Materialien 1988

Obdachlose brauchen eine Wohnung und Geld zum Leben

In den letzten Wochen machte der bayerische Innenstaatssekretär Gauweiler wieder einmal Schlagzeilen in der Münchner Lokalpresse. „Gauweiler will die Penner aussperren“ und „Gauweiler will jetzt mit Stadtstreichern aufräumen – Bayerisches Innenministerium plant in München einen Sperrbezirk für Wermutbrüder“ so lauteten die Schlagzeilen in der Abendzeitung. Mit Freiheitsentzug statt Geldstrafen und Aufenthaltsverboten für Stadtstreicher soll die Armutssituation für eine immer größer werdende Personengruppe hinter Gittern unsichtbar gemacht werden. In München leben ungefähr 8.000 Obdachlose, davon ca. 2.500 in Pensionen des Beherbergungsgewerbes oder angemieteten Wohnungen, 3.000 Asylbewerber in Sammelunterkünften, 5.000 sogenannte „Nichtsesshafte“ in Asylen oder auf der Straße, 20.000 Sozialwohnungen sind vorgemerkt. Der Begriff „Nichtsesshafte“ kommt aus dem Faschismus. Er charakterisiert eine Personengruppe, die meist aus sozialen Gründen wohnungslos ist (Arbeitslosigkeit, Verschuldung) als Menschen, die quasi freiwillig und aus charakterlichen Eigenschaften dieses Schicksal zu tragen haben. Da sie der Kapitalistenklasse nicht mehr zur Ausbeutung zur Verfügung stehen, ist ihr gesellschaftlicher Nutzen verschwunden. Sie werden isoliert und vom Staat unterdrückt. Das Grundrecht auf Wohnen als Voraussetzung zu einer regelmäßigen und menschenwürdigen Arbeit wird diesen Menschen vorenthalten. Über 53.000 (5,8 Prozent) liegt die Arbeitslosenzahl im Münchner Arbeitsamtsbezirk. Wenn bis 1992 ca. 50.000   Sozialwohnungen aus der Mietpreisbindung fallen und erhebliche Mietsteigerungen zu erwarten sind, wird die Obdachlosigkeit einen weiter steigenden Schub erhalten.

Schon im Jahr 1982 hat Gauweilers Politik gegenüber den Obdachlosen in München Kritik und Widerstand hervorgerufen. Damals Münchner Kreisverwaltungsreferent begründete er einen Antrag der CSU-Stadtratsfraktion, wonach in Zukunft Schwarze Sheriffs das Stachus-Untergeschoß bewachen sollten, um „den Münchner Schülern das Schicksal der Kinder vom Bahnhof Zoo zu ersparen“. Die Münchner Polizei bekäme das Problem mit den „sozial lästigen Personen wie Stadtstreicher, Penner und Strichjungen“ nicht in den Griff. Damit Schwarze Sheriffs Zugang zum Stachus-Untergeschoß bekommen konnten, sollte es reprivatisiert werden.

(dil)


Münchner Lokalberichte 11 vom 12. September 1988, 1.

Überraschung

Jahr: 1988
Bereich: Armut

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