wenn 400.- Strafe echt nicht viel sind, gemessen an der Schwere unserer Verbrechen, so kommt die Sache mit Gerichts- und Anwaltskosten doch etwa auf einen Tausender. Wir bedanken uns herzlich bei unseren Lesern für die 90.- Spenden, die bisher bei uns eingegangen sind und würden uns freuen. wenns mehr würde, schließlich ist, soll der Spion ja weiterleben. Auch ist es nicht unmöglich, dass der Staatsanwalt unbedingt noch eine weitere Verhandlung in der nächsten Instanz will.
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Leserbrief
Als ich am Mittwoch früh die taz gelesen habe, hat’s mich fast vom Stuhl gehauen. 400.- Geldstrafe für den Blockadeartikel, und wenn ich mich recht erinnere, dann war das ja meine Distanzierung, mein Artikel. Komischer Staatsanwalt, dass er nicht kapiert, dass das eine tatsächliche Distanzierung war und dir da ’ne 111-StGB-Anzeige dranhängt. Naja, Staatsanwälte sind halt Staats-Anwälte. – Mal sehen, was sich so machen lässt. Wir werden uns wiedertreffen auf der Straße, mit erhobenem Haupt, geballter Faust, nicht gebückt durch die Hintertür der Reue.


Spion. Zeitung für München 53 vom März 1987, 2.

Überraschung

Jahr: 1987
Bereich: Zensur

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